"Man tötet, um Erdöl zu kontrollieren"

30.05.2012
Der Schweizer Historiker und Friedensforscher Daniele Ganser hält es für entscheidend, vom Erdöl als Energiequelle wegzukommen. Anderenfalls drohten "endlose Ressourcenkriege", warnt er.
Nana Brink: Peak Oil ist ein modernes Schlagwort geworden und bezeichnet den Zeitpunkt, an dem das Maximum an Ölförderung erreicht ist. Und was passiert dann, fragen Sie sich? Wie lange haben wir noch Öl und Gas und wer wird sie haben? Welche Kriege werden um dieses kostbare Gut geführt werden? Wie entscheidend diese Fragen sind, hat man nicht nur an den Golfkriegen gesehen, sondern jüngst auch wieder in Libyen.

Und diese Frage stellt sich schon lange eine Runde von Experten, die sogenannten ASPO, Association for the Study of the Peak Oil and Gas. Und die ASPO tagt gerade in Wien, und einer der Vortragenden auf diesem Kongress ist Professor Daniele Ganser, Historiker und Leiter des Swiss Institute for Peace and Energy Research, also Energieforschung, und er ist jetzt bei uns am Telefon der "Ortszeit".

Blicken wir aus aktuellem Anlass nach Syrien, das Töten hält ja an, die Weltgemeinschaft schaut mehr oder weniger tatenlos zu, weist Diplomaten aus, auch, weil es da nichts zu holen gibt? Kein Öl?

Daniele Ganser: Nun, Syrien ist ein komplexer Fall, aber es ist ein Land, das ganz nahe an den großen Erdölquellen liegt. Das heißt, es gibt in Syrien wenig Erdölförderung, es gibt eine ganz kleine, aber die ist nicht so wichtig. Wichtiger aus geostrategischer Sicht ist eigentlich die Nähe zum Irak – Syrien ist ja Nachbarland vom Irak –, und darum sind internationale Akteure in diesem Syrienkonflikt engagiert. Auf der einen Seite sind das die Saudis, das ist ja das Land mit den größten Erdölreserven, die sind aktiv in Syrien drin, unterstützen die Gegner von Assad, auch die USA sind in Syrien aktiv, unterstützen auch die Gegner von Assad – also Assad, den Herrscher Syriens –, und der Iran ist auf der anderen Seite und stützt Assad. Also wir haben auch hier sozusagen Erdöl-Players, die um Syrien ringen.

Brink: Gerade die Situation im Iran, weil Sie das Land auch angesprochen haben – das liegt ja alles in der Nähe –, dort greift ab dem ersten Juli ja das europäische Ölembargo, also kein iranisches Öl mehr nach Europa. Und die Iraner drohen ja immer wieder gerne mit der Blockade der Straße von Hormus, durch die ja ein Fünftel des Rohöltransportes geht. Droht da der nächste Konflikt um Öl?

Ganser: Ja, die USA und Israel sagen, sie wollen den Iran angreifen, um zu verhindern, dass der Iran eine Atommacht wird. Ich meine, es wäre sehr, sehr schlimm, wenn es zu einem solchen Krieg kommen würde. Israel und die USA sollten den Iran nicht angreifen, weil man muss das ein bisschen ins Verhältnis rücken. Der Iran hat im Moment keine Atombombe, die USA und Israel haben eine Atombombe, und der Iran hat Angst, dass er angegriffen wird.

Das heißt, das ist diese Erfahrung des Angriffskrieges 2003, als die USA eben sozusagen den Irak angegriffen haben, und die Iraner wissen natürlich, dass sie sehr große Erdölreserven haben, und sie versuchen im Moment, diese Erdölreserven zu schützen. Ich hoffe nicht, dass es zu diesem Konflikt kommt. Wenn er kommt – das sagen Sie richtig –, ist diese Straße von Hormus – das ist also im Persischen Golf ganz im Süden –, ist natürlich fragil, die kann sozusagen gesperrt werden, da kann es dann zu starken Erhöhungen des Erdölpreises kommen.

Der ganze Persische Golf im Übrigen ist seit der Peak-Oil-Diskussion noch viel stärker in den Vordergrund gerückt, weil es ist im Moment so, dass in Europa die Erdölförderung zurückgeht, das ist ganz vielen nicht bekannt, aber in Norwegen und in Großbritannien ist das Fördermaximum Peak Oil erreicht, die Produktion geht zurück. Auch in Indonesien ist das Erdölfördermaximum Peak Oil erreicht, die Produktion geht dort zurück. Auch in Mexiko ist die Förderung an ein Maximum gestoßen, Förderung geht zurück, und darum achten nun Chinesen, Japaner, Amerikaner und auch die EU so auf den Golf, weil dort hat es noch viel Öl und Gas.

Brink: Also ist dort auch der zentrale Punkt, wo sich Konflikte in der Zukunft um Energien austragen werden?

Ganser: Ja, das glaube ich. Leider ist das so – es ist aber auch so, dass das schon seit einiger Zeit so ist. Also 2003 war der Angriff von Großbritannien und der USA auf den Irak, 1990 hatten wir die Invasion von Kuwait. Da war also zuerst Saddam Hussein, der Irak, der Kuwait überfallen hat. Und dann hatten Sie die von den USA angeführte internationale Koalition, die dann sozusagen Saddam Hussein aus Kuwait wieder vertrieben hat, und – und das ist der wesentliche Punkt – danach in Kuwait fixe Militärbasen aufgebaut hat, um eben lokal das Erdöl zu kontrollieren. Diese Militärbasen hat man bis heute nicht abgebaut.

Brink: Also habe ich sie dann richtig verstanden, es geht natürlich nicht um Menschenrechte, sondern um wirtschaftliche Interessen? War das auch bei Libyen der Fall, wo vor allem italienische und französische Interessen im Ölgeschäft ja auch zu einem Eingreifen geführt haben?

Ganser: Ja, das ist meine feste Überzeugung, dass in erster Linie diese Kriege Wirtschaftskriege sind. Das heißt, man nimmt eigentlich seine eigenen Interessen wahr. Und das tun die europäischen Länder als eben auch die Amerikaner – natürlich erzählt man gegenüber dem eigenen Volk nicht: Dort im anderen Land gibt es Erdöl, wir erbeuten jetzt dieses Erdöl und töten die Leute, die dagegen sind. Obwohl das letztlich getan wird, ja, man tötet, um Erdöl zu kontrollieren. Also das wird so nicht dargelegt.

Man sagt dann, es geht um Massenvernichtungswaffen im Falle von Irak, oder man sagt dann, in Libyen geht es um Menschenrechte. Aber wenn Sie es genauer anschauen, dann sehen Sie eigentlich, dass man nur über Menschenrechte in Libyen berichtet hat vor dem März 2011, also genau bevor der Krieg angefangen hat. Und danach, jetzt haben wir wieder Probleme mit Menschenrechten, in Libyen wird wieder gefoltert, die Leute, die durch die NATO an die Macht gekommen sind, foltern ihre früheren Gegner.Die foltern jetzt den Gaddafi-Clan. Das interessiert jetzt im Moment gar niemanden mehr.

Brink: Aber – pardon – wenn ich sie ganz kurz unterbrechen darf, Herr Ganser: Sie haben gesagt, Interessen werden in Libyen durchgesetzt, wie muss ich mir das denn vorstellen?

Ganser: Sie müssen sich das so vorstellen, dass in einem Erdölland die Erdölförderung staatlich ist. Das heißt, im Irak und in Libyen, das sind beides Mitglieder der OPEC, das sind die Länder, die wirklich große Erdölreserven haben. Und da entscheidet also letzten Endes die Regierung über den Erdölminister, wer jetzt in diesem Land wie viel Erdöl fördern darf. Und dann müssen Sie immer mit diesen Machthabern argumentieren, also mit Gaddafi in Libyen oder mit Hussein im Irak. Und es ist eben so, Hussein wurde erhängt, und Gaddafi - auch irgendwie ist er gestorben und ist in der Wüste verscharrt worden -, und jetzt ist natürlich die ganze Situation neu. Der Zugang zum Erdöl wird neu verhandelt. Im Irak haben wir verschiedene Formen der Privatisierung, in Libyen ist noch nicht klar, welche Teile jetzt Total und Eni sich ausbedingen – also Eni, der italienische Erdölkonzern, Total der französische. Aber man muss, wenn man die Erdölkonzerne …

Brink: Aber die sind dort aktiv, die sind schon dort aktiv?

Ganser: Ja. Ja.

Brink: Wie denn, wissen Sie das?

Ganser: Ja, das weiß man nicht ganz genau, wie das jetzt in Libyen sich entwickelt. In der ersten Linie versucht ein Erdölkonzern natürlich, dort Erdöl zu fördern, wo es erstens gutes Erdöl gibt, und wo dieses Erdöl günstig zu fördern ist, weil der Erdölkonzern gewinnt ja an der Marge, also wenn er mit einem Aufwand von 20 Dollar das Fass aus dem Boden in Libyen bekommt und derzeit 100 Dollar geboten werden für das Fass, gewinnt er mit jedem Fass 80 Dollar.

Und wenn Sie umgekehrt im Ölsand in Kanada fördern – vielleicht haben Sie da schon Bilder gesehen, da wird die ganze Landschaft umgepflügt, um diesen Ölsand zu gewinnen –, aber dieser Ölsand, der ist selber sehr, sehr teuer, und an Gewinn …, da haben sie etwa 60 Dollar, die sie da mindestens brauchen, um diesen Ölsand zu gewinnen. Also die machen schon wieder dann viel kleiner, und darum sind die OPEC-Länder so interessant. Da ist noch viel Erdöl, es ist relativ günstiges Erdöl, und darum bin ich fest davon überzeugt, dass es wichtig ist, in Zukunft vom Erdöl wegzukommen, weil sonst verstricken wir uns in endlose Ressourcenkriege.

Brink: Professor Daniele Ganser, Historiker und Leiter des Swiss Institute vor Peace and Energy Research. Schönen Dank für das Gespräch!


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