"Man weiß, worauf man sich einlässt"

Georg Stötzel im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 26.03.2010
Georg Stötzel, emeritierter Professor der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität, versucht zu erklären, warum Vergleich mit dem Nationalsozialismus immer wieder schiefgehen. "Alle, die glauben, sie hätten das Recht und die Moral auf ihrer Seite, sind anfällig dafür", sagte der Linguist.
Jörg Degenhardt: Es gibt nicht viele Sachen, die es eigentlich nicht geben darf, trotzdem treten sie immer wieder auf. Vergleiche mit dem Nationalsozialismus etwa gehören dazu. Der Regensburger Bischof Müller warf jüngst in der Missbrauchsdebatte den Medien eine kirchenfeindliche Haltung vor und zog Vergleiche zur NS-Zeit. Nicht nur bei Journalisten war die Empörung groß. Vergleichsunfälle wie diese gibt es in Deutschland immer wieder.

Mein Gesprächspartner ist jetzt der Sprachforscher und Autor Georg Stötzel. Guten Morgen, Herr Stötzel.

Georg Stötzel: Guten Morgen!

Degenhardt: Ich habe gerade von Ausrutschern gesprochen. Das ist wahrscheinlich nicht korrekt, denn die meisten Vergleiche, etwa von Politikern oder auch von Kirchenvertretern, die werden doch bewusst angestellt, oder?

Stötzel: Ja, klar. Man weiß ja, wie unser Gespräch beweist, dass man damit in die Presse oder in die Medien kommt.

Degenhardt: Sind neben Politikern eigentlich Kirchenvertreter besonders anfällig für Nazi-Vergleiche?

Stötzel: Alle, die glauben, sie hätten das Recht und die Moral auf ihrer Seite, sind anfällig dafür. Es gibt auch Sprüche, "Gorleben ist Holocaust", oder "Holocaust auf ihrem Teller" von einer Tierschutzorganisation, aber es gibt natürlich auch eine ganze Reihe solcher Vergleiche von Kirchenseiten aus.

Der Papstbesuch in Jerusalem war ja 2009 gefährdet, weil ein Kardinal, Raffaele Martino, Gaza mit KZ verglichen hat. Oder auch Herr Lehmann musste sich ja 2007 entschuldigen für einen NS-Vergleich, wo auch Gaza mit Ghetto verglichen worden ist.

Degenhardt: Warum gibt es immer wieder diese Bezüge zur NS-Zeit? Einen Grund haben Sie schon kurz angesprochen: Man kann damit natürlich maximale Aufmerksamkeit erzielen. Aber ist es dieser Grund alleine? Steckt vielleicht auch Unwissenheit dahinter?

Stötzel: Bei den Personen, die wir jetzt genannt haben, doch eigentlich nicht. Es gab ganz früher Versuche zu sagen, zum Beispiel von Enzensberger, zu sagen, wenn man sagt, bis zur Vergasung, dann hätte man kein historisches Bewusstsein. Er meinte aber damals Leute, die tatsächlich kein historisches Bewusstsein hatten, Arbeiter in Vorortzügen, wie es hieß.

Heute muss man unterstellen, dass man weiß, worauf man sich einlässt. Das heißt, es gibt schon Konventionen, wie man diese Vergleiche kommentiert, und diese Vergleiche gibt es seit 1945/46. Es gibt aus der Zeit sogar Belege, wo sich Leute rühmen, ein zweiter Hitler zu sein, weil sie nämlich die Organisationsfähigkeit hätten.

Degenhardt: Wenn ich da noch mal nachfragen darf, Herr Stötzel. Wann würden Sie denn einen Vergleich bedenklich finden, wenn konkrete Namen fallen wie Hitler oder Göbbels, oder reichen schon einzelne Vokabeln aus jener Zeit?

Stötzel: Wir untersuchen ja, wer was bedenklich findet, und Sie merken ja, als jetzt von Müller die Presse angegriffen wurde, dann äußert sich auch der Deutsche Presserat. Es äußern sich immer die, die natürlich erkennen, welche Verharmlosungspotenz in solchen Vergleichen steckt, nämlich der Zentralrat der Juden, also zuletzt eben auch Frau Knobloch.

Degenhardt: Wem würden Sie denn Nazi-Vergleiche zugestehen? Satirikern?

Stötzel: Das ist sehr schwer zu entscheiden. Was Sie gerade fragen, hängt fast zusammen mit der Freiheit von Kunst und Wissenschaft, und das kann ich nicht beurteilen. Wenn das beurteilt werden muss, dann können solche Sachen bis vors Bundesverfassungsgericht gehen.

Degenhardt: Nun zeigen wir gelegentlich (wir Medien) mit dem Finger auf Politiker. Wie ist das mit unserer Alltagssprache? Schleichen sich da nicht auch, ich sage es mal, belastende Begriffe ein? Mancher zuckt zusammen, wenn von Gas geben die Rede ist. Ich habe gelesen, Mädel ist zum Beispiel auch ein Begriff, den wir gebrauchen und der eigentlich belastet ist.

Stötzel: Nein. Da würde ich sagen, die wirklich belasteten sind eigentlich auch bekannt. Man muss davon ausgehen, dass es in unserer Gesellschaft, die natürlich mit diesen Millionen Morden wirklich nicht fertig werden kann, eine gewisse, ich würde fast sagen, hysterische Überempfindlichkeit gibt.

Also Mädel ist ja zunächst mal regional süddeutsch und es stimmt schon, dass die Nazis Mädel in Institutionenbezeichnungen verwendet haben, aber allein die Verwendung ist ja sozusagen geschuldet, dass die Nazis auch Deutsch sprachen, und man kann nicht jedes Wort, was da im Gebrauch sogar charakteristisch ist, als belastet sozusagen verteufeln. Das ist die andere Seite der Verharmlosung, würde ich sagen.

Degenhardt: Warum gibt es immer wieder Nazi-Vergleiche? Darüber sprach ich mit dem Sprachforscher und Autor Georg Stötzel. Vielen Dank für das Gespräch.

Stötzel: Nichts zu danken. Gerne!