Mangel an schauspielerischer Raffinesse und gestischer Größe
"Alarmierende Nachrichten aus Deutschland", die Brecht nach 1934 im dänischen Exil erreicht hatten, brachten ihn dazu, "die blutige deutsche Wirklichkeit" auf andere Weise als beispielsweise in seinem gerade vollendeten Parabelstück "Die Rundköpfe und die Spitzköpfe" darstellen zu wollen. Eine Szenenfolge schwebte ihm vor, die eine Gestentafel von Alltagsverhalten im Naziregime versammelt.
An seine Frau Helene Weigel schrieb, dass eine solche lockere Folge unterschiedlicher Szenen eine "Fülle von unterschiedlichem Material" und unterschiedlicher theatralischer und dramaturgischer Mittel erfordere. So enthielt seine zwischen 1935 und 38 entstandene Szenefolge auf den Punkt gebrachte Einakter und Szenensplitter wie man sie vom Agit-Prop-Theater her kannte, kleine Szenen, die bis zur Groteske, ja zur Farce zugespitzt waren sowie Szenen wie "Die Jüdische Frau", die mit den Mitteln des modernen psychologischen Theaters arbeiteten.
Manfred Karge hat aus den insgesamt 27 Szenen sieben ausgewählt. Die Auswahl ist vom Kalkül des Regisseurs bestimmt, der im Spiel des Schauspielers noch immer das Hauptgeschäft des Theaters sieht. Szenen sind darunter, die dem Schauspieler die größten Chancen bieten, die zweite und dritte Schicht eines Vorgangs, einer Situation und einer Figur mitzuspielen. Unter den aktionistischen Versuchen des Amtsrichters in der Szene "Rechtsfindung" herauszufinden, welches Urteil die Nazimachthaber von ihm erwarten, scheint Verzweiflung und Untergangsahnung auf, in den Reinwaschungsversuchen der Eltern eines kleinen Jungen, von dem sie befürchten, er könnte zum Spitzel und Kronzeugen wider sie werden, dringt unabweislich die Angst hervor. Die Angst, von der Max Frisch behauptet, sie sei das Bindeglied der Brechttexte, prägt den Gestus der meisten von Karge inszenierten Szenen. Zurückgedrängt sind die Szenen des Widerstands, die es in Brechts Folge auch zahlreich gibt – sieht man einmal von der Szene ab, in der die Schwester eines gefallenen Bomberpiloten trotzig darauf besteht, ihre Trauer zeigen zu können.
Karges Inszenierung ist schon wie die der letzten Jahre – wie "Mann ist Mann" oder "Schwejk" spartanisch und unaufwendig. Keine Überzahl an technischem Aufwand, an Personen, an Dekorationen und Schauplätzen. Von einer winzigen Spielfläche steigen zu beiden Seiten Sitzreihen auf, in der Mitte in allen Szenen, nur unterschiedlich platziert ein länglicher Tisch. Schauspielerisch strebt Karge einen gestisch überhöhenden Stil an, der über die 1: 1-Spieglung der Wirklichkeit von 1935 hinausgeht und ins Exemplarische zielt. Maßstabsetzend dabei die erste Szene in Karges Spielfassung; die Szene "Verrat", in der ein Ehepaar durch die offene Tür hindurch beobachten wie ein von ihnen Verratener von der Gestapo abgeholt wird. Für alle Zeiten gültige, archetypische individuelle Verhaltenweisen von Verrat, Reinwaschung und Verdrängung werden da von Dieter Montag und Claudia Burckhardt ausgestellt. Solch gestische Größe erreicht allenfalls noch Dieter Montag, wenn er als Amtsrichter zwischen Jämmerlichkeit und Anmaßung taumelt oder wenn er als der Vater des "Spitzels" mit professoraler Gespreiztheit seine von dem aufgeschnappten Äußerungen uminterpretiert. Insgesamt aber fehlt es der Inszenierung an schauspielerischer Raffinesse und gestischer Größe. Welche Erlesenheit der schauspielerischen Mittel nötig sind, diese Texte zum Blühen zu bringen, bewies einst Helene Weigel als die jüdische Frau, als sie uns teilhaben ließ an deren fast übermenschlichem Kampf, Würde und Beherrschung zu bewahren. Swetlana Schönfeld dagegen kommt in dieser Rolle nur selten über Weinerlichkeit und Betulichkeit hinaus.
Furcht und Elend des Dritten Reiches
Regie: Manfred Karge
Berliner Ensemble
Manfred Karge hat aus den insgesamt 27 Szenen sieben ausgewählt. Die Auswahl ist vom Kalkül des Regisseurs bestimmt, der im Spiel des Schauspielers noch immer das Hauptgeschäft des Theaters sieht. Szenen sind darunter, die dem Schauspieler die größten Chancen bieten, die zweite und dritte Schicht eines Vorgangs, einer Situation und einer Figur mitzuspielen. Unter den aktionistischen Versuchen des Amtsrichters in der Szene "Rechtsfindung" herauszufinden, welches Urteil die Nazimachthaber von ihm erwarten, scheint Verzweiflung und Untergangsahnung auf, in den Reinwaschungsversuchen der Eltern eines kleinen Jungen, von dem sie befürchten, er könnte zum Spitzel und Kronzeugen wider sie werden, dringt unabweislich die Angst hervor. Die Angst, von der Max Frisch behauptet, sie sei das Bindeglied der Brechttexte, prägt den Gestus der meisten von Karge inszenierten Szenen. Zurückgedrängt sind die Szenen des Widerstands, die es in Brechts Folge auch zahlreich gibt – sieht man einmal von der Szene ab, in der die Schwester eines gefallenen Bomberpiloten trotzig darauf besteht, ihre Trauer zeigen zu können.
Karges Inszenierung ist schon wie die der letzten Jahre – wie "Mann ist Mann" oder "Schwejk" spartanisch und unaufwendig. Keine Überzahl an technischem Aufwand, an Personen, an Dekorationen und Schauplätzen. Von einer winzigen Spielfläche steigen zu beiden Seiten Sitzreihen auf, in der Mitte in allen Szenen, nur unterschiedlich platziert ein länglicher Tisch. Schauspielerisch strebt Karge einen gestisch überhöhenden Stil an, der über die 1: 1-Spieglung der Wirklichkeit von 1935 hinausgeht und ins Exemplarische zielt. Maßstabsetzend dabei die erste Szene in Karges Spielfassung; die Szene "Verrat", in der ein Ehepaar durch die offene Tür hindurch beobachten wie ein von ihnen Verratener von der Gestapo abgeholt wird. Für alle Zeiten gültige, archetypische individuelle Verhaltenweisen von Verrat, Reinwaschung und Verdrängung werden da von Dieter Montag und Claudia Burckhardt ausgestellt. Solch gestische Größe erreicht allenfalls noch Dieter Montag, wenn er als Amtsrichter zwischen Jämmerlichkeit und Anmaßung taumelt oder wenn er als der Vater des "Spitzels" mit professoraler Gespreiztheit seine von dem aufgeschnappten Äußerungen uminterpretiert. Insgesamt aber fehlt es der Inszenierung an schauspielerischer Raffinesse und gestischer Größe. Welche Erlesenheit der schauspielerischen Mittel nötig sind, diese Texte zum Blühen zu bringen, bewies einst Helene Weigel als die jüdische Frau, als sie uns teilhaben ließ an deren fast übermenschlichem Kampf, Würde und Beherrschung zu bewahren. Swetlana Schönfeld dagegen kommt in dieser Rolle nur selten über Weinerlichkeit und Betulichkeit hinaus.
Furcht und Elend des Dritten Reiches
Regie: Manfred Karge
Berliner Ensemble