"Man kann diese Verantwortung nicht delegieren"
Anlässlich des 60. Jahrestags des Atombombenabwurfs auf Nagasaki hat der Mathematiker Eugen Eichhorn die besondere Verantwortung der Wissenschaftler für ihr Handeln betont. Diese Erkenntnis versuche er auch seinen Studierenden in den von ihm initiierten "Peace Study Courses" beizubringen. Zugleich lobte er die Aktivitäten des Bürgermeisters von Nagasaki, der sich für eine Abschaffung der Atomwaffen einsetze.
Ellmenreich: "Fat Man" nannte man die Atombombe, die am 9. August 1945 um 11.02 Uhr über der japanischen Stadt Nagasaki abgeworfen wurde von einem US-Bomber. Sie detoniert 550 Meter über einer Waffenfabrik, legte einen Großteil der Stadt in Schutt und Asche, tötete mit ihrer Explosionskraft auf der Stelle über 70.000 Menschen. Heute, am 60. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Nagasaki, begrüße ich bei mir im Studio den Mathematiker Professor Eugen Eichhorn von der Technischen Fachhochschule Berlin. Dort veranstaltet er seit drei Semestern so genannte Hiroshima-Nagasaki Peace Study Courses und er ist Mitbegründer eines deutsch-japanischen Friedensforums. Guten Tag, Herr Eichhorn.
Eichhorn: Guten Tag.
Ellmenreich: Sie waren mehrere Male in Nagasaki und in Hiroshima, wo die sogenannte Atombomben-Kuppel an den Atombomben-Abwurf 1945 erinnert. Woran erkennt der Besucher von Nagasaki, was dort passiert ist am 9. August 1945?
Eichhorn: In Nagasaki gibt es etwas, was in der Weise ins Auge sticht ja nicht. Das, was man mit Nagasaki... die Kenner damit verbinden, ist diese für unseren Geschmack etwas pathetische Figur am Eingang des Friedensparks in Nagasaki. Das ist eine kolossale menschliche Figur, wo ein Teil zum Himmel weist und die andere Hand zum Boden zeigt - das als Symbol des Friedens, das jetzt nach diesen schrecklichen Ereignissen um Gottes Willen die Zeit der Kriege vorbei ist.
Ellmenreich: Es gibt dann - wenn ich Sie richtig verstehe - gar nicht so viele, ja Monumente, so viele Denkmäler in Nagasaki, wie man vielleicht erst mal denken möchte. Wenn man die Menschen kennen lernt in Nagasaki, ist das Thema Atombomben-Abwurf ein großes Thema? Begegnet man diesem Thema sofort in den Gesprächen?
Eichhorn: Wir haben da die Erfahrung gemacht... es gibt da signifikante Unterschiede zu Hiroshima schon. Wir glauben, dass es insgesamt in Nagasaki es für die Leute vielleicht in einem besonderen Sinn präsenter ist, obwohl Hiroshima der bekanntere Name, der bekanntere Ort ist. Kennzeichnend ist das zum Beispiel bei den Gedächtniszeremonien, die sind signifikant verschieden. Hiroshima ist sehr, sehr zeremoniell. Also, ich fühle mich oft erinnert an Veranstaltungen hier in Rom, Petersdom. Es ist sehr ritualisiert.
Und in Nagasaki ist schon relativ früh, besonders in Verbindung mit dem inzwischen verstorbenen Bürgermeister Motoshima, übrigens ein Katholik... Er hat sich sehr engagiert, sehr früh auch gesagt dass selbstverständlich die Atombomben hier eine Vorgeschichte haben, und dass Japan nicht unbedingt grenzenlos die Opferrolle reklamieren kann. Das ist völlig unbeschadet von der Tatsache her, dass man diese Atombombe eigentlich mit nichts rechtfertigen kann. Aber er war sehr kritisch, weil er auch von Anfang an hier eine Mitverantwortlichkeit des Teno reklamiert hat, der Teno hat sich nie dazu bekannt.
Und parallel zu diesen offiziellen Friedensveranstaltungen in Nagasaki gibt es von zahllosen alternativen Gruppen, es ist so ein richtig bekanntes alternatives Ritual, es gibt so eine richtig offizielle Parallelveranstaltung noch dazu, dafür ist Nagasaki seit langem bekannt. Ich muss jedoch sagen, hier in aktueller Zeit, seit Dr. Akiba... seit er Bürgermeister von Hiroshima ist, hat sich das grundlegend geändert.
Ellmenreich: Wohin gehend?
Eichhorn: Dieses Nur-Zeremonielle hat er weitestgehend beschränkt und drückt sich sehr direkt aus. Er hat dieses internationale Bürgermeister-Netz, das es seit Mitte der 80er Jahre gibt, das hat er sehr erfolgreich wieder belebt, er hat jetzt in New York, war er auch mit über 100 Bürgermeistern bei der Review-Konferenz des NPT, also des Atomwaffen-Sperrvertrags, da gewesen. Und er macht den ernsthaften Versuch, auf der Ebene der Bürgermeister etwas zu erreichen, was auf der Ebene der großen Politik offenbar nicht funktioniert, nämlich die Abschaffung der Atombomben durchzusetzen.
Ellmenreich: Ein Ziel, das sicherlich den Bürgermeister von Hiroshima und den Bürgermeister von Nagasaki verbindet!
Eichhorn: Ja, ist so.
Ellmenreich: Wieso wird aber auf einer ganz anderen Weise in Nagasaki daran erinnert, was passiert ist. Versucht man sich abzugrenzen von Hiroshima?
Eichhorn: Ich kann das nicht genau erklären. Ich kann nur sagen, dass es in einer bestimmten Phase de facto so gewesen ist, dass Nagasaki sehr viel bürgernaher war, eben Hiroshima das große Zeremoniell, Gedächtniszeremoniell durchführte.
Ellmenreich: Fühlen sich die Bürger von Nagasaki auf ihre Weise vernachlässigt, wenn man das so sagen darf? Die Augen gerichtet auf Hiroshima, erst der zweite Blick geht dann gen Nagasaki.
Eichhorn: Ja, das kommt darauf an, mit wem Sie reden. Wenn Sie mit den politisch bewussteren Leuten, die lange in dieser Szene arbeiten, reden, die würden dem zustimmen, was Sie sagen. Bei der normalen Bevölkerung eher nicht, die sagen: Das, was passiert ist, ist unglaublich schrecklich. Und solche Unterschiede in der öffentlichen Wahrnehmung spielen überhaupt keine Rolle mehr, sondern verändern wird sich nur etwas, wenn viele, viele Bürger mehr von der Basis kommen, von den Menschen her, da wird sich möglicherweise eine große Bewegung im Laufe der Zeit durchsetzen.
Ellmenreich: Wie groß ist die Friedensbewegung? Wie groß sind die Bürgerbewegungen in Nagasaki, mit denen Sie auch zusammenarbeiten im Rahmen des Friedensforums?
Eichhorn: Ja, es gibt Konjunkturen, das ist wie in der westlichen Welt auch. In bestimmten Zeiten sind sie sehr aktiv, in bestimmten Zeiten sind sie das weniger. In der jetzigen Phase, wo es also absehbar ist, dass die Anzahl der Nuklearmächte zunehmen wird, völlig unabhängig von dem Atomwaffen-Sperrvertrag... diese Gefahren wieder in die Nähe rücken... das hat diese Bewegung wieder verstärkt.
Ellmenreich: Im Iran wurde die Atomanlage in Isfahan wieder in Betrieb genommen. Hat die Welt - so hat es "die taz" am Wochenende geschrieben - nichts gelernt? Kommt man zu dem Schluss, wenn man das beobachtet?
Eichhorn: Wenn die offiziellen Nuklearwaffenstaaten, diese klassischen: USA, Großbritannien, Frankreich, China und wer fehlt jetzt noch? Die UDSSR gibt es nicht mehr, also Russland, so lange die nicht bereit sind, ihre Atomwaffen zu verschrotten, wozu sie eigentlich auf der Basis des Vertrages verpflichtet sind, wird es immer dazu führen, dass andere Staaten auch machen wollen.
Ellmenreich: Herr Eichhorn, als Mathematiker, wieso setzen Sie sich ein gegen Atomwaffen? Woher kommt dieses Interesse?
Eichhorn: Ja, ich denke, dass die Nuklearwaffen, der Beginn des Atomzeitalters 1945, das ist eine derart überwältigende Realität, eine Zeitenwende, dass, ob Sie dann nun Mathematiker sind oder irgendwer... oder Journalist sind, das betrifft uns alle. Es hat überhaupt keinen Sinn darauf zu warten, dass die große Politik für Sie das richtet. Nur wenn es sehr viele Bürger gibt, die spontan versuchen sich erst mal zu bilden, es ist etwas, was erhebliche Anforderungen intellektueller Art auch an sie stellt. Also diesen Komplex zu erforschen, wie es nun genau gewesen ist, das ist eine lebenslange Arbeit. Ich mache das seit Jahrzehnten und bin immer froh, wenn es viele andere Leute auch machen, oder wenn zum Beispiel in einem solchen Interview die Möglichkeit besteht, einfach davon zu erzählen.
Ellmenreich: Auf welche offenen Ohren stoßen Sie damit bei Ihren Studenten? Sie bieten an der Technischen Fachhochschule in Berlin so genannte Hiroshima-Nagasaki Peace Study Courses an.
Eichhorn: Also, die Studenten, die da hinkommen die sind überraschend offen. Einmal sind sie auf einer relativ unschuldigen Art offen, ihr Vorwissen ist relativ gering. Nagasaki als Thema in Soziologen-Kreisen, oder eben auch als philosophisches Problem, oder in der Theologie, oder meinetwegen Atombomben-Literatur als literarische Erscheinung, oder für Historiker, das ist schon eher möglich.
Ellmenreich: Auf welchen Gebieten, auf welchen Wissensgebieten besteht da besonders großer Nachholbedarf? Was bringen Sie den Studenten in diesen "Courses" bei?
Eichhorn: Wir versuchen natürlich anzuknüpfen an den Sachen, die sie selbst studieren, die sie mitbringen, diese nuklearphysikalischen Zusammenhänge, was Kernspaltung ist. Ein Spezialgebiet von mir ist eben die deutsche Atombombe, der Versuch eine solche zu bauen, und das Manhattan-Projekt, die amerikanische Geschichte. Und in diesem Zusammenhang natürlich, wie es sich da einbettet in den historischen Kontext.
Wir in Europa sind ja eurozentrisch, also der Zweite Weltkrieg ist im wesentlichem ein Ereignis, was hier in Europa stattgefunden hat, vielleicht so bis zum Ural hin, und das war es. Der Pazifik-Krieg hat mindestens so viele Opfer gekostet wie dieser europäische und nordafrikanische Kriegsschauplatz. Das ist also auch eine wichtige Botschaft, dass sie über ihren Tellerrand rausgucken.
Ellmenreich: Botschaften, Wissen, um Verantwortung deutlich zu machen, die man als Naturwissenschaftler trägt?
Eichhorn: Selbstverständlich. Wir wollen ihnen klar machen, dass der Wissenschaftler, der Ingenieur Verantwortung trägt. Er kann nicht sagen: Hier, die Politiker haben letzten Endes aus unserer Hände Werk etwas gemacht, was wir nicht haben wollten. Das geht nicht. Das haben sie heute in der Molekulargenetik wieder im Klonen von Menschen. Da haben sie genau dasselbe Problem. Der Wissenschaftler ist selbstverständlich, ich möchte fast sagen zu 150 Prozent, verantwortlich. Jeder ist für das verantwortlich, was er tut. Man kann diese Verantwortung nicht delegieren.
Eichhorn: Guten Tag.
Ellmenreich: Sie waren mehrere Male in Nagasaki und in Hiroshima, wo die sogenannte Atombomben-Kuppel an den Atombomben-Abwurf 1945 erinnert. Woran erkennt der Besucher von Nagasaki, was dort passiert ist am 9. August 1945?
Eichhorn: In Nagasaki gibt es etwas, was in der Weise ins Auge sticht ja nicht. Das, was man mit Nagasaki... die Kenner damit verbinden, ist diese für unseren Geschmack etwas pathetische Figur am Eingang des Friedensparks in Nagasaki. Das ist eine kolossale menschliche Figur, wo ein Teil zum Himmel weist und die andere Hand zum Boden zeigt - das als Symbol des Friedens, das jetzt nach diesen schrecklichen Ereignissen um Gottes Willen die Zeit der Kriege vorbei ist.
Ellmenreich: Es gibt dann - wenn ich Sie richtig verstehe - gar nicht so viele, ja Monumente, so viele Denkmäler in Nagasaki, wie man vielleicht erst mal denken möchte. Wenn man die Menschen kennen lernt in Nagasaki, ist das Thema Atombomben-Abwurf ein großes Thema? Begegnet man diesem Thema sofort in den Gesprächen?
Eichhorn: Wir haben da die Erfahrung gemacht... es gibt da signifikante Unterschiede zu Hiroshima schon. Wir glauben, dass es insgesamt in Nagasaki es für die Leute vielleicht in einem besonderen Sinn präsenter ist, obwohl Hiroshima der bekanntere Name, der bekanntere Ort ist. Kennzeichnend ist das zum Beispiel bei den Gedächtniszeremonien, die sind signifikant verschieden. Hiroshima ist sehr, sehr zeremoniell. Also, ich fühle mich oft erinnert an Veranstaltungen hier in Rom, Petersdom. Es ist sehr ritualisiert.
Und in Nagasaki ist schon relativ früh, besonders in Verbindung mit dem inzwischen verstorbenen Bürgermeister Motoshima, übrigens ein Katholik... Er hat sich sehr engagiert, sehr früh auch gesagt dass selbstverständlich die Atombomben hier eine Vorgeschichte haben, und dass Japan nicht unbedingt grenzenlos die Opferrolle reklamieren kann. Das ist völlig unbeschadet von der Tatsache her, dass man diese Atombombe eigentlich mit nichts rechtfertigen kann. Aber er war sehr kritisch, weil er auch von Anfang an hier eine Mitverantwortlichkeit des Teno reklamiert hat, der Teno hat sich nie dazu bekannt.
Und parallel zu diesen offiziellen Friedensveranstaltungen in Nagasaki gibt es von zahllosen alternativen Gruppen, es ist so ein richtig bekanntes alternatives Ritual, es gibt so eine richtig offizielle Parallelveranstaltung noch dazu, dafür ist Nagasaki seit langem bekannt. Ich muss jedoch sagen, hier in aktueller Zeit, seit Dr. Akiba... seit er Bürgermeister von Hiroshima ist, hat sich das grundlegend geändert.
Ellmenreich: Wohin gehend?
Eichhorn: Dieses Nur-Zeremonielle hat er weitestgehend beschränkt und drückt sich sehr direkt aus. Er hat dieses internationale Bürgermeister-Netz, das es seit Mitte der 80er Jahre gibt, das hat er sehr erfolgreich wieder belebt, er hat jetzt in New York, war er auch mit über 100 Bürgermeistern bei der Review-Konferenz des NPT, also des Atomwaffen-Sperrvertrags, da gewesen. Und er macht den ernsthaften Versuch, auf der Ebene der Bürgermeister etwas zu erreichen, was auf der Ebene der großen Politik offenbar nicht funktioniert, nämlich die Abschaffung der Atombomben durchzusetzen.
Ellmenreich: Ein Ziel, das sicherlich den Bürgermeister von Hiroshima und den Bürgermeister von Nagasaki verbindet!
Eichhorn: Ja, ist so.
Ellmenreich: Wieso wird aber auf einer ganz anderen Weise in Nagasaki daran erinnert, was passiert ist. Versucht man sich abzugrenzen von Hiroshima?
Eichhorn: Ich kann das nicht genau erklären. Ich kann nur sagen, dass es in einer bestimmten Phase de facto so gewesen ist, dass Nagasaki sehr viel bürgernaher war, eben Hiroshima das große Zeremoniell, Gedächtniszeremoniell durchführte.
Ellmenreich: Fühlen sich die Bürger von Nagasaki auf ihre Weise vernachlässigt, wenn man das so sagen darf? Die Augen gerichtet auf Hiroshima, erst der zweite Blick geht dann gen Nagasaki.
Eichhorn: Ja, das kommt darauf an, mit wem Sie reden. Wenn Sie mit den politisch bewussteren Leuten, die lange in dieser Szene arbeiten, reden, die würden dem zustimmen, was Sie sagen. Bei der normalen Bevölkerung eher nicht, die sagen: Das, was passiert ist, ist unglaublich schrecklich. Und solche Unterschiede in der öffentlichen Wahrnehmung spielen überhaupt keine Rolle mehr, sondern verändern wird sich nur etwas, wenn viele, viele Bürger mehr von der Basis kommen, von den Menschen her, da wird sich möglicherweise eine große Bewegung im Laufe der Zeit durchsetzen.
Ellmenreich: Wie groß ist die Friedensbewegung? Wie groß sind die Bürgerbewegungen in Nagasaki, mit denen Sie auch zusammenarbeiten im Rahmen des Friedensforums?
Eichhorn: Ja, es gibt Konjunkturen, das ist wie in der westlichen Welt auch. In bestimmten Zeiten sind sie sehr aktiv, in bestimmten Zeiten sind sie das weniger. In der jetzigen Phase, wo es also absehbar ist, dass die Anzahl der Nuklearmächte zunehmen wird, völlig unabhängig von dem Atomwaffen-Sperrvertrag... diese Gefahren wieder in die Nähe rücken... das hat diese Bewegung wieder verstärkt.
Ellmenreich: Im Iran wurde die Atomanlage in Isfahan wieder in Betrieb genommen. Hat die Welt - so hat es "die taz" am Wochenende geschrieben - nichts gelernt? Kommt man zu dem Schluss, wenn man das beobachtet?
Eichhorn: Wenn die offiziellen Nuklearwaffenstaaten, diese klassischen: USA, Großbritannien, Frankreich, China und wer fehlt jetzt noch? Die UDSSR gibt es nicht mehr, also Russland, so lange die nicht bereit sind, ihre Atomwaffen zu verschrotten, wozu sie eigentlich auf der Basis des Vertrages verpflichtet sind, wird es immer dazu führen, dass andere Staaten auch machen wollen.
Ellmenreich: Herr Eichhorn, als Mathematiker, wieso setzen Sie sich ein gegen Atomwaffen? Woher kommt dieses Interesse?
Eichhorn: Ja, ich denke, dass die Nuklearwaffen, der Beginn des Atomzeitalters 1945, das ist eine derart überwältigende Realität, eine Zeitenwende, dass, ob Sie dann nun Mathematiker sind oder irgendwer... oder Journalist sind, das betrifft uns alle. Es hat überhaupt keinen Sinn darauf zu warten, dass die große Politik für Sie das richtet. Nur wenn es sehr viele Bürger gibt, die spontan versuchen sich erst mal zu bilden, es ist etwas, was erhebliche Anforderungen intellektueller Art auch an sie stellt. Also diesen Komplex zu erforschen, wie es nun genau gewesen ist, das ist eine lebenslange Arbeit. Ich mache das seit Jahrzehnten und bin immer froh, wenn es viele andere Leute auch machen, oder wenn zum Beispiel in einem solchen Interview die Möglichkeit besteht, einfach davon zu erzählen.
Ellmenreich: Auf welche offenen Ohren stoßen Sie damit bei Ihren Studenten? Sie bieten an der Technischen Fachhochschule in Berlin so genannte Hiroshima-Nagasaki Peace Study Courses an.
Eichhorn: Also, die Studenten, die da hinkommen die sind überraschend offen. Einmal sind sie auf einer relativ unschuldigen Art offen, ihr Vorwissen ist relativ gering. Nagasaki als Thema in Soziologen-Kreisen, oder eben auch als philosophisches Problem, oder in der Theologie, oder meinetwegen Atombomben-Literatur als literarische Erscheinung, oder für Historiker, das ist schon eher möglich.
Ellmenreich: Auf welchen Gebieten, auf welchen Wissensgebieten besteht da besonders großer Nachholbedarf? Was bringen Sie den Studenten in diesen "Courses" bei?
Eichhorn: Wir versuchen natürlich anzuknüpfen an den Sachen, die sie selbst studieren, die sie mitbringen, diese nuklearphysikalischen Zusammenhänge, was Kernspaltung ist. Ein Spezialgebiet von mir ist eben die deutsche Atombombe, der Versuch eine solche zu bauen, und das Manhattan-Projekt, die amerikanische Geschichte. Und in diesem Zusammenhang natürlich, wie es sich da einbettet in den historischen Kontext.
Wir in Europa sind ja eurozentrisch, also der Zweite Weltkrieg ist im wesentlichem ein Ereignis, was hier in Europa stattgefunden hat, vielleicht so bis zum Ural hin, und das war es. Der Pazifik-Krieg hat mindestens so viele Opfer gekostet wie dieser europäische und nordafrikanische Kriegsschauplatz. Das ist also auch eine wichtige Botschaft, dass sie über ihren Tellerrand rausgucken.
Ellmenreich: Botschaften, Wissen, um Verantwortung deutlich zu machen, die man als Naturwissenschaftler trägt?
Eichhorn: Selbstverständlich. Wir wollen ihnen klar machen, dass der Wissenschaftler, der Ingenieur Verantwortung trägt. Er kann nicht sagen: Hier, die Politiker haben letzten Endes aus unserer Hände Werk etwas gemacht, was wir nicht haben wollten. Das geht nicht. Das haben sie heute in der Molekulargenetik wieder im Klonen von Menschen. Da haben sie genau dasselbe Problem. Der Wissenschaftler ist selbstverständlich, ich möchte fast sagen zu 150 Prozent, verantwortlich. Jeder ist für das verantwortlich, was er tut. Man kann diese Verantwortung nicht delegieren.

9. August 1945, Nagasaki© AP Archiv