Manchmal sprechen sogar die Hunde
Martin Beckers neun Geschichten in dem Band "Ein schönes Leben" sind eine literarisch überhöhte Abrechnung mit der deutschen Kleinstadt. Diese Balladen vom komischen Unglück singen das Lied des Verfalls, beschwören Enge und Aussichtslosigkeit der Provinz. Trost gibt es nur bei einigen Wenigen, die in naiver Sturheit zu ihren Nächsten halten.
"Ich bin der führende Forscher für Kleinstadtepen, für demoskopische Enigmata, Sammler der menschlichen Katastrophen und sinnlosen Hingaben." In der letzten Erzählung dieses Buches, "Technische Heimatkunde", liefert Martin Becker das Programm für den ganzen Band nach: eine literarisch überhöhte Abrechnung mit der deutschen Kleinstadt.
"Ein schönes Leben", die Eröffnungsgeschichte, gibt die Tonlage vor, die von Sehnsucht bestimmt ist, von Ausbruchsphantasien, Depressionen, Vergeblichkeit, aber auch von einer erstaunlich beharrlichen Solidarität. Ein Mann, Odradek, pflegt seine geistig verwirrte Mutter, jahrein, jahraus. Eines Tages ist der Punkt erreicht, an dem er noch zwei Möglichkeiten sieht: entweder er hängt sich sofort auf dem Dachboden auf, oder er fährt ans Meer.
Nach einigem Schwanken entscheidet er sich für den Ausbruch an die See. Während seiner Abwesenheit kommt Heraklit von Ephesos in die kleine Stadt. Die Honoratioren, entzückt vom Besuch des Gelehrten, veranstalten ein Stadtfest mit allem Drum und Dran, mit Kapellen, Schützenfestkompanien, zu enthüllendem Heraklit-Denkmal, extra eingeflogenen Prostituierten.
Das Fest gerät umgehend zur Orgie, zur Massenschlägerei, zu einem großen Katzenjammer. Heraklit verlässt die Stadt wieder, seine Aufgabe in dieser Geschichte hat er erfüllt: zu beweisen, dass an diesem Ort nichts fließt. Die Stadt beschließt zwei neue Gesetze: niemand Fremdes darf hier mehr nächtigen; zweitens, wer weggeht, kommt nicht mehr rein, er könnte ein anderer sein. Nur Odradek kehrt zurück, um sich wieder um seine Mutter zu kümmern.
Martin Becker hat seine neun Geschichten mit wiederkehrenden Bildern verklammert. Hunde sind immer dabei, manchmal sprechen sie sogar. Der Schimmel hat sich in diesen Geschichten eingenistet, schwarz kriecht er die Wände hoch, mal hat er erst eine Ecke besetzt, mal schon ganze Zimmer mit einem modrigen Pelz bedeckt. Die Menschen werden von Missgunst, Misanthropie und Wahnsinn zerfressen.
Ein alter Mann lässt sich an seinem 70. Geburtstag von einem Auftragsmörder die Kehle durchschneiden. Er will damit der Festgesellschaft eins auswischen, die seinen Geburtstag mit ihm feiern wollte. Ein verwirrter Bauer schießt einen Wanderer über den Haufen, weil er den Fremden für böse hält. Ein "Kocher" geht um, ein Serienmörder, der alle erschlägt, die ihm die Türen öffnen.
Trost gibt es in dieser düsteren Welt nur bei einigen Wenigen, die in naiver Sturheit zu ihren Nächsten halten. Das können Söhne sein, die selbstvergessen ihre kranken Mütter betreuen, oder alte Männer, die ihre verglimmenden Kräfte sammeln, um für ihre Frauen wenigstens den Anschein eines heilen Lebens aufrechtzuerhalten. Oder es sind Nachbarn, die geduldig die Zimmerbrände löschen, wenn die alte Dame im Haus wieder mit brennender Zigarette eingeschlafen ist.
Am komischsten hat Martin Becker diese enge Welt in seiner Erzählung "Dem Schliff sein Tod" zugespritzt, mit der er in diesem Jahr beim Wettlesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis angetreten war. Der alleinstehende Herr Schliff bekommt einen vollautomatischen Kaffeeautomat für den mittelständischen Betrieb - lohnt sich ab 50 Mann Belegschaft! - geliefert. Sein anfänglicher Widerstand gegen die fehlgeleitete Lieferung welkt rasch dahin, er lässt sich das Automatenmonster in seine Wohnung einbauen, schon weil er mit der Suche nach verschwundenen Hunden und der Fürsorge für Herrn Jung beschäftigt ist. Herr Jung steigt immer in vollständiger Paradeuniform in die Dusche und leistet sich andere Seltsamkeiten.
Ja, Martin Beckers Geschichten singen das Lied des Verfalls, einmal mehr beschwören sie Enge und Aussichtslosigkeit der Provinz. Das ist thematisch recht monoton. Aber, Martin Beckers Sprachwitz, seine Übertreibungskunst und seine stille Sympathie mit den Helden seiner Geschichten, die machen diese Balladen vom komischen Unglück lesenswert.
Rezensiert von Frank Meyer
Martin Becker: Ein schönes Leben. Erzählungen
Luchterhand Literaturverlag, München 2007, 188 Seiten, 17,95 Euro
"Ein schönes Leben", die Eröffnungsgeschichte, gibt die Tonlage vor, die von Sehnsucht bestimmt ist, von Ausbruchsphantasien, Depressionen, Vergeblichkeit, aber auch von einer erstaunlich beharrlichen Solidarität. Ein Mann, Odradek, pflegt seine geistig verwirrte Mutter, jahrein, jahraus. Eines Tages ist der Punkt erreicht, an dem er noch zwei Möglichkeiten sieht: entweder er hängt sich sofort auf dem Dachboden auf, oder er fährt ans Meer.
Nach einigem Schwanken entscheidet er sich für den Ausbruch an die See. Während seiner Abwesenheit kommt Heraklit von Ephesos in die kleine Stadt. Die Honoratioren, entzückt vom Besuch des Gelehrten, veranstalten ein Stadtfest mit allem Drum und Dran, mit Kapellen, Schützenfestkompanien, zu enthüllendem Heraklit-Denkmal, extra eingeflogenen Prostituierten.
Das Fest gerät umgehend zur Orgie, zur Massenschlägerei, zu einem großen Katzenjammer. Heraklit verlässt die Stadt wieder, seine Aufgabe in dieser Geschichte hat er erfüllt: zu beweisen, dass an diesem Ort nichts fließt. Die Stadt beschließt zwei neue Gesetze: niemand Fremdes darf hier mehr nächtigen; zweitens, wer weggeht, kommt nicht mehr rein, er könnte ein anderer sein. Nur Odradek kehrt zurück, um sich wieder um seine Mutter zu kümmern.
Martin Becker hat seine neun Geschichten mit wiederkehrenden Bildern verklammert. Hunde sind immer dabei, manchmal sprechen sie sogar. Der Schimmel hat sich in diesen Geschichten eingenistet, schwarz kriecht er die Wände hoch, mal hat er erst eine Ecke besetzt, mal schon ganze Zimmer mit einem modrigen Pelz bedeckt. Die Menschen werden von Missgunst, Misanthropie und Wahnsinn zerfressen.
Ein alter Mann lässt sich an seinem 70. Geburtstag von einem Auftragsmörder die Kehle durchschneiden. Er will damit der Festgesellschaft eins auswischen, die seinen Geburtstag mit ihm feiern wollte. Ein verwirrter Bauer schießt einen Wanderer über den Haufen, weil er den Fremden für böse hält. Ein "Kocher" geht um, ein Serienmörder, der alle erschlägt, die ihm die Türen öffnen.
Trost gibt es in dieser düsteren Welt nur bei einigen Wenigen, die in naiver Sturheit zu ihren Nächsten halten. Das können Söhne sein, die selbstvergessen ihre kranken Mütter betreuen, oder alte Männer, die ihre verglimmenden Kräfte sammeln, um für ihre Frauen wenigstens den Anschein eines heilen Lebens aufrechtzuerhalten. Oder es sind Nachbarn, die geduldig die Zimmerbrände löschen, wenn die alte Dame im Haus wieder mit brennender Zigarette eingeschlafen ist.
Am komischsten hat Martin Becker diese enge Welt in seiner Erzählung "Dem Schliff sein Tod" zugespritzt, mit der er in diesem Jahr beim Wettlesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis angetreten war. Der alleinstehende Herr Schliff bekommt einen vollautomatischen Kaffeeautomat für den mittelständischen Betrieb - lohnt sich ab 50 Mann Belegschaft! - geliefert. Sein anfänglicher Widerstand gegen die fehlgeleitete Lieferung welkt rasch dahin, er lässt sich das Automatenmonster in seine Wohnung einbauen, schon weil er mit der Suche nach verschwundenen Hunden und der Fürsorge für Herrn Jung beschäftigt ist. Herr Jung steigt immer in vollständiger Paradeuniform in die Dusche und leistet sich andere Seltsamkeiten.
Ja, Martin Beckers Geschichten singen das Lied des Verfalls, einmal mehr beschwören sie Enge und Aussichtslosigkeit der Provinz. Das ist thematisch recht monoton. Aber, Martin Beckers Sprachwitz, seine Übertreibungskunst und seine stille Sympathie mit den Helden seiner Geschichten, die machen diese Balladen vom komischen Unglück lesenswert.
Rezensiert von Frank Meyer
Martin Becker: Ein schönes Leben. Erzählungen
Luchterhand Literaturverlag, München 2007, 188 Seiten, 17,95 Euro