"Man kann sich einer Drohne nicht ergeben"

Moderation: Patrick Garber · 22.06.2013
Juristen müssten eine Ethik des Einsatzes von Drohnen entwickeln, fordert der Berliner Politologe Herfried Münkler. Das Problem sei, dass die von einer Kampfdrohne angegriffene Seite keine Chance habe, sich mit der weißen Fahne in einen Non-Kombattanten zu verwandeln.
Deutschlandradio Kultur: Heute reden wir Tacheles über Waffen und was sie über den sagen, der sie einsetzt. Vor allem reden wir über militärische Drohnen und ob Deutschland welche braucht. Mein Gesprächspartner dafür ist Professor Herfried Münkler, Inhaber des Lehrstuhls für Theorie der Politik an der Humboldt-Universität Berlin. Dort forscht er unter anderem über die Theorie des Krieges. Begriffe wie "asymmetrischer Krieg" oder "postheroische Gesellschaften" haben maßgeblich durch ihn Einzug in die öffentliche Diskussion hierzulande gehalten. Guten Tag, Herr Professor Münkler.

Herfried Münkler: Guten Tag, Herr Garber.

Deutschlandradio Kultur: Herr Münkler, Drohnen für die Bundeswehr, das ist dieser Tage ein großes Thema. Dabei geht es vor allem um Kosten. Es geht um luftfahrtrechtliche Zulassungsverfahren, auch um die Integrität des Bundesverteidigungsministers. Ob die Bundeswehr überhaupt Drohnen braucht und wenn ja, was die dann können sollen, darüber wird eher wenig geredet. Müsste darüber mehr geredet werden oder ist diese Frage eigentlich schon entschieden?

Herfried Münkler: Vermutlich ist die Frage auf der fachlichen Ebene schon entschieden, aber es wäre schon gut, wenn darüber mehr gesprochen würde, auch mehr fachkundig gesprochen würde, weil wir uns dann vergewissern, was die Herausforderungen der Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert sind und welche Möglichkeiten es gibt, diese Herausforderungen zu bewältigen, aber auch mit welchen Risiken diese Bewältigung verbunden ist.

Das sollte sinnvollerweise aufruhen auf einem, wie man sagt, gesellschaftlichen Konsens oder zumindest auf einem gesellschaftlichen Wissen darüber. Da bei uns Diskussionen in der Regel laufen über Skandale von Finanzierung, wendet man sich diesen schwierigen Fragen nicht zu. Und das ist schade.

Deutschlandradio Kultur: Versuchen wir das mal ein bisschen seriöser zu machen, klären wir die Begriffe. Drohnen, das sind unbemannte Flugobjekte, manchmal kaum größer als ein Kugelschreiber, manchmal so groß wie ein Passagierflugzeug, die per Fernsteuerung gelenkt werden. Die Bundeswehr hat bereits Drohnen. Auch in Afghanistan sind welche im Einsatz, doch die werden nur zur Aufklärung genutzt. Davon zu unterscheiden sind die Kampfdrohnen. Die sind bewaffnet und werden vor allem von den USA ausgiebig eingesetzt, unter anderem zur gezielten Tötung von Terrorverdächtigen.

Sie, Herr Münkler, haben Drohnen einmal als "Waffen zwischen Krieg und Frieden" beschrieben. Was meinen Sie damit?

Herfried Münkler: Nun ja, also Drohnen zeichnen sich dadurch aus, dass eine Seite auf dem Schlachtfeld oder in der Konfrontation nicht wirklich physisch präsent ist, die andere Seite sehr wohl, also diejenige, die von den Drohnen ausgespäht und angegriffen wird.

Drohnen sind gleichzeitig etwas, was in vieler Hinsicht unterhalb der Schwelle des Krieges sich bewegt, wobei diese Kriegsschwelle sowieso etwas unsichtbar und abgesenkt worden ist. Viele Kriege werden ja ohne formelle Kriegsklärung geführt. Drohnen sind das in einer ganz besonderen Weise, weil sie ja eigentlich unsichtbar sind und tendenziell unhörbar.

Deutschlandradio Kultur: Dadurch, dass sie in großer Höhe fliegen und auch sehr klein und leise sind.

Herfried Münkler: Ja, dieses und dass die Weltöffentlichkeit in der Regel gar nicht erfährt, wo sie überall im Einsatz sind. Sie sind also eigentlich eher auf der Grenze zum Polizeieinsatz liegend. Man kann ja sagen, dass viele der Kriege, in denen die Amerikaner, aber auch die Bundeswehr verwickelt waren, eher sozusagen Polizeieinsätze mit militärischen Mitteln gewesen sind, um bestimmte Rechtsnormen und gewisse Sicherheitsstandards international in einem bestimmten Gebiet durchzusetzen, als Kriege im herkömmlichen Sinn, wo zwei Kontrahenten aufeinander getroffen sind und ihre einander entgegenstehenden Interessen durchzusetzen versucht haben.

Deutschlandradio Kultur: Die Bundeswehr, wir haben es gerade gesagt, setzt bisher nur Aufklärungsdrohnen ein, aber das soll nicht so bleiben. Das Bundesverteidigungsministerium strebt die Anschaffung bewaffneter Drohnen an. Braucht Deutschland Kampfdrohnen?

Herfried Münkler: Also, zunächst einmal kann man ja relativ locker sagen: Wenn die Bundeswehr weiterhin mit ihren Verbündeten interoperabel bleiben will, heißt, mit ihnen zusammen agieren können will, dann braucht sie das. Also innerhalb eines Bündnissystems, innerhalb der Vorstellung auch des Poolens von Systemen kann man sich aus der waffentechnischen Entwicklung nicht ausklinken und sagen, na ja, ist ganz schön und gut, wenn ihr auf Elektronik macht und unbemannte gesteuerte Aufklärungs- und Kampfkörper, aber wir machen das noch in der herkömmlichen Weise, indem wir mit Hubschraubern leichte Infanterie absetzen usw. usw.

Also, die Rhythmik der Entwicklung wird hier von dem waffentechnologisch avanciertesten Akteur vorgegeben. Das sind die USA. Und da kann man mitmachen und das hat dann zur Folge, dass man vielleicht Einfluss hat. Oder man klinkt sich aus und dann ist man aber auch nicht dabei.

Herfried Münkler, Politikwissenschaftler an der HU Berlin
Herfried Münkler, Politikwissenschaftler an der Humboldt Universität Berlin© Humboldt Universität Berlin
"Manpower und letzten Endes auch Blut sparen"
Deutschlandradio Kultur: Das ist die "Fähigkeitslücke", von der im Militärjargon gesprochen wird. Bedeutet das, dass – wenn Deutschland im Bündnis keine Kampfdrohnen hätte – wir dann eher weiterhin mit Bodentruppen eingreifen müssten, während andere das bequem auf der Luft machen?

Herfried Münkler: So ist das wohl, ja, also zu sagen, in gewisser Hinsicht sind Drohnen auch Systeme, die Manpower und das heißt dann letzten Endes auch Blut sparen, die also eine gewisse Konversion von menschlicher Arbeitskraft in Technologie darstellen, um das einmal im Sinne der allgemeinen Entwicklung von Arbeitsprozessen darzustellen.

Deutschlandradio Kultur: Nehmen wir mal einen konkreten Fall, das so genannte Karfreitagsgefecht, bei dem 2010 drei Bundeswehrsoldaten in Afghanistan gefallen sind. Wäre das weniger verlustreich abgelaufen, wenn Kampfdrohnen die deutschen Truppen unterstützt hätten?

Herfried Münkler: Das ist schwer zu sagen, aber es gibt eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass das der Fall gewesen wäre. Man kann auch den berühmten Einsatz am Kundus-Fluss mit Oberst Klein nehmen ...

Deutschlandradio Kultur: … der Tanklaster, der damals bombardiert worden ist mit vielen zivilen Toten …

Herfried Münkler: Genau. Also, Drohnen haben den Vorzug, sie können etwas länger beobachten. Sie verschaffen sozusagen dem Feuerleitoffizier, der irgendwo weit weg sitzt, Zeit, indem er noch eine Schleife fliegen lässt und vielleicht noch eine und sich das nochmal anguckt, um ganz sicher zu sein, dass es doch ein Kampfverband und keine Hochzeitsgesellschaft ist, bei der aus irgendwelchen Gründen ein bisschen in die Luft geschossen wird. Die kognitive Dimension des Beobachtens kann dadurch optimiert werden. Und andererseits ist natürlich die Stresssituation, innerhalb kurzer Zeit bei Gefährdung der eigenen Person Entscheidungen zu treffen, die auch noch richtig sein müssen, die wird durch den Gebrauch von Drohnen herabgefahren.

Also kurzum: Ich will sagen, man spart auf der eigenen Seite vermutlich casualties, also sozusagen Verwundete und Tote. Und man spart auch auf der anderen Seite sogenannte Kollateralschäden, wenn man relativ genau beobachten kann, mit wem man es zu tun hat, und vermeiden kann, es mit den Falschen zu tun zu haben.

Deutschlandradio Kultur: Wir haben jetzt eher über die militärische Verwendung von Kampfdrohnen gesprochen. Was diese Art von Waffe in Verruf bringt, das sind ja mehr die gezielten Tötungen von Einzelpersonen, die als Terroristen gelten. Die USA praktizieren das im großen Stil in Afghanistan, Pakistan, Jemen, Somalia. Dabei sind nach Schätzungen in den letzten Jahren mehrere tausend, man spricht so von 2.500 bis 3.000 Menschen getötet worden. Wie ist so was denn völkerrechtlich zu bewerten?

Herfried Münkler: Nun ja, das Völkerrecht ist ein Recht, das ja immer in Bewegung ist und das sich verändert auch mit den militärtechnologischen Prozessen, die eintreten. Ich würde sagen: Wenn man zunächst einmal die Alternative heranzieht, nämlich dass anstelle der Drohnen entweder eigene leichte Infanterie oder aber Jagdbomber eingesetzt werden, dann spricht alles dafür, dass bewaffnete, also Kampfdrohnen die Opfer vermindern.

Das Problem ist sicherlich kriegsvölkerrechtlich gesehen dabei, dass die attackierte Seite keine Chance hat, sich zu ergeben. Das heißt, man hat ja eigentlich die Vorstellung, jedenfalls in einer bestimmten rechtlich figurierten Situation, dass – wenn beide Seiten sich zum Kampfe stellen – sie nach einiger Zeit des Kampfes möglicherweise die Aussichtslosigkeit ihrer Lage einsehen können, signalisieren, dass sie sich vom Kombattanten in einen Non-Kombattanten verwandeln wollen. In der Regel tut man das, indem man eine weiße Fahne hochhebt oder demonstrativ die Waffen fallen lässt, um auf diese Weise die Einstellung des gegnerischen Feuers zu erzwingen und dann gefangen genommen zu werden.

Das alles ist natürlich im Falle einer Drohne nicht möglich. Man kann sich einer Drohne nicht ergeben, auch schon darum nicht, weil man sie ja in der Regel gar nicht sieht, sondern in dem Augenblick, wo man sie wahrnimmt, das in der Regel das Ende des eigenen Lebens ist.

Das ist natürlich das Problem. Das heißt, natürlich ist das hier gegenüber den Konstellationen der symmetrischen Konfrontation eine Veränderung. Und damit ist das Völkerrecht gefordert. Und dann müssen halt die entsprechenden Juristen sich da ransetzen, um unter Abwägung der verschiedenen Gesichtspunkte so etwas wie eine Ethik des Einsatzes von Drohnen zu entwickeln. Die ist dann gerichtet an den Feuerleit- und an den Völkerrechtsoffizier im Befehlsstand, der sicherlich weit weg ist.

Deutschlandradio Kultur: Diese gezielten Tötungen werden manchmal auch als extralegale Hinrichtungen bezeichnet. Angeblich soll der US-Präsident ja eine Liste von Terrorverdächtigen vorgelegt bekommen, wo er dann Haken dahinter macht, wer jetzt als Nächstes Besuch von einer Kampfdrohne bekommt, die ihn töten soll.

Das Bundesverteidigungsministerium, das ja die Anschaffung von Kampfdrohnen auch für die Bundeswehr anstrebt, sagt, so was käme für deutsche Truppen überhaupt nicht infrage. Ist da unser Grundgesetz und sind auch die Möglichkeiten, ein Bundestagsmandat zu schmieden, sicher genug, um solche Dinge zu vermeiden?

Herfried Münkler: Also, zunächst einmal würde ich sagen, die operativen Fähigkeiten der Bundeswehr sind nicht hinreichend, um in diesem Sinne vorgehen zu können, so dass also hier gewissermaßen das Mögliche vor dem Wirklichen schützt oder das Unmögliche vor der Verwirklichung dessen schützt.

Nun muss man allerdings, wenn man darüber spricht, auch in Rechnung stellen, dass wir es hier mit einem Gegner zu tun haben, der sich dadurch auszeichnet, dass er eben keinen Staat bildet, der ihm erkennbare Verletzlichkeit verleiht, wie das im Prinzip die Grundlage des Völkerrechts ist, so dass es Regime der Abschreckung gibt, bei denen klar ist, wenn du auf mein Gebiet schießt, schieße ich auf dein Gebiet. Wenn du mir Chicago nimmst, nehme ich dir Wladiwostok, wie das im Raketenschach der Fall war und wie auch immer. Sondern diese Akteure, "Netzwerke" nennen wir sie üblicherweise, verschwinden in der Tiefe des Raumes. Sie sind ungreifbar. Sie sind heute hier und morgen da. Sie sind ungeheuer beweglich, viel schneller verlegbar und angriffsfähig als das bei herkömmlichem Militär der Fall ist.

Und da zeigt sich, dass die Macht, die gewissermaßen der globale Produzent von einem bestimmten Typus von Sicherheit international ist, sprich die USA, in der Lage sein müssen, ebenso schnell zu folgen. Und das sind sie natürlich nicht, indem sie eine Militärbasis verlegen und die ganze Logistik hinterher und die Hubschrauber und dann die leichte Infanterie und dann sind sie vielleicht da einsatzfähig, sondern sie nutzen gewissermaßen ihre erhöhte Mobilität im Luftraum, um die diskrete Mobilität der klandestinen Feinde auszugleichen oder jedenfalls damit gleichzuziehen.

Also sozusagen, auf dieser strategischen Ebene, jetzt nicht das "war on terrorism", wie das bei Bush hieß, sondern sozusagen bei der Bekämpfung einzelner Terroristen möglichst als Einzelner ist das eine relativ effektive Alternative. Und da muss man sehen, das tritt an die Stelle von Interventionen wie Afghanistan. Da haben wir geglaubt, wir graben ein ganzes Land um, wir sind radikal, wir gehen an die Wurzeln. Wir schaffen eine neue Gesellschaft. Und auf diese Weise bringen wir den Terrorismus zum Verschwinden. Es hat ungeheuer viel Geld gekostet und, ich würde sagen, in zwei Jahren kann Bilanz gezogen werden, nichts, aber auch gar nichts gebracht. Das ist auch eine Bedrohung durch den Terrorismus, nämlich dass wir selber uns ökonomisch ausbluten in seiner Bekämpfung.

Von daher spricht alles dafür, dass Späh- und Kampfdrohnen für die nächsten Jahrzehnte die Form der Bekämpfung dieser neuen asymmetrischen Herausforderungen sind – kostengünstig, effektiv und sicherlich eine Herausforderung des alten Kriegsvölkerrechts, das aber an einem Typus des Heroischen orientiert war, wie wir gar nicht mehr wollen, dass unsere Gesellschaft sei.

"Die Hemmschwelle wird eher heraufgesetzt"
Deutschlandradio Kultur: Herr Münkler, wir haben über die völkerrechtlichen Aspekte des Drohneneinsatzes geredet, zuvor über die militärischen. Es gibt ja auch noch die ethischen. Macht es denn einen Unterschied ethisch gesehen, ob jemand von den Waffen einer unbemannten Drohne getötet wird oder von einem Kampfhubschrauber?

Herfried Münkler: Na ja, für den Toten wird das vielleicht keinen Unterschied machen, aber das Problem sind natürlich auch die Leute am Joystick. Also, um zu sagen, unsere Imagination: Aus Kämpfern werden Spieler. Und die Befürchtung ist ja, dass durch diese Drohnen die Hemmschwelle des Einsatzes herabgesenkt wird.

Ich glaube das nicht. Also, ich bin mir ziemlich sicher, dass – wenn man das sich empirisch sauber anguckt – die Hemmschwelle eher heraufgesetzt wird, denn natürlich ist es vielleicht leichter, den Knopf zu drücken, wenn man ganz weit weg ist, aber das geht davon aus, dass wir uns noch im Steinzeitalter befinden, wo wir gewissermaßen physisch einem anderen gegenüberstehen. Also, sozusagen schon das Beschießen von jemandem mit einem Gewehr oder zuvor vermutlich bereits mit Pfeil und Bogen ist eine solche Form der Absenkung von Hemmschwellen in der direkten Konfrontation, dass ich jetzt hier nicht den ganz großen Schritt sehen kann.

Deutschlandradio Kultur: Ist es vielleicht denn so, dass die Gewaltschwelle nicht auf der Ebene des Drohnenpiloten, der also am Joystick sitzt, wie Sie sagen, stattfindet, sondern auf der politischen Ebene, dass man eben, wenn man irgendwo intervenieren möchte, nicht gleich Truppen in Marsch setzt, sondern erstmal ein paar Drohnen schickt?

Herfried Münkler: Ja, das mag sein. Das allerdings ist dann etwas anderes. Das ist sozusagen ja mehr politische Vorsorge und weniger politische Nachsorge. Denn das Problem des Intervenierens, wenn ich das seit dem Zerfall Jugoslawiens Revue passieren lasse, ist ja eigentlich gewesen, dass wir notorisch zu spät eingegriffen haben, eigentlich immer erst dann, wenn sich diese Gewaltkonflikte sehr tief in eine Gesellschaft hineingefressen haben, wenn die Anzahl der Opfer sehr groß war, ja wenn so etwas wie die Srebrenica-Ebene erreicht wurde.

Das heißt sozusagen, die zynische Struktur dieser herkömmlichen Interventionsordnung lief darauf hinaus zu sagen: Unterhalb von tausend oder zweitausend oder wie viel auch immer Toten bewegen wir uns nicht. Und wir bewegen uns erst dann, wenn es Fernsehteams gelingt, sozusagen Bilder zu bringen, die so erregend sind, dass unsere Bevölkerung aufschreit.

Das ist aber natürlich keine besonders, also ethisch auf jeden Fall keine besonders überzeugende Form. Und von der Effektivität ist es auch nicht gut, weil auf diese Weise die Gewalt die Gesellschaft schon einmal zerstört hat. Und der Wiederaufbau dauert dann ungeheuer lange. Wenn man in der Lage ist, relativ früh diese Eskalationsprozesse zu verhindern und zu begrenzen, dann ist das, glaube ich, sinnvoll.

Insofern können Drohnen auch Instrumente sein, sie müssen das nicht, also, ich meine, es sind halt Waffen, da kommt es viel auf den Einsatz und mehr den operativen Gebrauch an, aber sie können Systeme sein, die im Prinzip die Eskalation von Bürgerkriegen frühzeitig vermeiden. Sie sind kein Garant, dass das möglich ist. Die politische Klugheit und Urteilskraft bleibt immer noch gefordert.

Deutschlandradio Kultur: Der technologische Fortschritt macht auch in dem Sinne keine strategischen Überlegungen überflüssig.

Herfried Münkler: Nein.

Deutschlandradio Kultur: Man kann sich nicht einfach auf die Technik und auf die Waffe abstützen. Damit sind wir ja bei der Frage, in welches sicherheitspolitische Konzept Kampfdrohnen auch der Bundeswehr eingebettet wären, wenn es sie dann gibt irgendwann. Haben wir in Deutschland überhaupt ein schlüssiges Konzept für Auslandseinsätze der Bundeswehr inzwischen entwickelt? Oder wird das immer noch von Fall zu Fall entschieden? Afghanistan ja, Libyen nein, Mali ein bisschen, schauen wir mal?

Herfried Münkler: Ja, Letzteres. Es gibt kein sicherheitspolitisches Konzept der Bundesrepublik. Und was vielleicht noch schlimmer ist, es gibt kein europäisches sicherheitspolitisches Konzept. Das ist darum heikel, weil auf diese Weise die Gegenakteure nicht unbedingt wissen, welche rote Linie sie nicht überschreiten dürfen, sondern sie testen das immer wieder aus, wie weit sie mit den Europäern gehen können, wie effektiv sie diese gegeneinander ausspielen können. In gewisser Hinsicht ist Assad zurzeit ein Beispiel, Gaddafi war es. Also, dieses von-Fall-zu-Fall-Entscheiden und "wir wissen nicht genau, aber schauen wir mal, wie die Mehrheiten und vor allen Dingen, wie die Fernsehbilder sind" ist unterm Strich betrachtet eigentlich eine sehr zynische Haltung der Europäer, weil sie die Zivilbevölkerung der entsprechenden Länder Diktatoren ausliefert.

Deutschlandradio Kultur: Die USA haben es da ja vielleicht ein bisschen einfacher. Bei den USA geht’s in der Regel als Argument um die nationalen Interessen, um die nationale Sicherheit. Das ist in einem Komplex wie der EU ein bisschen schwieriger zu definieren. Aber was wären denn nationale oder europäische Interessen, die es wert wären, militärisch einzugreifen? Wie könnte man diese roten Linien definieren?

Herfried Münkler: Also, zunächst einmal müssten wir uns drüber im Klaren werden, was es bedeutet, dass die USA sich tendenziell aus dem Mittelmeer zurückgezogen haben – mit Ausnahme des Bereichs Israel und natürlich des Nahen und Mittleren Ostens, also dort, wo sich ihre Interessen auch noch mit Öl verbinden. Aber die gegenüberliegende Küste des Mittelmeers ist wieder eine europäische Herausforderung geworden. Nun könnten wir sagen: "Geht uns nix an." Geht uns aber sehr wohl etwas an, wenn die Flüchtlingsströme kommen. Und die können gegebenenfalls sehr massiv kommen.

Dieses Problem ist ja klar geworden nach dem Sturz von Gaddafi. Darüber muss man europäischerseits nachdenken. Wie also sind wir in der Lage, die gegenüberliegende Küste des Mittelmeeres so zu stabilisieren, dass das Mittelmeer nicht eine Zone der Abwehr von Flüchtlingsströmen ist, sondern – na ja – ein zivilisierter Raum? Das wird nicht ganz leicht sein, weil es da Staaten gibt, die unmittelbare Interessen haben, und Staaten mit sehr mittelbaren Interessen, wie etwa Deutschland. Aber es ist auch klar, wir können nicht sagen, hier die Griechen, die Italiener, die Spanier sollen das machen, zumal die ja sowieso zurzeit auf wackeligen Beinen stehen.

Also, man müsste zunächst einmal sich Gedanken darüber machen, was hier in Szenarien die Herausforderungen sind, die auf uns zukommen, welche Möglichkeiten wir haben zu intervenieren und dann sozusagen ein Set von Instrumenten bereitlegen, zu denen irgendwo auch die militärischen Instrumente gehören, aber vorher natürlich ökonomische und politische und kulturelle und was weiß ich was.

Aber sozusagen die militärischen völlig herauszulassen, das ist natürlich nicht besonders klug. In der gegenwärtigen Situation hört man das ja häufig von amerikanischen Kollegen im Hinblick auf die deutschen Warnungen, den syrischen Oppositionellen irgendwelche Waffen zu geben. "Ja, es ist schön. Wir haben zur Kenntnis genommen, was ihr nicht wollt, aber jetzt sagt doch mal, wie ihr euch vorstellt, dass dieses Problem zu lösen ist." Und dann herrscht bei uns in der Regel dröhnendes Schweigen.

Kurzum, hier ist ein ungeheures Feld, bei dem man sich sehr gut vorstellen kann, dass darin auch zunächst und vor allem Späher-, also Aufklärungsdrohnen eine wichtige Rolle spielen würden.

Deutschlandradio Kultur: Damit sind wir wieder bei der Drohne. Herr Professor Münkler, zurzeit nehmen Sie Ihre Aufgaben am Lehrstuhl für Theorie der Politik an der Humboldt-Universität gar nicht wahr, denn Sie sind in den Genuss eines Forschungsstipendiums gekommen, des hoch angesehenen Opus-Magnum-Stipendiums der Volkswagen- und der Thyssen-Stiftung. Verraten Sie uns, worum Ihre Gedanken kreisen in dieser Zeit der Freiheit?

Herfried Münkler: Ja, in dieser Zeit der Freiheit habe ich mich tendenziell hundert Jahre in der deutschen Geschichte oder in der europäischen Geschichte zurückbewegt und bin dabei, ein Buch über den Ersten Weltkrieg zu schreiben, das Anfang Dezember dieses Jahres erscheinen wird. Ich habe mir vorgenommen, aus der Perspektive eines Politikwissenschaftlers erstens zu zeigen, warum der Erste Weltkrieg für uns eigentlich sehr viel aufregender und interessanter ist als der Zweite Weltkrieg und dass sich tendenziell China heute strategisch in der Lage befindet, in der sich Deutschland 1914 und davor befunden hat, dass auch 1989 keineswegs alle Spuren des Ersten und des Zweiten Weltkrieges zu Ende gegangen sind, sondern der Zerfall der großen Reiche im Osten nach wie vor geblieben ist als Spur des Ersten Weltkrieges.

Und ansonsten ist es ein ungeheures Feld der Beobachtung von Fehlentscheidungen, Führungsversagen, Illusionen und auch sehr moralisch hochgezogenen Unterstützungsvorstellungen, die sich hinterher als katastrophale Fehlurteile herausgestellt haben.

Deutschlandradio Kultur: Vielen Dank für das Gespräch.
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