"Man muss sich fragen, ob das wirklich lohnt"

Albrecht Ritschl im Gespräch mit Hanns Ostermann |
Der Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl geht davon aus, dass das zweite Konjunkturpaket der Bundesregierung nur wenig Wirkung zeigen wird. Die Maßnahmen würden bestenfalls 50 Milliarden Euro zusätzliches Einkommen generieren, sagte Ritschl. Zugleich sprach er sich gegen eine gesetzlich verankerte Schuldenbremse aus.
Hanns Ostermann: Viele von uns stehen irgendwann einmal vor der Frage, wie finanziere ich möglichst sinnvoll eine wichtige Anschaffung. Gehe ich kurzfristig in den Dispo, nehme ich einen langfristigen Kredit auf, kann ich mir den überhaupt leisten, wie zahle ich ihn zurück? – Der Staat hat im Prinzip das gleiche Problem und da derzeit aus bekannten Gründen der Handlungsdruck besonders groß ist, türmen sich die Schulden in ungeheuerem Maße auf. Der Bund der Steuerzahler errechnete allein für 2009 bis zu 140 Milliarden Euro, Rekord in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Welche Konsequenzen das hat, darüber möchte ich mit Professor Albrecht Ritschl sprechen. Er ist Wirtschaftshistoriker an der London School of Economic and Political Science und seit 2005 Mitglied im Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums. Guten Morgen, Herr Ritschl!

Albrecht Ritschl: Einen schönen guten Morgen aus London.

Ostermann: Nicht zuletzt um die Höhe der Schulden zu begründen, wird die derzeitige Krise ja mit der Weltwirtschaftskrise in den 30er-Jahren verglichen. Aus Ihrer Sicht zu recht?

Ritschl: Daran ist fast alles falsch bis nicht grotesk falsch. Man kann allenfalls vergleichen die Bankenkrise selbst. Wir sehen, dass in der Bankenkrise 1931, im Sommer 1931 die Reichsregierung bei den Berliner Großbanken einstieg. Es wurde damals mit Staatshilfe die Dresdner Bank mit der Darmstädter und Nationalbank fusioniert. Ich will jetzt nicht so geschmacklos sein und den Vergleich mit der jetzigen staatsgeförderten Fusion von Dresdner Bank und Commerzbank bemühen. Also diese Dinge sind ähnlich. Alles andere ist aber doch ganz anders. 1931 waren wir zwei Jahre in einer katastrophalen Rezession. Damals war das Sozialprodukt, also die gesamte Wirtschaftsleistung, bereits um 20 Prozent eingebrochen gegenüber dem Stand von 1929. Das heißt, die Bankenkrise kam fast am Ende der Weltwirtschaftskrise. Danach ging es noch einmal ein Jahr immer weiter bergab. Aber heutzutage war die Bankenkrise am Anfang einer Rezession und wenn ich ganz vorsichtig meine Minderheitsmeinung kundtun darf: Es kann überhaupt nicht die Rede davon sein, dass wir jetzt, ausgelöst durch die Bankenkrise, in einer Rezession wären, die auch nur irgendwie mit der Weltwirtschaftskrise vergleichbar wäre. Einer muss es deutlich sagen: Diese Vergleiche sind unseriös. Ein Kollege hat neulich gesagt, er sei der Meinung, dass diese Vergleiche von interessierter Seite vorgebracht werden. Das geht vielleicht ein bisschen weit, aber man muss deutlich sagen, dass zu dieser Panikmache überhaupt kein Anlass besteht.

Ostermann: Auf der anderen Seite ist völlig klar: Der Staat, die Bundesregierung muss ein Loch nach dem anderen stopfen. Zumindest muss er ja reagieren. Der Bund der Steuerzahler spricht ja sogar von einer Verschuldungsorgie. Spielt der Staat mit seinen aktuellen Maßnahmen aber nicht auch zu recht die Rolle der Feuerwehr?

Ritschl: Das ist schwierig. Sie müssen sich die Sache so vorstellen wie bei einem Feuerwehreinsatz, bei dem fünf Löschwagen anrücken, weil es Rauchentwicklung gibt und man weiß nicht ganz genau, ob wirklich Feuer ist im Haus, oder ob die Rauchentwicklung bloß deswegen ist, weil der Ofen falsch eingestellt ist und deswegen mehr Rauch durch den Kamin entweicht.

Ostermann: Ja, gut. Aber Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste!

Ritschl: Ja nun, das mag schon richtig sein. Aber stellen Sie sich vor, Sie löschen ein nicht brennendes Haus, dann haben Sie nachher einen ganz gewaltigen Wasserschaden, und genau darum geht es. Diejenigen, die etwas skeptisch sind gegenüber dieser Konjunkturprogramm-Freudigkeit, weisen eben darauf hin, dass wir erstens – habe ich gerade schon gesagt – den großen Einbruch im Sozialprodukt (irgendwas zehn Prozent seit Mitte des vergangenen Jahres) ja gar nicht haben. Wir sind vielleicht bei zwei bis drei Prozent. Und sie weisen zweitens darauf hin, dass der Konsens in der Wirtschaftspolitik, in der Finanzpolitik bisher gewesen ist, dass Konjunkturprogramme wenig bringen. Auch das muss man ehrlich sagen.

Ich habe noch in der Schule sozusagen gelernt, in meinem volkswirtschaftlichen Grundstudium, Konjunkturprogramme würden für jeden Euro, den man einwirft – damals waren es noch deutsche Mark -, bis zu fünf deutsche Mark zusätzlichen Volkseinkommens bringen und entsprechend dann die zusätzliche Beschäftigung. Heutzutage wissen wir, dass die Relation eher bei eins zu eins ist. Das heißt, 50 Milliarden Konjunkturprogramm bringen vielleicht, wenn alles gut geht, 50 Milliarden zusätzliches Einkommen. Und wenn es so wenig ist, muss man sich ehrlich die Frage vorlegen, ob das wirklich lohnt.

Ostermann: Am Ende dieses Jahres belaufen sich die gesamten Staatsschulden auf 1,66 Billionen Euro. Ich weiß nicht, wie viele Nullen das sind. Gab es das überhaupt schon einmal in der deutschen Geschichte?

Ritschl: Wir haben das öfters gehabt. Allerdings sind das Sonderfaktoren gewesen. Deutschland hat im vergangenen Jahrhundert zwei große Kriege geführt und verloren und entsprechend katastrophal war die Finanzsituation am Ende dieser Kriege. Nach dem Ersten Weltkrieg hat man sich seiner Schulden durch die Hyperinflation entledigt. Und dann gab es noch obendrauf das Reparationsproblem, sodass man sagen kann, zum Zeitpunkt der Weltwirtschaftskrise, um das noch mal aufzugreifen, war Deutschland alleine im Ausland mit einem Betrag verschuldet, der vielleicht 80, 90 Prozent des Sozialprodukts ausgemacht hat. Dazu kam noch eine innere Staatsverschuldung. Davon sind wir weit entfernt heutzutage.

Ostermann: Herr Professor Ritschl, Sie sitzen ja auch im Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums. Da war das ganze ja auch ein Thema. Wie sieht Ihre wichtigste Empfehlung beim Thema Tilgung der Schulden aus?

Ritschl: Lassen wir mal den Beirat weg, denn wir haben die gute Sitte, dass wir unsere internen Diskussionen nicht nach außen tragen und daran möchte ich mich gerne halten. Wir haben aber zu dem Thema begutachtet und waren der Auffassung, anders als der Schwesterbeirat beim Finanzministerium, dass es nicht furchtbar viel Sinn haben wird, mit komplizierten Regelungen bestimmte Schuldendeckel vorzuschreiben – einfach deswegen, weil man dafür sehr viel Finanzplanung braucht und eine Bürokratie dafür, die mit sehr unsicheren Zahlen nachher operieren muss, und das ist die Schreckvorstellung jedes Fachmanns, dass wir nachher Verwaltungsfachleute haben, die einfach deswegen, weil es im Gesetz steht, irgendwelche Zahlen produzieren auf dünner statistischer Grundlage, und dann wird nachher mit diesen Zahlen Politik gemacht.

Wir haben versucht, so etwas Ähnliches wie Haftungsregeln einzuführen. Im Besonderen wollten wir im Bund-Länder-Verhältnis dafür sorgen, dass die Länder in etwas stärkerer Weise als bisher für ihre Eigendefizite in die Verantwortung genommen werden. Wir nannten das "Föderalismus mit beschränkter Haftung". Das heißt, wenn es ganz schlimm kommt, steigt der Bund mit ein; wenn es nicht ganz schlimm kommt, dann haben die Länder und übrigens auch die Kommunen einen Anreiz, sparsam zu wirtschaften, was sie zurzeit nicht haben.

Ostermann: Wann ist es so weit, mit der Bitte um eine kurze Antwort, dass Geld gedruckt werden muss, um die Krise zu bewältigen?

Ritschl: Das wird hoffentlich nicht sein. Wir haben ja zum Glück eine sehr gute Europäische Zentralbank, die die besten Positionen der Deutschen Bundesbank fortsetzt, und einen ebenfalls sehr fähigen Präsidenten dieser Institution, der, wenn ich das so sagen darf, in der Krise zum Glück zunächst eine wesentlich vorausschauendere und klügere Politik betrieben hat, als man das in Amerika getan hat. In Amerika ist man erst jetzt in den vergangenen Monaten eingeschwenkt auf eine ähnliche Politik wie die EZB. Die EZB tut das seit längerer Zeit. Das mag einer der Gründe dafür sein, warum uns die Krise nicht mit gleicher Wucht getroffen hat wie etwa England.

Ostermann: Herr Professor Ritschl, danke für das Gespräch heute Früh.

Ritschl: Bitte schön. War mir ein Vergnügen.

Ostermann: Albrecht Ritschl, Wirtschaftshistoriker an der London School of Economic and Political Science, außerdem Mitglied im Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums.

Das Gespräch mit Albrecht Ritschl können Sie bis zum 16. Juni 2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio