Mangas und Animes

Von Vanja Budde · 01.02.2007
Seit Ende der 90er Jahre hat sich rund um japanische Comics namens Manga eine eigene Jugendkultur entwickelt: mit Zeichentrickfilmen, Comicmagazinen und Videospielen. Mittlerweile haben sich auch deutsche Zeichner in diesem Markt etabliert - eine von ihnen ist Natalie Wormsbecher.
Natalie Wormsbecher sitzt klein und schmal in ihrem sehr aufgeräumten Zimmer am Schreibtisch. Mit raschen, zielstrebigen Bleistiftstrichen skizziert sie den herzförmigen Umriss eines Mädchengesichts. Dann die Augen: groß wie Seerosenteiche. Routiniert zieht sie die Linien mit Feder und Tusche nach. Natalie zeichnet seit ihrer Kindheit Bildergeschichten.

Natalie Wormsbecher: "Ich arbeite am liebsten traditionell mit der Hand. Es gibt auch Leute, die ihre Bilder komplett am Computer erstellen, aber zu denen gehöre ich nicht, weil ich auch ehrlich gesagt mit dem PC nicht so gut umgehen kann."

Aber natürlich gut genug, um ihre Mangas ins Internet zu stellen und sich per E-Mail mit anderen Mangaka auszutauschen. Neben Comicmessen und Conventions ist das weltweite Netz das Forum der deutschen Manga-Fans, erzählt Natalie. Sie trägt Jeans und Pulli, das glatte, dunkelblonde Haar offen und eine Brille im zarten, blassen Gesicht.

Natalie Wormsbecher: "Als ich noch jung war, da hatte ich Angst, meine Geschichten zu zeigen. Ich war schüchtern und so weiter. Aber mit der Zeit habe ich gelernt, dass es auch sehr aufregend sein kann, wenn man anderen Leuten seine Geschichten zeigt und dann Kommentare kommen wie ‚ach, das ist so toll’ und ‚ich würde gerne weiter lesen’. Da fühlt man sich dann auch erfüllt, weil es einfach schön ist, zu wissen, dass es Leute gibt, denen gefällt, was man macht."

Natalie Wormsbecher gibt dem Mädchengesicht auf dem Papier nun einen Körper: schmal und feingliedrig. In einer Schuluniform: brave Bluse, Faltenrock, Schleife im Haar. Natalies Comics spielen in Japan. Das dortige restriktive Schulsystem stört sie nicht, sagt die junge Frau, die gerade das Studium der Japanologie begonnen hat. Das frühere Exotenfach boomt an deutschen Unis, seit das Manga-Fieber hierzulande ausgebrochen ist.

Natalie Wormsbecher: "Vor allem ist es halt Zugehörigkeit, Angehörigkeit an eine Gruppe. Und das ist halt auch, was uns Manga-Fans verbindet: Weil wir gehören auch einer Gruppe an. Wir sind halt Manga-Fans und werden auch nicht von allen verstanden."

Die 20-jährige Natalie Wormsbecher gehört zur ersten Generation deutscher Jugendlicher, die nicht mehr mit Asterix und Obelix oder der Biene Maja aufgewachsen ist, sondern mit japanischen Comics und Zeichentrickfilmen, Videospielen und Magazinen. Mit einer Ästhetik, die vielen über 25 entweder hoffnungslos kitschig oder exotisch erscheint. Für Natalie aber haben die Mangas nichts Fremdes und auch ihre Lieblingsmusik stammt aus dem Soundtrack japanischer Zeichentrickfilme.

Natalie Wormsbecher: "Ungefähr 99: Da kamen zum ersten Mal im Fernsehen so die großen Animes, die Trickfilme. Da gab’s schon ’ne richtige Kultur, das war alles so im Untergrund entstanden. Und da begann auch die ganze Manga-Welle öffentlich zu werden. Da begann ich zu experimentieren mit dem Manga-Stil. Und damit habe ich meine Richtung gefunden. Ich hab auch gefühlt, dass ich meine Richtung gefunden habe, so etwas wie ’ach endlich! Endlich kann ich mich richtig ausdrücken’."

In Japan sind Mangas und Animes schon lange auch unter Erwachsenen Kult. Ein Beispiel für den Erfolg in Europa war die Berlinale 2002: Der Goldene Bär ging an "Chihiros Reise ins Zauberland" von dem japanischen Animationsmeister Hayao Miyazaki - und damit zum ersten Mal an einen Zeichentrickfilm. Zur Freude von Natalie Wormsbecher laufen Miyazakis märchenhafte Animes neuerdings im deutschen Fernsehen - und zwar zur Hauptsendezeit. Natalie selbst begibt sich nicht in rätselhafte Zwischenwelten voller geheimnisvoller Kreaturen. Sie bleibt auf dem Schulhof: Natalie ist auf Liebesgeschichten spezialisiert.

Natalie Wormsbecher: "Ich bin ja selber ein Mädchen und zeichne auch für Mädchen."

Die junge Frau greift ins Regal, wo ihre Werke sauber in Aktenordner abgeheftet auf Kante stehen. Sie setzt sich auf die bunte Tagesdecke mit Pokemon-Muster auf ihrem Bett, schlägt einen Ordner auf und blättert. Von hinten nach vorne - so werden Mangas gelesen - und von rechts nach links.

Dünne, hübsche Mädchen und androgyne Jungs mit lässigen Haarsträhnen im Gesicht und Glanzlichtern in den Mandelaugen offenbaren Natalies Zeichentalent. Im Wohnzimmer nebenan lärmt die kleine Nichte. Natalie lebt noch bei ihren Eltern, in einer Altbauwohnung im Hinterhaus an der Schönhauser Allee im Prenzlauer Berg. Ihre Schwester mit Kind wohnt ein Stockwerk tiefer.

Natalie Wormsbecher: "In der Story geht es um ein Mädchen, die ist in einen Jungen verliebt, aber der Junge weiß nichts davon."

Natalies Lovestorys unter Teenagern kamen bei einem Comic-Wettbewerb der Leipziger Buchmesse gut an. Mutig geworden schickte sie eine Auswahl an Tokyopop in Hamburg: einen der drei großen Manga-Verlage in Deutschland. Die sind händeringend auf Autorensuche, um den wachsenden Bedarf nach Mangas aus deutscher Feder zu befriedigen. "Summerrain" heißt der Band, den Natalie Wormsbecher bei Tokyopop veröffentlicht hat. Es geht um ein Mädchen, das sich zwischen zwei Jungs entscheiden muss. Beflügelt von diesem ersten Erfolg sitzt die Mangaka längst an neuen romantischen Geschichten. Außer ihrem Studium hat anderes hat in ihrem Leben zur Zeit kaum Platz.

Natalie Wormsbecher: "Mangas sind halt meine Hauptbeschäftigung, mein Beruf so zu sagen. Und da bin ich auch glücklich mit."