Man liebt zuletzt seine Begierde
"Damit der Besitz fürderhin mehr Vertrauen einflöße und moralischer werde", so schrieb ein prophetischer Denker im ausgehenden 19. Jahrhundert, "halte man alle Arbeitswege zum kleinen Vermögen offen, aber verhindere die mühelose, die plötzliche Bereicherung; man ziehe alle Zweige des Transports und Handels, welche der Anhäufung großer Vermögen günstig sind, also namentlich den Geldhandel, aus den Händen der Privaten und Privatgesellschaften – und betrachte ebenso die Zuviel- wie die Nichts-Besitzer als gemeingefährliche Wesen." Der Name des Mahners lautete nicht Karl Marx, sondern Friedrich Nietzsche.
Für die mühelose und maßlose Bereicherung gibt es ein Synonym: Bonus. Boni sind eigentlich, wenn Logik noch was gilt, erfolgsabhängig. Heute werden die Erfolglosen, die Hasardeure, die für die Finanzkrise Verantwortlichen mit Sonderzahlungen belohnt und nicht etwa mit einem Malus bedacht. Freilich wird, da der Begriff "Bonus" inzwischen übel beleumundet ist, euphemistisch von "leistungsbezogenen Vergütungen" oder von "Halteprämien" gesprochen.
Bonuszahlungen sind in der Wirtschaft seit langem üblich: Zahlungen für Arbeit im Akkord, für Tätigkeiten in der Nacht oder am Wochenende. Leitende Angestellte werden für besondere Leistungen durch die Zahlung eines 13. oder 14. Gehaltes angestachelt. Mitarbeiter in technischen Unternehmen erhalten Anerkennungsprämien für Erfindungen und Verbesserungen. Aber es gibt keinen Bereich in unserer Gesellschaft, in der sich eine kleine Gruppe so üppig bedienen kann, dass man von einer Re-Feudalisierung der Gesellschaft sprechen muss.
Ein Beispiel für die Unverhältnismäßigkeit: Die Besoldungen oder die Gehälter beamteter Professoren oder von Universitätslehrern liegen zwischen 70.000 und 130.000 Euro im Jahr. Da nur wenige vor ihrem 40. Lebensjahr das Karriereziel erreichen, müssten sie 15 oder sogar 20 Jahre arbeiten, um auf das Jahressalär eines CEO oder eines Bankers zu kommen. Ein Virologe, ein Physiker, ein Wirtschaftswissenschaftler, ein Schriftsteller kann, wenn er denn exzeptionell ist in seinem Fach, nur auf einen Bonus hoffen: auf den Nobel-Preis, der eine bahnbrechende Arbeit – meist die Arbeit eines ganzen Lebens – mit rund einer Million anerkennt.
Etliche deutsche Bankmanager haben das Fünf- oder Sechsfache dieser Summe als Bonus erhalten – jährlich; und sie leben im Wahn, dass ihre Bezüge gerechtfertigt, dass sie verdient seien. Nach der Krise an den Pranger gestellt, waren einige Banker so dreist, auf ihre "extreme Belastung" hinzuweisen. Aber ähnlichen Belastungen sind Ärzte, Professoren, Forscher, Architekten, Theatermacher ebenso ausgesetzt. Auch sie arbeiten 70 oder 80 Stunden in der Woche – und meist ohne Bonus.
Mischt sich der Staat bei der Festlegung von Managergehältern ein, handelt er gegen die Maximen der Marktwirtschaft. Etliche Wissenschaftler sehen es aber als sinnvoll an, dass Boni im höchsten Fall 75 Prozent des Jahresgehaltes erreichen sollten. Sie fordern, dass Sondervergütungen vom gesamten Aufsichtsrat festgelegt, überdies von der Hauptversammlung gebilligt werden, damit nicht wieder die fassungslose Frage gestellt werden muss: "Wer macht juristisch unanfechtbare und ethisch unverantwortliche Verträge, die Millionenprämien und gigantische Altersvorsorge garantieren?"
Vergütungen müssen abhängig sein von der Bilanz und nicht vom oft manipulativ geschönten Börsenkurs. Nicht zuletzt soll ein Bonus erst nach drei Jahren einer positiven Geschäftsentwicklung gezahlt werden.
Durchsetzbar wäre dies nur, wenn diese Regeln international durch einen Beschluss der G 20 gültig werden. Nur dann wären jene zerstörerischen Raubritter zu stoppen, deren Habsucht Nietzsche in "Jenseits von Gut und Böse" beschrieb: "Man liebt zuletzt seine Begierde und nicht das Begehrte."
Jürgen Kesting: Autor, Musikkritiker und Journalist. Er ist einer der renommiertesten deutschen Musikkenner und -autoren, wurde 1940 in Duisburg geboren. Nach dem Studium der Germanistik, Anglistik und Philosophie arbeitete er zunächst für Schallplattenfirmen, wechselte dann aber in den Journalismus. Er schreibt unter anderem für den "Stern" und die "FAZ". Außerdem publiziert er regelmäßig in Fachblättern wie "Opernwelt" und "Musik und Theater". Zu seinen wichtigsten Büchern zählt das dreibändige Standardwerk "Die großen Sänger". Viel Beachtung fanden auch seine Biografie/Monografie über Maria Callas und sein Essay über Luciano Pavarotti.
Bonuszahlungen sind in der Wirtschaft seit langem üblich: Zahlungen für Arbeit im Akkord, für Tätigkeiten in der Nacht oder am Wochenende. Leitende Angestellte werden für besondere Leistungen durch die Zahlung eines 13. oder 14. Gehaltes angestachelt. Mitarbeiter in technischen Unternehmen erhalten Anerkennungsprämien für Erfindungen und Verbesserungen. Aber es gibt keinen Bereich in unserer Gesellschaft, in der sich eine kleine Gruppe so üppig bedienen kann, dass man von einer Re-Feudalisierung der Gesellschaft sprechen muss.
Ein Beispiel für die Unverhältnismäßigkeit: Die Besoldungen oder die Gehälter beamteter Professoren oder von Universitätslehrern liegen zwischen 70.000 und 130.000 Euro im Jahr. Da nur wenige vor ihrem 40. Lebensjahr das Karriereziel erreichen, müssten sie 15 oder sogar 20 Jahre arbeiten, um auf das Jahressalär eines CEO oder eines Bankers zu kommen. Ein Virologe, ein Physiker, ein Wirtschaftswissenschaftler, ein Schriftsteller kann, wenn er denn exzeptionell ist in seinem Fach, nur auf einen Bonus hoffen: auf den Nobel-Preis, der eine bahnbrechende Arbeit – meist die Arbeit eines ganzen Lebens – mit rund einer Million anerkennt.
Etliche deutsche Bankmanager haben das Fünf- oder Sechsfache dieser Summe als Bonus erhalten – jährlich; und sie leben im Wahn, dass ihre Bezüge gerechtfertigt, dass sie verdient seien. Nach der Krise an den Pranger gestellt, waren einige Banker so dreist, auf ihre "extreme Belastung" hinzuweisen. Aber ähnlichen Belastungen sind Ärzte, Professoren, Forscher, Architekten, Theatermacher ebenso ausgesetzt. Auch sie arbeiten 70 oder 80 Stunden in der Woche – und meist ohne Bonus.
Mischt sich der Staat bei der Festlegung von Managergehältern ein, handelt er gegen die Maximen der Marktwirtschaft. Etliche Wissenschaftler sehen es aber als sinnvoll an, dass Boni im höchsten Fall 75 Prozent des Jahresgehaltes erreichen sollten. Sie fordern, dass Sondervergütungen vom gesamten Aufsichtsrat festgelegt, überdies von der Hauptversammlung gebilligt werden, damit nicht wieder die fassungslose Frage gestellt werden muss: "Wer macht juristisch unanfechtbare und ethisch unverantwortliche Verträge, die Millionenprämien und gigantische Altersvorsorge garantieren?"
Vergütungen müssen abhängig sein von der Bilanz und nicht vom oft manipulativ geschönten Börsenkurs. Nicht zuletzt soll ein Bonus erst nach drei Jahren einer positiven Geschäftsentwicklung gezahlt werden.
Durchsetzbar wäre dies nur, wenn diese Regeln international durch einen Beschluss der G 20 gültig werden. Nur dann wären jene zerstörerischen Raubritter zu stoppen, deren Habsucht Nietzsche in "Jenseits von Gut und Böse" beschrieb: "Man liebt zuletzt seine Begierde und nicht das Begehrte."
Jürgen Kesting: Autor, Musikkritiker und Journalist. Er ist einer der renommiertesten deutschen Musikkenner und -autoren, wurde 1940 in Duisburg geboren. Nach dem Studium der Germanistik, Anglistik und Philosophie arbeitete er zunächst für Schallplattenfirmen, wechselte dann aber in den Journalismus. Er schreibt unter anderem für den "Stern" und die "FAZ". Außerdem publiziert er regelmäßig in Fachblättern wie "Opernwelt" und "Musik und Theater". Zu seinen wichtigsten Büchern zählt das dreibändige Standardwerk "Die großen Sänger". Viel Beachtung fanden auch seine Biografie/Monografie über Maria Callas und sein Essay über Luciano Pavarotti.