"Man muss natürlich noch ein bisschen kämpfen"

18.04.2007
Die Journalistin Sineb el Masrar gibt mit "Gazelle" das erste multikulturelle Frauenmagazin Deutschlands heraus. Im Feuilleton-Pressegespräch äußerte sie sich über ihre Zeitschrift für Migrantinnen.
Jürgen König: Heute mit Sineb el Masrar, Herausgeberin und Chefredakteurin des multikulturellen Frauenmagazins "Gazelle". Guten Tag, Frau el Masrar!

Sineb el Masrar: Guten Tag, Herr König!

König: Vielleicht wundert sich mancher, denkt, Gazelle, die gab’s doch schon mal. Im letzten Sommer erschien sie auch wirklich schon einmal, dann gab es aber einige Startschwierigkeiten. Die sind jetzt alle behoben?

el Masrar: Ja, man muss natürlich noch ein bisschen kämpfen und sich durchsetzen, aber es ist schon ein bisschen einfacher gelaufen als beim ersten Mal.

König: Aha. Aber jetzt sind Sie glücklich und beruhigt?

el Masrar: Ja, ein bisschen schon.

König: Ich habe hinten im Impressum gelesen, dass Sie, Frau el Masrar, Herausgeberin sind, Chefredakteurin, Bildredakteurin, und bei Verlagsanschrift lese ich Tingis-Verlag, Sineb el Masrar. Also Sie machen alles?

el Masrar: Ja, also ich habe den eben gegründet, den Verlag, und dann eben auch das Blatt herausgegeben. Man muss eben noch alles selbst übernehmen, weil die Redaktion oder die Mitarbeiter natürlich noch nicht so zahlreich sind.

König: Den Vertrieb, sehe ich gerade, Tingis-Verlag, das sind auch wiederum Sie?

el Masrar: Ja, genau.

König: Also Glückwunsch zum neuen Heft. Wie fühlen Sie sich? Als ob Sie Drillinge geboren hätten?

el Masrar: Also, ehrlich gesagt kann man sich noch gar nicht so drüber freuen, weil man wirklich noch – also man ist noch dabei, noch einige Sachen zu erledigen, also man freut sich natürlich. Als ich beim Druck dabei war und da kam sie unten raus und die war fertig gestanzt und so, da hat man sich natürlich schon gefreut, weil es letztendlich auch neun Monate waren, das ist letztendlich wie so ein (…).

König: Wirklich?

el Masrar: Ja, ja, das hat wirklich ganz gut gepasst. Man ist schon glücklich und froh, weil wirklich viel, viel Arbeit drin steckte und eben immer noch steckt, aber es geht halt sofort weiter. Wir machen schon die nächste Ausgabe, wird schon vorbereitet. So wirklich zur Ruhe komme ich jetzt gerade nicht wirklich.

König: Ich verstehe. Ganz hinten heißt es in der Spalte intern: "Nachwuchs in der Gazelle-Redaktion", eine Mitarbeiterin hat einen kleinen Sohn auf die Welt gebracht. Das geht sehr familiär zu bei Ihnen?

el Masrar: Ja, das fanden wir einfach ganz schön, und die Leser sollen natürlich einfach auch erfahren, wer wir sind, und dann, finde ich, ist es auch ganz nett, wenn einfach auch mal erfahren wird, ja, da bei uns in der Redaktion gibt’s nicht nur die Gazelle nach neun Monaten, sondern ein kleines Baby auch noch oben drauf.

König: Wie sind Sie auf den Titel "Gazelle" gekommen?

el Masrar: Gazelle ist im Orient eigentlich auch ein Name, weil wir haben überlegt, nehmen wir – weil die gängigen Frauenzeitschriften eben nun auch einen Namen oder einen Frauennamen tragen –, haben wir uns überlegt, machen wir das auch. Da habe ich gedacht, nee, ist auch ein bisschen langweilig, wir wollen uns natürlich auch ein bisschen abheben. Und Gazelle ist eben auch ein Kosename, das nutzen oft Männer für ihre Frauen und ist, wie gesagt, auch ein Frauenname im Orient. Also in Persien heißt es Rasol, bei uns in Marokko oder in Maghreb dann Resela. Und dann ist es eben auf der einen Seite ein Name und auf der anderen Seite assoziiert man natürlich mit diesem Tier auch bestimmte Dinge. Es ist eben ein Tier, was sich auch in der Steppe durchkämpfen muss wie die Frau letztendlich in dieser Gesellschaft manchmal auch. Und dann hat das einfach gut gepasst. Und dann haben wir gesagt, so, den nehme ich jetzt, ohne jetzt lange da …

König: Aber Frau el Masrar, darf ich Ihnen sagen, was ich dabei assoziiert habe?

el Masrar: Was Schlankes.

König: Ja, was Schlankes, was Scheues, wie ein Rehlein, das immer gleich wegspringen will.

el Masrar: Ja, weil man denkt das eben, aber trotzdem muss es sich trotzdem durchkämpfen und immer auf der Hut sein.

König: Das Weibchen, das springt, das auch ihrem Manne vielleicht herbeispringt, wenn der gerade seine Pantoffeln nicht findet?

el Masrar: Nein.

König: Das nicht?

el Masrar: Das nicht.

König: Zum Beispiel haben Sie eine wirklich schöne Geschichte drin – also Sie haben viele schöne Geschichten, aber eine, mit der will ich anfangen –, das ist ein Interview mit einer verschleierten Deutschen. Also Sie portraitieren eine deutsche Frau, die zum Islam übergetreten ist, und sie erklärt das alles, auch was das für ein Schock war für ihre Eltern, als sie plötzlich also ganz verschleiert auftrat. Und dann gibt es die Stelle, wo sie über ihre beruflichen Perspektiven gefragt wird, und da sagt sie, Zitat: "Darüber mache ich mir keine Gedanken. Die Familie war für mich schon immer der wertvollere Lebensinhalt. Als Frau zu Hause mit den Kindern bleiben zu können, das ist doch eine der schönsten Sachen, die man überhaupt machen kann." Zitat Ende.

el Masrar: Und Eva Hermann denkt sich: Ja, wunderbar.
König: Na ja, ich meine, da dachte ich mir, also ich meine, so gesehen ist das natürlich alles völlig konfliktfrei, aber das ist es doch in Wirklichkeit nicht.

el Masrar: In dem Heft ist es für uns einfach wichtig, einfach auch die anderen Frauen oder andere Realitäten einfach darzustellen. Also, insbesondere was den Islam angeht, muss man auch bedenken, dass so eine Frau, die jetzt wirklich ein Niqab trägt beispielsweise, sich vielleicht für ein anderes Magazin …

König: Also Niqab trägt, pardon, also …

el Masrar: Ganzkörperschleier.

König: … den Kopf ganz …, genau, pardon.

el Masrar: Also nicht der Kopf, sondern alles. Also sie trägt auch schwarze Handschuhe. Die setzen sich natürlich nicht mehr viel mit den Medien auseinander. Also sie gehen den wirklich aus dem Weg. Und wir haben einfach die Möglichkeit auch, da wir auch selbst – die Redakteurin ist zum Beispiel auch selbst Muslima, da hat sie natürlich einen anderen Zugang und vertraut uns da auch irgendwo. Und für uns ist es eben auch wichtig, dass wir einfach auch darstellen, was denkt diese Frau und was ist für sie wichtig. Und wenn sie sagt, sie möchte da lieber zu Hause bleiben und das Studium – ja, sie hat dann studiert und auch abgeschlossen, aber möchte da nicht drin arbeiten. Ich denke, es ist ein bisschen schwierig, weil natürlich aber einfach wichtig ist, diese Menschen auch einfach zu Wort kommen zu lassen, damit einfach sie auch das Gefühl haben, okay, man gibt uns auch einen gewissen Raum. Und somit holen wir die Leute auch in diese Gesellschaft zurück. Weil das, was momentan einfach stattfindet, dass man eben zum Teil sehr kritisch mit dem Islam umgeht, zum Teil auch manchmal Dinge einfach verdreht und sehr negativ darstellt, macht die Leute einfach böse und wütend. Wir ebnen ihnen dann sozusagen den Weg in teilweise ja sehr kritischen Gruppierungen, und damit holen wir sie einfach zurück und geben einfach die Bühne, einfach das zu sagen, was ihnen wichtig ist und einfach auch das Gefühl zu geben, okay, wir sind auch ein Teil dieser Gesellschaft, und man hört uns auch zu. Es gibt auch eine Nicht-Muslima, die sagt, sie möchte lieber zu Hause bleiben, das haben wir in (…) Gesellschaft.

König: Ja, das ist ja auch völlig legitim. Man hat nur in den letzten Monaten so viele Diskussionen mitverfolgt, teilweise selber dran teilgenommen, dass man dann plötzlich überrascht ist, eine so vergleichsweise, ja konservative Aussage zu lesen.

el Masrar: Ja, muss manchmal auch sein.

König: Frauen mit Migrationshintergrund werden noch immer nicht als gleichberechtigte Leserinnen berücksichtigt, schreiben Sie. Diesen Bedarf will die Gazelle stillen.

el Masrar: Genau. Ja, es ist einfach so, dass in den gängigen Frauenzeitschriften natürlich die Redaktionen und natürlich auch die Marketingabteilung ihr Augenmaß oder ihr Augenmerkmal nicht auf die Migranten hier einfach ausrichtet. Also, es werden Werbekampagnen initiiert, es werden Artikel geschrieben, aber ohne dass man eben auch diese Frauen mitberücksichtigt. Also, wenn sie als Leser da sind, dann sind sie herzlich willkommen, aber zu melden oder berücksichtigen müssen wir nicht. Und das empfindet man so, auch als Deutsche mit Migrationshintergrund oder eben auch als Migrantin. Und das wollen wir natürlich auch ändern, also damit wir auch einfach diesen Menschen eine Bühne geben und denen zeigen, hallo, ihr gehört hier auch dazu und dementsprechend habt ihr auch das Recht, dass man sich auch mit euren Themen auseinandersetzt.

König: Die Titelgeschichte ist überschrieben "Wer bin ich. Migrantinnen auf der Suche nach ihrer Identität". Das ist ein Text, der detailliert beschreibt, wie schwer es für die – sagen wir – zweite und dritte Einwanderergeneration ist, den Anforderungen zweier Kulturen zu entsprechen, nämlich der des Herkunftslandes der Eltern und der jetzt hier erlebten. Da heißt es u.a., Zitat: "Die zweite oder gar dritte Generation wächst zwischen zwei Orientierungssystemen auf, dem der Eltern und dem der Aufnahmegesellschaft. Die größtenteils widersprüchliche Lebensweise zwischen Herkunftskultur und Moderne führt laut Konflikttheorie zur Orientierungslosigkeit." Wie wäre, Frau el Masrar, ja eine wirkliche Identität für hier lebende Einwanderergenerationen, für diese Menschen hier zu bewirken?

el Masrar: Also für mich ist es einfach wichtig, und das wünsche ich mir eigentlich letztendlich so für die Zukunft, dass man eben einfach (…) man ist deutsch, man ist hier zu Hause, Deutschland ist für viele Migranten einfach auch ihr Zuhause, und auch für die zweite und dritte Generation und auch wenn sie eben nicht hier geboren sind und nicht hier aufgewachsen sind. Aber es gibt eben diesen Konflikt, dass man sich eben – man hat natürlich das Zuhause, wo natürlich bestimmte Lebensformen gelebt werden und hier natürlich den Anforderungen irgendwie genügen muss, und da fühlt sich natürlich der eine oder andere natürlich ein bisschen orientierungslos und weiß dann nicht, wo gehöre ich eigentlich hin. Und wenn wir natürlich mit den Menschen sprechen oder ihnen, wie gesagt, diese Bühne geben, dann können wir auch letztendlich miteinander kommunizieren und auch miteinander sprechen und das irgendwo aufklären und damit sozusagen einen Weg finden, eben hier heimisch zu sein und auch selbstbewusst zu sagen, ich bin deutsch und ich lebe hier und ich gestalte diese Gesellschaft auch mit, aber gleichzeitig eben auch seine kulturellen oder seine Herkunft, die er natürlich irgendwo nicht verschweigen kann. Wenn jemand aus Gambia kommt, dann ist er nun mal ein bisschen dunkler. Das ist da, und da kann man drauf stolz sein, aber das eben mit Deutschland oder mit diesem Land hier einfach zusammenzubringen und einfach die Vorteile, ja, alles Positive, was diese andere Herkunft mit sich bringt, auch für sich zu nutzen und dass man auch von der anderen Seite, also von den Deutschen, irgendwo auch ein bisschen akzeptiert wird dafür. Das ist ja eigentlich auch das Ziel von "Gazelle". Wir möchten wirklich, dass Menschen und Frauen mit Migrationshintergrund einfach sich zurückbesinnen hier in diese Gesellschaft und sagen, so, ich gehöre ja wirklich dazu, und ich möchte jetzt aber auch was mitgestalten. Weil momentan ist es wirklich so, man lässt, man guckt oder man liest über sich und ist manchmal wirklich ein bisschen traurig oder ein bisschen böse und zieht sich zum Teil auch zurück. Und es gibt zum Teil auch von einigen Migranten einfach wenig Engagement. Und das möchten wir einfach in den Leuten wachrütteln und sagen, hey, ihr Leute, ihr gehört hierzu und macht was auch.

König: Und dazu wünsche ich Ihnen gutes Gelingen. Das Feuilleton-Pressegespräch mit Sineb el Masrar, Herausgeberin, Verlegerin, Chefredakteurin des multikulturellen Frauenmagazins "Gazelle". Es erscheint in Dortmund, da hören Sie Deutschlandradio Kultur auf 106,1 MHz. Mehr dazu unter www.gazelle-magazin.de. Morgen um 10.50 Uhr übrigens portraitieren wir an dieser Stelle Sineb el Masrar.