Mangel an Demokraten

Von Dieter Jepsen-Föge |
Es gibt wieder einmal Anlass, daran zu erinnern: Die Weimarer Republik ist nicht allein von den Extremisten von rechts und links zerstört worden. Die erste deutsche Demokratie ist am Mangel an Demokraten zusammengebrochen.
Gut sieben Prozent NPD - Abgeordnete im künftigen Landtag von Schwerin und einige Neonazis in Berliner Bezirksparlamenten allein gefährden nicht die Demokratie. Alarmierend ist der Einzug der jungen Braunen in die Parlamente von inzwischen drei von fünf ostdeutschen Bundesländern, weil Wahlerfolge für NPD und DVU Symptome für eine mangelnde Verwurzelung der Demokratie in Ostdeutschland sind. Auch in Sachsen-Anhalt war eine Legislaturperiode lang die DVU mit zweistelligem Ergebnis vertreten, bis sie völlig zerstritten zerbröselte, ohne jemals etwas geleistet zu haben.

Die Eltern der jungen Menschen, die am Sonntag ihre Stimme den Neonazis gegeben haben, haben selber kaum Demokratie und Rechtsstaat, Freiheit und Selbstverantwortung erlebt und weitergeben können. Wer heute den Rattenfängern nachrennt, ist selber nicht in einer freiheitlich-demokratischen Werteordnung aufgewachsen. Im Gegenteil: Viele Menschen in den ostdeutschen Ländern machen die Demokratie für die Probleme der Arbeitslosigkeit, Abwanderung und Perspektivarmut verantwortlich. Die Zahl derer wächst, die allen Ernstes behaupten: Mit der Wende ist alles schlechter geworden. Der jährliche Milliarden-Transfer von West nach Ost hat bis heute nicht nur keinen "selbsttragenden Aufschwung" ausgelöst, sondern offenkundig Eigeninitiative gelähmt. Viele Menschen sind es gewohnt, nicht auf die eigene Kraft zu vertrauen, sondern alles vom Staat zu erwarten.

Die jungen Neonazis können sich selber kaum noch an die DDR-Zeit erinnern. Und viele ihrer Lehrer und Erzieher und leider auch manche Medien verfälschen die Geschichte derart, dass die deutsche Einheit als Ursache und nicht als Folge des ökonomischen Zusammenbruchs des SED-Regimes erscheint. Durch Veränderung des Namens hat sich die einstige SED aus der Verantwortung für die Zerstörung des Staates und seiner Menschen gestohlen und geriert sich - inzwischen fast ohne Widerspruch - als Sachwalter ostdeutscher Interessen. Kommunisten haben es immer verstanden, Begriffe zu besetzen und zu missbrauchen. So bietet sich die PDS/Die Linke heute am liebsten als die Partei des Friedens, der Gerechtigkeit und der Menschenrechte an.

PDS und NPD sind nicht die Antipoden im politischen Spektrum; sie sind sich in ihrer Agitation gegen die westliche parlamentarische Demokratie sehr ähnlich. Beide sind dort erfolgreich, wo sie die Ängste der Menschen schüren und für sich ausbeuten können. Bekämpfung des Extremismus von links und rechts erfordert deshalb immer zuerst die Stärkung von Demokratie und Zivilgesellschaft und die Erziehung zur Selbstverantwortung.

Der Wahlabend hat nicht nur die NPD gestärkt, sondern all jene Parteien, die nicht regieren, sondern innerhalb und außerhalb der Parlamente als Opposition auftreten, also die demokratischen Alternativen wie die Grünen und die Liberalen, ebenso wie die Kräfte außerhalb des demokratischen Spektrums. Besonders stark verloren haben entsprechend die beiden Regierungsparteien, also SPD im Nordosten der Republik, die PDS in der Hauptstadt. In Berlin und Mecklenburg-Vorpommern ist die Arbeitslosigkeit heute wie vor vier oder fünf Jahren besonders hoch, ebenso wie der Anteil der Menschen, die von staatlicher Unterstützung leben. Diese Menschen sind von ihren Regierungen enttäuscht, weil die Erwartungen zuvor so hoch waren.

Wer den etablierten demokratischen Parteien Versagen vorwirft und damit das Erstarken der Rechten erklärt, kann sich des öffentlichen Beifalls sicher sei. Dabei kann fairer Weise der wichtigste Vorwurf nur der sein, selber immer wieder unerfüllbare Erwartungen geweckt zu haben. Aber es ist eben eine Generationenaufgabe, die Erblast der SED-Diktatur abzutragen. Und daran mitzuwirken, ist nicht nur die Aufgabe einiger gewählter Volksvertreter, sondern aller Bürger. Nur so funktioniert und überlebt die Demokratie.