"Manche stehen schwitzend neben dem Computer"
Drei Stunden spielend am PC, das sei meistens noch normal, sagt der Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Berliner Charité, Andreas Heinz. Wenn Jugendliche aber noch länger vor dem Rechner säßen, dann sollten Eltern alarmiert sein.
Katrin Heise: Die Entwickler von Computerspielen, die scheuen ja weder Aufwand noch Kosten, um die Faszination dieser Games immer weiter zu steigern. Die Branche boomt auch entsprechend – kaum ein Jugendlicher, der oder die nicht täglich vorm PC sitzt und spielt, oft stundenlang. Doch was passiert, wenn diese Faszination einen doch wirklich übermäßig großen Raum im Leben einnimmt? Laut einer Untersuchung der Berliner Humboldt-Universität stehen zusätzlich zu den fünf Prozent der aktuell Betroffenen etwa zehn Prozent der rund 40 Millionen deutschen Internetnutzer an der Schwelle zur Abhängigkeit. Onlinespiele stehen an erster Stelle, aber auch Chatrooms, Foren, andere soziale Netzwerke haben großes Suchtpotenzial. Das Phänomen gilt zwar heute noch nicht offiziell als Krankheit, ist aber natürlich klar erkannt. Ich begrüße den Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Berliner Charité, Andreas Heinz. Schönen guten Tag, Herr Heinz!
Andreas Heinz: Ja, schönen guten Tag!
Heise: Kann man das so einfach sagen, wann wird die Leidenschaft problematisch, wann sprechen Sie von Sucht?
Heinz: Nein, so einfach kann man es leider noch nicht sagen, weil es wenig Einigung gibt, aber letztendlich ist es ein Versuch, die Kriterien von Suchterkrankungen, wie man sie von stoffgebundenen Süchten – also Heroinabhängigkeit oder Alkoholabhängigkeit – kennt, zu übertragen.
Heise: Das kann man übertragen, ja? Was überträgt man da?
Heinz: Na ja, das Problem ist, man kann bestimmte Sachen sehr gut übertragen und andere nicht gut. Ein Grundkriterium ist natürlich, dass man eine Verhaltensweise durchführt, obwohl man sich dabei schädigt. Das ist aber jetzt, wie Sie sich vorstellen können, sehr von gesellschaftlichen Interpretationen abhängig, was als Schädigung gewertet wird. Ein Zweites, das ist dann relativ biologisch und das ist bei der Computerspielsucht eben oft nicht sehr ausgeprägt, das ist die Entzugssymptomatik. Wenn man sich an eine Substanz zum Beispiel gewöhnt, die das Gehirn beruhigt, wie Alkohol, und man lässt den plötzlich weg, dann hat man einen Übererregungszustand, den auch ein Laie schnell als Entzugssymptomatik erkennt.
Heise: Das heißt, was ist dann Sucht, Computersucht?
Heinz: Ja, lassen Sie mich sagen, so was gibt es bei Menschen, die am Computer spielen, nur weil das Computerspiel eben den Menschen nicht so beruhigt wie eine Droge, ist dieses Symptomatik meistens nicht so ausgeprägt. Und was dann übrig bleibt, woran man es am stärksten erkennt, das ist dieser starke Drang, das starke Verlangen, die Schwierigkeiten, nicht dran zu denken, wenn man nicht mehr spielt. Und das hat wahrscheinlich was mit einer gemeinsamen Endstrecke aller verschiedenen Süchte zu tun, nämlich dass man quasi mit bestimmten Handlungen im Gehirn Regionen anspricht, die einem quasi signalisieren, das solltest du unbedingt wieder machen.
Heise: Das heißt, was macht denn an diesen Spielen besonders süchtig? Hat man da in der Psychiatrie inzwischen Erkenntnisse?
Heinz: Ja, ein Stück weit schon. Also zum einen ist es ja so, dass Sie quasi bei all diesen Spielen erst mal eine ganz starke Belohnung oder Verstärkung bekommen. Da ist einmal der soziale Hintergrund. Am abhängig machendsten scheinen ja Spiele zu sein, wo Sie in der Gruppe spielen, wo Sie also zum Beispiel andere Onlinepartner haben, wo Sie nicht nur den Gewinn jetzt in der Auseinandersetzung oder in dem Kampf oder was immer da in der virtuellen Welt abläuft, erleben, sondern wo Sie dann auch noch den sozialen Zuspruch und den sozialen Rückhalt bekommen.
Heise: Aber auch Druck ja wahrscheinlich, immer dabei zu bleiben?
Heinz: Na klar, und wir brauchen auch noch ein bestimmtes Erregungsniveau, sonst wäre es langweilig. Aber die Kombination aus Gewinn, Aufregung und sozialen Zuspruch ist eben sehr belohnt. Und jetzt ist das mit den Computerspielen natürlich so anders als im richtigen Leben, dass es viel häufiger und schneller immer wieder hintereinander stattfindet.
Heise: Computerspiele, Onlinespiele, Internetnutzung, das ist ja nicht alles das Gleiche – in welchem Bereich liegt denn da die größte Gefährdung?
Heinz: Wahrscheinlich bei den Spielen, bei denen eben erstens soziale Interaktion stattfindet, also das Spiel, das man allein spielt und selber abstellen kann, ist meistens weniger drängend als das Spiel, das ohne einen weitergeht, weil einfach andere Spieler, während man den Computer abgestellt hat, neue Dinge tun oder die eigene Gruppe, Gilde oder wie immer das dann genannt wird, während man nicht mitspielt, auf einen wartet und dann hinterher böse ist. Das heißt, diese Verbindung von sozialem Druck und Spiel, die scheint am stärksten zu wirken.
Heise: Wenn ich mir jetzt so einen gefährdeten Menschen, also von Computersucht gefährdeten Menschen vorstelle, dann denke ich an einen jungen Mann, eher ein bisschen unsicher, alleine und im Alltag doch von Problemen umgeben.
Heinz: Also junger Mann ist nicht falsch, es sind deutlich mehr Männer oder Jungen als Mädchen oder Frauen, die das tun. Es ist eine große Faszination drin, dass man damit Seiten ausleben kann in einer gewissen Anonymität, die man im Alltagsleben vielleicht nicht ausleben kann. Das stimmt sicherlich, dass häufig Menschen mit sozialer Unsicherheit, Schüchternheit oder ähnlichen Kennzeichen da stärker involviert sind, gilt aber längst nicht für alle.
Heise: Das heißt, so den typisch Gefährdeten würden Sie auch jetzt gar nicht so beschreiben wollen?
Heinz: Na ja, typisch ist immer richtig, für das Typische ist es richtig, aber man sollte gucken, also auch Menschen, die weiß ich bestimmte Sachen gut ausleben können, können einfach der Faszination dieser Welten erliegen.
Heise: Denn also auch schicht- und bildungsabhängig ist das Problem nicht?
Heinz: Nein, so deutlich nicht, aber es ist natürlich schon so, häufig, wie so oft im Leben, sind Menschen, die sozial besser gestellt sind, dann doch mit mehr Angeboten konfrontiert gewesen in ihrer Entwicklung und haben vielleicht andere Alternativen gefunden. Also ein Stück weit schon, aber es ist wie bei allen Suchterkrankungen niemand wirklich davor gefeit.
Heise: Über Gefahren der Computer- und Internetsucht spreche ich mit Andreas Heinz von der Berliner Charité. Herr Heinz, wenn ein Jugendlicher nicht mehr aus seinem Zimmer kommt, dann ist das Problem, glaube ich, schon ziemlich groß – auf welche Zeichen sollten Lehrer und vor allem Eltern aber vorher reagieren?
Heinz: Na ja, einmal kann man wirklich nach den Zeiten schauen, wobei das natürlich …
Heise: Da hat man aber irgendwann nichts mehr zu sagen.
Heinz: Na ja, gut, aber man sollte gucken, ab wann man alarmiert ist, wobei die Zeiten natürlich sehr sozial abhängig sind. Also so um drei Stunden spielen viele Jugendliche, alles drüber raus ist ein wirkliches Warnzeichen. Aber auch drei Stunden können natürlich absolut falsch sein, wenn die nächste Klassenarbeit ansteht und man seit Tagen nicht gelernt hat oder Ähnliches.
Also man sollte das nicht verharmlosen, aber es gibt einen gewissen üblichen Computergebrauch, und das sind ungefähr, ja, wie Sie schon sagten, ein kleinerer Teil derer, die das tun, die dann wirklich mit dem Umfang dessen, was sie tun, aus dem Ruder laufen – das ist sicher das, was als Erstes auffällt. Und dann kann man ja wirklich schauen, wie ist es, wenn das Ganze abgestellt wird, sind die furchtbar unruhig. Manche stehen schwitzend neben dem Computer und können quasi es gar nicht aushalten, dass sie jetzt nicht spielen. Muss man dauernd dran denken, beschäftigt man sich mit nichts anderem mehr, erzählt man von nichts anderem mehr – das sind so Warnzeichen.
Heise: Ja, wenn man überhaupt noch was erzählt, oder? Also so am, was weiß ich, gemeinsamen Frühstückstisch. Computerspiele zu umgehen, das kann ich mir ja noch vorstellen, aber was macht denn ein Internetabhängiger? Man sagt ja auch bei Alkoholabhängigen, Alkohol ist gesellschaftlich nicht geächtet, deshalb ist es so schwer, abstinent zu sein – beim Internet ist es ja eigentlich noch schwerer, weil beruflich das zu umgehen, das ist unmöglich. Wie kommt man da los von der Sucht?
Heinz: Das ist auch absolut schwierig. Es ist sehr hilfreich, wenn man sich in Selbsthilfegruppen oder in therapeutisch geführte Gruppen begibt, in denen man dann auch andere soziale Kontakte aufbaut. Auch im Internet wird ja nicht einfach das Internet süchtig gebraucht, sondern irgendwas im Internet, also entweder die Spiele, von denen wir gesprochen haben, oder soziale Netzwerke oder Ähnliches. Und da ist natürlich auch eine gewisse Ersatzhandlung drin, dass man quasi sich über die virtuelle Welt miteinander vernetzt, statt mit Menschen zu sprechen, die man vielleicht real sieht, wo ja auch viel mehr Gefährdung ist, dass eine Kommunikation gleich schiefgeht und man dann auch persönlich gekannt wird. Aber genau so was kann man therapeutisch angehen.
Heise: Und das machen Sie dann auch, also das wird dann auch gemacht, dass man tatsächlich Strecken des Internets sozusagen sperrt für den Süchtigen?
Heinz: So was ist möglich, machen wir nicht, wir machen Gruppentherapie, in denen quasi mit den Leuten gesprochen wird. Das ist ja auch so für Alkoholabhängige: Es bringt ja nichts, wenn man dann in eine alkoholfreie Region zieht – die gibt es nirgends, man kann nicht alles sperren, sondern man muss lernen, damit umzugehen.
Heise: Wie groß ist denn da eigentlich das Hilfsangebot, weil ich hab ja gesagt, als Sucht beziehungsweise als Krankheit ist es ja so noch nicht anerkannt?
Heinz: Ja, das heißt, die Finanzierung durch die Kassen ist auch nicht gesichert, es sei denn, es liegt eine andere psychiatrische Erkrankung vor. Es gibt – wie das Café Beispiellos – es gibt Anlaufpunkte, wo man sich beraten lassen kann oder eben unsere Poliklinik, und es gibt auch bei Vivantes Herrn Bilke als Chef einer Kinderabteilung, der sich da drum kümmert. Es gibt einzelne Anlaufpunkte, noch nicht sehr viele.
Heise: Auch in anderen Städten Deutschlands.
Heinz: Auch in anderen Städten, ja.
Heise: Oder würden Sie auch sagen, vielleicht einfach von der Erfahrung her, das Älterwerden lässt diese Art von Sucht eigentlich auch schwinden, dass man vielleicht auch ein bisschen ruhiger reagieren sollte?
Heinz: Das sieht bisher so aus, aber das sind alles Querschnittsstudien. Das heißt, in den Querschnittsstudien sind das vor allem Jugendliche und junge Menschen, das heißt aber nicht, dass wir schon sicher wüssten, dass die tatsächlich, wenn sie älter werden, auch wieder davon lassen können. Man nimmt es an, wie so vieles, was man exzessiv betreibt – das gehört ja auch zum Jungsein, dass man wirklich sich für was interessiert und entflammt, das kann man jetzt auch nicht einfach schlechtreden, aber …
Heise: Sollte man ja auch nicht schlechtreden.
Heinz: Nein, auf gar keinen Fall, aber es ist nicht ganz klar, ob die, die quasi es gar nicht mehr beherrschen können, ob die tatsächlich mit den Jahren das besser in den Griff bekommen oder nicht – da fehlen wirklich gute Studien.
Heise: Das hieße doch eigentlich wirklich wieder mal Medienerziehung als Prävention?
Heinz: Ja, absolut. Ich glaube, wenn quasi in der Familie die Kommunikation schon fast zusammengebrochen ist und man sowieso kaum miteinander redet, das ist ein Schritt zu spät. Gut ist es, wenn man von Anfang an versucht, da in Austausch zu kommen und eben in Gottes Namen auch mit den Kindern am Anfang Regeln setzt. Denn wie Sie sagen, diese ganzen Programme sind ja nicht dafür gemacht, die Selbststeuerung zu steigern und dann auch abstellen zu können.
Heise: Wie groß ist denn eigentlich das Bewusstsein der Bevölkerung? Sie haben gestern eine öffentliche Lesung zum Thema abgehalten, kommen da viele?
Heinz: Ja, es war ziemlich voll, und es sind natürlich auch ganz viele, die nach den eigenen Kindern fragen. Das ist, glaube ich, das Entscheidende, selbst wenn die jetzt gar nicht – die Angst haben, dass die "süchtig werden", in Anführungszeichen, und zu den paar Prozent gehören, die es überhaupt nicht mehr im Griff haben, sondern es ist ja auch die Frage, was ist ein vernünftiger Umgang, wie wird das besprochen, was für Grenzen ziehen wir, wie verhindern wir, dass die dann auch noch, wenn sie sich treffen, irgendwie nebenher Gin trinken, wie mir jetzt eine Mutter erzählte, und so weiter.
Heise: Erfahrungen mit Computersucht – Andreas Heinz war das, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Berliner Charité. Herr Heinz, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Heinz: Vielen Dank ebenso!
Andreas Heinz: Ja, schönen guten Tag!
Heise: Kann man das so einfach sagen, wann wird die Leidenschaft problematisch, wann sprechen Sie von Sucht?
Heinz: Nein, so einfach kann man es leider noch nicht sagen, weil es wenig Einigung gibt, aber letztendlich ist es ein Versuch, die Kriterien von Suchterkrankungen, wie man sie von stoffgebundenen Süchten – also Heroinabhängigkeit oder Alkoholabhängigkeit – kennt, zu übertragen.
Heise: Das kann man übertragen, ja? Was überträgt man da?
Heinz: Na ja, das Problem ist, man kann bestimmte Sachen sehr gut übertragen und andere nicht gut. Ein Grundkriterium ist natürlich, dass man eine Verhaltensweise durchführt, obwohl man sich dabei schädigt. Das ist aber jetzt, wie Sie sich vorstellen können, sehr von gesellschaftlichen Interpretationen abhängig, was als Schädigung gewertet wird. Ein Zweites, das ist dann relativ biologisch und das ist bei der Computerspielsucht eben oft nicht sehr ausgeprägt, das ist die Entzugssymptomatik. Wenn man sich an eine Substanz zum Beispiel gewöhnt, die das Gehirn beruhigt, wie Alkohol, und man lässt den plötzlich weg, dann hat man einen Übererregungszustand, den auch ein Laie schnell als Entzugssymptomatik erkennt.
Heise: Das heißt, was ist dann Sucht, Computersucht?
Heinz: Ja, lassen Sie mich sagen, so was gibt es bei Menschen, die am Computer spielen, nur weil das Computerspiel eben den Menschen nicht so beruhigt wie eine Droge, ist dieses Symptomatik meistens nicht so ausgeprägt. Und was dann übrig bleibt, woran man es am stärksten erkennt, das ist dieser starke Drang, das starke Verlangen, die Schwierigkeiten, nicht dran zu denken, wenn man nicht mehr spielt. Und das hat wahrscheinlich was mit einer gemeinsamen Endstrecke aller verschiedenen Süchte zu tun, nämlich dass man quasi mit bestimmten Handlungen im Gehirn Regionen anspricht, die einem quasi signalisieren, das solltest du unbedingt wieder machen.
Heise: Das heißt, was macht denn an diesen Spielen besonders süchtig? Hat man da in der Psychiatrie inzwischen Erkenntnisse?
Heinz: Ja, ein Stück weit schon. Also zum einen ist es ja so, dass Sie quasi bei all diesen Spielen erst mal eine ganz starke Belohnung oder Verstärkung bekommen. Da ist einmal der soziale Hintergrund. Am abhängig machendsten scheinen ja Spiele zu sein, wo Sie in der Gruppe spielen, wo Sie also zum Beispiel andere Onlinepartner haben, wo Sie nicht nur den Gewinn jetzt in der Auseinandersetzung oder in dem Kampf oder was immer da in der virtuellen Welt abläuft, erleben, sondern wo Sie dann auch noch den sozialen Zuspruch und den sozialen Rückhalt bekommen.
Heise: Aber auch Druck ja wahrscheinlich, immer dabei zu bleiben?
Heinz: Na klar, und wir brauchen auch noch ein bestimmtes Erregungsniveau, sonst wäre es langweilig. Aber die Kombination aus Gewinn, Aufregung und sozialen Zuspruch ist eben sehr belohnt. Und jetzt ist das mit den Computerspielen natürlich so anders als im richtigen Leben, dass es viel häufiger und schneller immer wieder hintereinander stattfindet.
Heise: Computerspiele, Onlinespiele, Internetnutzung, das ist ja nicht alles das Gleiche – in welchem Bereich liegt denn da die größte Gefährdung?
Heinz: Wahrscheinlich bei den Spielen, bei denen eben erstens soziale Interaktion stattfindet, also das Spiel, das man allein spielt und selber abstellen kann, ist meistens weniger drängend als das Spiel, das ohne einen weitergeht, weil einfach andere Spieler, während man den Computer abgestellt hat, neue Dinge tun oder die eigene Gruppe, Gilde oder wie immer das dann genannt wird, während man nicht mitspielt, auf einen wartet und dann hinterher böse ist. Das heißt, diese Verbindung von sozialem Druck und Spiel, die scheint am stärksten zu wirken.
Heise: Wenn ich mir jetzt so einen gefährdeten Menschen, also von Computersucht gefährdeten Menschen vorstelle, dann denke ich an einen jungen Mann, eher ein bisschen unsicher, alleine und im Alltag doch von Problemen umgeben.
Heinz: Also junger Mann ist nicht falsch, es sind deutlich mehr Männer oder Jungen als Mädchen oder Frauen, die das tun. Es ist eine große Faszination drin, dass man damit Seiten ausleben kann in einer gewissen Anonymität, die man im Alltagsleben vielleicht nicht ausleben kann. Das stimmt sicherlich, dass häufig Menschen mit sozialer Unsicherheit, Schüchternheit oder ähnlichen Kennzeichen da stärker involviert sind, gilt aber längst nicht für alle.
Heise: Das heißt, so den typisch Gefährdeten würden Sie auch jetzt gar nicht so beschreiben wollen?
Heinz: Na ja, typisch ist immer richtig, für das Typische ist es richtig, aber man sollte gucken, also auch Menschen, die weiß ich bestimmte Sachen gut ausleben können, können einfach der Faszination dieser Welten erliegen.
Heise: Denn also auch schicht- und bildungsabhängig ist das Problem nicht?
Heinz: Nein, so deutlich nicht, aber es ist natürlich schon so, häufig, wie so oft im Leben, sind Menschen, die sozial besser gestellt sind, dann doch mit mehr Angeboten konfrontiert gewesen in ihrer Entwicklung und haben vielleicht andere Alternativen gefunden. Also ein Stück weit schon, aber es ist wie bei allen Suchterkrankungen niemand wirklich davor gefeit.
Heise: Über Gefahren der Computer- und Internetsucht spreche ich mit Andreas Heinz von der Berliner Charité. Herr Heinz, wenn ein Jugendlicher nicht mehr aus seinem Zimmer kommt, dann ist das Problem, glaube ich, schon ziemlich groß – auf welche Zeichen sollten Lehrer und vor allem Eltern aber vorher reagieren?
Heinz: Na ja, einmal kann man wirklich nach den Zeiten schauen, wobei das natürlich …
Heise: Da hat man aber irgendwann nichts mehr zu sagen.
Heinz: Na ja, gut, aber man sollte gucken, ab wann man alarmiert ist, wobei die Zeiten natürlich sehr sozial abhängig sind. Also so um drei Stunden spielen viele Jugendliche, alles drüber raus ist ein wirkliches Warnzeichen. Aber auch drei Stunden können natürlich absolut falsch sein, wenn die nächste Klassenarbeit ansteht und man seit Tagen nicht gelernt hat oder Ähnliches.
Also man sollte das nicht verharmlosen, aber es gibt einen gewissen üblichen Computergebrauch, und das sind ungefähr, ja, wie Sie schon sagten, ein kleinerer Teil derer, die das tun, die dann wirklich mit dem Umfang dessen, was sie tun, aus dem Ruder laufen – das ist sicher das, was als Erstes auffällt. Und dann kann man ja wirklich schauen, wie ist es, wenn das Ganze abgestellt wird, sind die furchtbar unruhig. Manche stehen schwitzend neben dem Computer und können quasi es gar nicht aushalten, dass sie jetzt nicht spielen. Muss man dauernd dran denken, beschäftigt man sich mit nichts anderem mehr, erzählt man von nichts anderem mehr – das sind so Warnzeichen.
Heise: Ja, wenn man überhaupt noch was erzählt, oder? Also so am, was weiß ich, gemeinsamen Frühstückstisch. Computerspiele zu umgehen, das kann ich mir ja noch vorstellen, aber was macht denn ein Internetabhängiger? Man sagt ja auch bei Alkoholabhängigen, Alkohol ist gesellschaftlich nicht geächtet, deshalb ist es so schwer, abstinent zu sein – beim Internet ist es ja eigentlich noch schwerer, weil beruflich das zu umgehen, das ist unmöglich. Wie kommt man da los von der Sucht?
Heinz: Das ist auch absolut schwierig. Es ist sehr hilfreich, wenn man sich in Selbsthilfegruppen oder in therapeutisch geführte Gruppen begibt, in denen man dann auch andere soziale Kontakte aufbaut. Auch im Internet wird ja nicht einfach das Internet süchtig gebraucht, sondern irgendwas im Internet, also entweder die Spiele, von denen wir gesprochen haben, oder soziale Netzwerke oder Ähnliches. Und da ist natürlich auch eine gewisse Ersatzhandlung drin, dass man quasi sich über die virtuelle Welt miteinander vernetzt, statt mit Menschen zu sprechen, die man vielleicht real sieht, wo ja auch viel mehr Gefährdung ist, dass eine Kommunikation gleich schiefgeht und man dann auch persönlich gekannt wird. Aber genau so was kann man therapeutisch angehen.
Heise: Und das machen Sie dann auch, also das wird dann auch gemacht, dass man tatsächlich Strecken des Internets sozusagen sperrt für den Süchtigen?
Heinz: So was ist möglich, machen wir nicht, wir machen Gruppentherapie, in denen quasi mit den Leuten gesprochen wird. Das ist ja auch so für Alkoholabhängige: Es bringt ja nichts, wenn man dann in eine alkoholfreie Region zieht – die gibt es nirgends, man kann nicht alles sperren, sondern man muss lernen, damit umzugehen.
Heise: Wie groß ist denn da eigentlich das Hilfsangebot, weil ich hab ja gesagt, als Sucht beziehungsweise als Krankheit ist es ja so noch nicht anerkannt?
Heinz: Ja, das heißt, die Finanzierung durch die Kassen ist auch nicht gesichert, es sei denn, es liegt eine andere psychiatrische Erkrankung vor. Es gibt – wie das Café Beispiellos – es gibt Anlaufpunkte, wo man sich beraten lassen kann oder eben unsere Poliklinik, und es gibt auch bei Vivantes Herrn Bilke als Chef einer Kinderabteilung, der sich da drum kümmert. Es gibt einzelne Anlaufpunkte, noch nicht sehr viele.
Heise: Auch in anderen Städten Deutschlands.
Heinz: Auch in anderen Städten, ja.
Heise: Oder würden Sie auch sagen, vielleicht einfach von der Erfahrung her, das Älterwerden lässt diese Art von Sucht eigentlich auch schwinden, dass man vielleicht auch ein bisschen ruhiger reagieren sollte?
Heinz: Das sieht bisher so aus, aber das sind alles Querschnittsstudien. Das heißt, in den Querschnittsstudien sind das vor allem Jugendliche und junge Menschen, das heißt aber nicht, dass wir schon sicher wüssten, dass die tatsächlich, wenn sie älter werden, auch wieder davon lassen können. Man nimmt es an, wie so vieles, was man exzessiv betreibt – das gehört ja auch zum Jungsein, dass man wirklich sich für was interessiert und entflammt, das kann man jetzt auch nicht einfach schlechtreden, aber …
Heise: Sollte man ja auch nicht schlechtreden.
Heinz: Nein, auf gar keinen Fall, aber es ist nicht ganz klar, ob die, die quasi es gar nicht mehr beherrschen können, ob die tatsächlich mit den Jahren das besser in den Griff bekommen oder nicht – da fehlen wirklich gute Studien.
Heise: Das hieße doch eigentlich wirklich wieder mal Medienerziehung als Prävention?
Heinz: Ja, absolut. Ich glaube, wenn quasi in der Familie die Kommunikation schon fast zusammengebrochen ist und man sowieso kaum miteinander redet, das ist ein Schritt zu spät. Gut ist es, wenn man von Anfang an versucht, da in Austausch zu kommen und eben in Gottes Namen auch mit den Kindern am Anfang Regeln setzt. Denn wie Sie sagen, diese ganzen Programme sind ja nicht dafür gemacht, die Selbststeuerung zu steigern und dann auch abstellen zu können.
Heise: Wie groß ist denn eigentlich das Bewusstsein der Bevölkerung? Sie haben gestern eine öffentliche Lesung zum Thema abgehalten, kommen da viele?
Heinz: Ja, es war ziemlich voll, und es sind natürlich auch ganz viele, die nach den eigenen Kindern fragen. Das ist, glaube ich, das Entscheidende, selbst wenn die jetzt gar nicht – die Angst haben, dass die "süchtig werden", in Anführungszeichen, und zu den paar Prozent gehören, die es überhaupt nicht mehr im Griff haben, sondern es ist ja auch die Frage, was ist ein vernünftiger Umgang, wie wird das besprochen, was für Grenzen ziehen wir, wie verhindern wir, dass die dann auch noch, wenn sie sich treffen, irgendwie nebenher Gin trinken, wie mir jetzt eine Mutter erzählte, und so weiter.
Heise: Erfahrungen mit Computersucht – Andreas Heinz war das, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Berliner Charité. Herr Heinz, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Heinz: Vielen Dank ebenso!