„Man soll die Braut nicht vor dem Morgen loben“

Moderation: Martin Risel |
Beim weltweiten Konzertereignis „Live 8“, das am Samstagabend in acht Ländern über die Bühne geht, treten in Berlin auch die „Toten Hosen“ auf. Die Veranstalter wollen damit die Dritte Welt unterstützen. Der Sänger Campino empfiehlt, anschließend zum G8-Gipfel nach Edinburgh zu reisen, um dort Druck auf die Regierungen auszuüben.
Risel: Das war „Love is the drug“ live mit „Roxy Music“. Die werden morgen Abend am Ende des „Live 8“-Konzertes in Berlin spielen und am Anfang treten die „Toten Hosen“ auf. Bei mir am Telefon ist jetzt ihr Sänger Campino. Guten Morgen und Hallo!

Campino: Einen wunderschönen guten Morgen!

Risel: Das wird sicher kein ganz normaler Auftritt werden morgen. Mit welchen Gefühlen und welchen Songs gehst du denn auf die Bühne?

Campino: Mit den Liedern haben wir es so ausgemacht, dass wir uns bis zehn Minuten vor Schluss jede Möglichkeit offen lassen wollen. Aber wenn wir tatsächlich die Ersten sein werden, ist es natürlich an uns, so eine Art Wake-up-call zu veranstalten, und dann soll es auch ein bisschen krachen. Für mich ist diese ganze Veranstaltung allerdings nicht wie ein Konzert. Wir sind da ein kleines Rad in einer großen Bewegung, und ob wir dabei sind oder nicht, würde kaum auffallen. Es geht um die Idee, die steht über jedem Künstler, der da ist, und ich würde mir wünschen, dass das Wetter halbwegs erträglich ist, und dass ganz viele Leute auf der Straße sind und sich hinter die Idee des Konzertes stellen: Schuldenerlass für Afrika, Abbau der Handelsbeschränkungen, Steigerung der Entwicklungshilfe. Das sind ja die Kernpunkte.

Risel: Nun gab es ja gerade in Deutschland wenig Unterstützung und umso mehr Kritik am „Live 8“-Projekt von Bob Geldof. Du kennst ihn sicher auch persönlich, wie siehst du die Reaktion hier zu Lande?


Campino: Ich halte das für eine zynische Zeitgeisterscheinung, dass wahnsinnig viele Leute gerade Benefiz- und Charity-Sachen angreifen, ohne selber eine Option zu bieten, was man besser machen könnte. Ich finde es sehr einfach, wenn man immer nur daneben steht und sagt: Das bringt alles nichts oder das ist albern. Ich bin auch nicht bereit, mich davon irritieren zu lassen, weil ich mir lieber am Ende der ganzen Verhandlungen, wenn wir gescheitert sein sollten, sage ‚Ich habe es versucht‘ als ‚Ich habe daneben gestanden und fand sowieso alles doof‘. Für mich ist es wichtig, einen Beitrag geleistet zu haben zur Umsetzung dieser Ideen, die ich voll und ganz unterstütze.

Risel: Nun geht es ja nicht nur um Aufmerksamkeit für das Konzert morgen, sondern auch um den anschließenden Marsch zum G8-Gipfel. Hast du die Wanderschuhe schon geschnürt oder empfiehlst du das wenigstens deinen Fans?

Campino: Natürlich bin ich auch der Meinung, jeder, der irgendwie kann, sollte nach Edinburgh am 6., um einfach körperlich zu zeigen, wenn gezählt wird, wie viele Menschen da hinkamen: Ich war auch dabei! Da ist jeder Mensch gleich viel wert, da spiele ich keine andere Rolle als irgendein Student, der vielleicht da hinkäme. Und wenn man sowieso nichts Besseres vorhat in der Zeit oder sich das irgendwie ermöglichen kann, dorthin zu kommen, finanziell, zeitlich und so weiter, dann wäre meine Bitte: Setzt das um! Aber niemand, der dableiben muss, weil er es sich wegen der Arbeit nicht leisten kann, ist ein schlechterer Anwalt für die Sache. Es geht einfach für mich vor allen Dingen um ein Bewusstsein in den Menschen auszulösen, was die G8 alles entscheiden kann.

Risel: Beim „Live Aid“-Konzert vor 20 Jahren hast du ja auch schon Musik gemacht. Hat das jetzt ähnliche historische Dimensionen und bist du in 20 Jahren auch wieder dabei?

Campino: Man soll die Braut nicht vor dem Morgen loben. Wie weit sich jetzt das Wochenende als Erfolg oder Misserfolg darstellt, hängt auch mit dem 6. zusammen, aber es ist eine Option da. Es ist vor allem ein Versuch, und wenn wir scheitern, dann eben mit Glanz und Gloria. Ich glaube an Bob Geldof, er hat bewiesen, dass er solche Sachen aus dem Boden stampft, und die gut macht. Wer den hat sprechen hören, weiß wie sehr er für Afrika brennt. Deshalb unterstütze ich ihn und mache nicht vorher eine Kosten-Nutzen-Rechnung auf, was mir oder uns das bringen könnte, oder ob wir unsere Ziele wirklich umsetzen. Es geht um den Versuch.