Man sondiert sich

Von Karl-Heinz Gehm · 22.09.2005
Na also. In der Hauptstadt wird nach hoch kompliziertem Wahlergebnis in Sachen Regierungsbildung fleißig sondiert, und allmählich wächst bei den Beteiligten die Einsicht. Die Erkenntnis darüber, was politisch möglich ist und was nicht, will sagen: wo politische Traumtänzerei beginnt.
Die beginnt dort, wo von Ampelkoalitionen und in gleichem Atemzug von einer stabilen Regierung fabuliert wird. Den Grünen war dieser Unsinn von Anfang an klar. Guido Westerwelle ist dabei, das zu begreifen. Mag er auch unverdrossen noch etliche Girlanden reden über die staatstragende Bedeutung seiner Sondierungsgespräche mit der Union.

Bei Lichte besehen aber hat Westerwelle die Bedeutung dieser Gespräche heute stark relativiert. Hat er doch, was die Zahl seiner innerparteilichen Anhänger kaum erhöhen wird, seinen Parteifreund Gerhardt einmal mehr degradiert. Der darf in einigen Monaten sein Amt als Fraktionsvorsitzender an Westerwelle abtreten. Dann könnte der einst künftige Außenminister Gerhardt die Außenpolitik von der Spitze der Friedrich-Naumann-Stiftung aus verfolgen.

So wird denn morgen ein weiteres Sondierungsgespräch über die Bühne gehen,
diesmal ein schwarz-grünes. Das dürfte eher formalen Charakter haben, aber keine Perspektive, zumindest für diesmal.

Denn heute haben sich Union und SPD im Kleinstkreise, Kanzler und Kandidatin inklusive, mit der Vorstellung vertraut gemacht, dass es nur auf eine große Koalition hinauslaufen kann. Und dies auf vier Jahre, wenn das Land tatsächlich von einer stabilen Regierung geführt werden soll.

Die SPD hat denn auch flugs eine zwar kühne, aber etwas realitätsferne Schlagzeile dementiert, sie wolle quasi auf dem Geschäftsordnungswege Schröder die Kanzlerschaft bewahren. Also ist dann für die nächste Woche ein weiteres schwarz-rotes Treffen anberaumt, in dem die einzelnen politischen Felder abgeklopft werden hinsichtlich möglicher Gemeinsamkeiten.

Von Führung und Regierungsauftrag und wer denn nun Kanzler oder Kanzlerin sein werde, war öffentlich Aug in Aug mit einer Hundertschaft von Journalisten die Rede. Die SPD beharrt darauf, die Union natürlich auch. In Sachen künftiger

Kanzlerschaft ist derzeit noch ein Personalüberhang zu registrieren, Wissen doch alle Beteiligten, dass es zur politischen Grundausstattung gehört, dieses Thema intern erst zu erörtern, wenn die Sachfragen leidlich geklärt sind.

Mag die Interessenlage Angela Merkels auch eine ganz andere sein. Sie wird warten müssen, bis die SPD sich bekennt. Und wenn Schröder dann mit einer großen Geste im Interesse des Landes auf die Kanzlerschaft verzichtet, wird die Kandidatin Merkel wohl gar nicht mehr zur Verfügung stehen. Denn die Zeiten ändern sich schnell. Am schnellsten unter Parteifreunden.
Bundeskanzler Gerhard Schröder und der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering auf dem Weg zu den ersten Sondierungs- gesprächen mit der Union.
Ebenfalls auf dem Weg: Gerhard Schröder und Franz Müntefering© AP