"Man kann das schon als gewissen Warnschuss verstehen"

Joachim Wieland im Gespräch mit Marietta Schwarz · 22.06.2012
Der Staatsrechtler Joachim Wieland geht davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht die Verabschiedung des europäischen Fiskalpaktes und des dauerhaften Euro-Rettungsschirmes ESM um einige Wochen verzögern wird. Im Ergebnis rechne er aber damit, dass die Richter die Verträge billigen.
Marietta Schwarz: Eigentlich sollte der Rettungsschirm ESM schon am 1. Juli in Kraft treten, doch das wird nun nicht geschehen: Die Links-Fraktion im Bundestag hat eine Klage beim Verfassungsgericht eingereicht beziehungsweise wird dies tun, und Bundespräsident Gauck wird die Gesetze zu ESM und Fiskalvertrag, wenn sie denn vom Bundestag verabschiedet werden, vorerst nicht unterzeichnen. Die Gegner argumentieren mit der Budgethoheit des Parlaments, die verletzt werde – schlecht für Angela Merkel, hat sie den Fiskalpakt doch in der EU durchgefochten. Jetzt drängt die Zeit, und das Parlament im eigenen Land bockt.

Soweit der Merkel mit Fiskalpakteinigung und ungewissem Zeitplan auf dem Weg nach Rom Bericht von Gudula Geuter. Der Staatsrechtler Joachim Wieland ist am Telefon, Rektor an der Universität Speyer. Guten Morgen, Herr Wieland!

Joachim Wieland: Guten Morgen!

Schwarz: Bleiben wir doch gleich mal bei der Äußerung Schäubles: Warum sollten denn die Verfassungsorgane nicht öffentlich miteinander kommunizieren?

Wieland: Normalerweise werden solche Vorgänge, wie wir es jetzt erleben, dass das Bundesverfassungsgericht den Bundespräsidenten bittet, mit der Unterschrift unter ein Gesetz noch zu warten, im Diskreten abgehandelt, das heißt, man macht das, aber man spricht nicht drüber, und schon gar nicht im Voraus. Das ist hier schon eine besondere Situation, ganz offensichtlich hat das Gericht den Eindruck, dass die Regierung versucht, sich über das Gericht hinwegzusetzen und ihm nicht die nötige Zeit zur Prüfung zu geben. Und man kann das schon als gewissen Warnschuss verstehen: Das Gericht hat deutlich gemacht, dass es sich die Zeit nehmen wird, um die bei ihm erwarteten Klagen auch zu prüfen.

Schwarz: Die Bundesregierung ist verständlicherweise "not amused" über diesen Aufschub. Wie lange dauert der denn?

Wieland: Das ist nicht genau vorherzusagen. Ich denke auch nicht, dass das Bundesverfassungsgericht nach dieser Vorgeschichte in zwei oder drei Tagen sagen wird: Das ist alles in Ordnung. Ich glaube zwar, im Ergebnis wird das Gericht die Verträge billigen, also sowohl den Rettungsschirm als auch den Fiskalpakt, aber es wird das sorgfältig prüfen, und das wird eher um Wochen gehen. Also man muss schon damit rechnen, dass um einige Wochen das Ganze verzögert wird. Das hat aber letztlich die Bundesregierung dadurch verschuldet, dass sie so lange gewartet hat und dann praktisch gesagt hat: Zwei Tage, nachdem das Parlament beschlossen hat, soll das Ganze auch in Kraft treten. Da war kein Raum für Rechtsschutz, und das lässt sich das Bundesverfassungsgericht nicht bieten.

Schwarz: Es gibt mehrere Kandidaten für den Rettungsschirm momentan. Ist es da nicht fahrlässig, mit einer Klage, aber auch, wie Sie gerade eben auch schon angedeutet haben, mit dieser Einigung zum Fiskalpakt bis zur letzten Minute gewartet zu haben?

Wieland: Das ist fahrlässig, das waren aber natürlich auch politische Bedingungen. Hier stößt gewissermaßen der politische Prozess auf die Rechtsschutzgarantien der Verfassung. Die Kanzlerin wollte beide Projekte gemeinsam verabschieden lassen, sie braucht für diese Projekte die Zustimmung der Opposition, weil eine Zweidrittelmehrheit für den Fiskalpakt erforderlich ist. Und die Opposition hat ihr Spiel ausgereizt, sie hat Bedingungen gestellt – das ist das, was wir in Berlin häufig erleben. Das Verfassungsgericht sagt jetzt: Wir müssen trotz der bedrohlichen Situation für den Euro prüfen. Das Gericht wird sicher in Berücksichtigung nehmen, dass aus währungspolitischen Gründen und um die Märkte zu beruhigen diese Prüfung nicht zu lange dauern sollte, aber in einem Rechtsstaat muss man einen gewissen Preis zahlen. Das hat der Präsident des Gerichts ja am Dienstag noch einmal deutlich gemacht.

Schwarz: Wie stehen denn jetzt die Chancen bei dieser Klage? Wird die Budgethoheit Ihrer Meinung nach, die Budgethoheit des Parlaments beim Fiskalpakt, verletzt?

Wieland: Nach meiner Meinung wird die Budgethoheit des Parlaments in diesem Falle nicht verletzt. Natürlich ist es bedrohlich, wir sehen alle die möglichen Schulden, die Verpflichtungen, die Deutschland eingeht, steigen, aber das Bundesverfassungsgericht hat bisher immer dafür gesorgt, dass das Parlament die wesentlichen Entscheidungen trifft. Und das scheint mir auch hier möglich zu sein, dass man das Ganze so ausgestaltet, dass immer dann, wenn neue große Verpflichtungen eingegangen werden in Deutschland, der Bundestag eingeschaltet wird. Das wissen wir inzwischen, das ist geboten, ich glaube, das weiß der Bundestag auch, und wenn man diese Voraussetzung einhält, dann ist das möglich, was im Fiskalpakt und im Rettungsschirm geplant ist.

Schwarz: Dann ist da immer noch von einem Ewigkeitscharakter im Gesetz die Rede, der gegen das Grundgesetz verstoße. Worum geht es denn da genau?

Wieland: Im Grundgesetz ist festgelegt, dass man zwar die Verfassung ändern kann, dass das aber auf gewisse Grenzen stößt, also Deutschland muss als Staat erhalten bleiben, wir müssen eine Demokratie und ein Rechtsstaat bleiben. Das kann auch der verfassungsändernde Gesetzgeber nicht abändern. Jetzt taucht die Frage auf: Je mehr Kompetenzen wir nach Brüssel abgeben oder an den Rettungsschirm abgeben, desto mehr kann man sagen: Wir haben gar nicht mehr alle Befugnisse, die ein Staat hat. Und irgendwann würde man wahrscheinlich eine Grenze erreichen, wo man dann sagen würde: Jetzt ist es ein europäischer Bundesstaat und Deutschland ist nicht mehr hinreichend souverän. Wenn diese Grenze erreicht würde, brauchten wir eine neue Verfassung, die müsste vom Volk verabschiedet werden. Und der Streit geht jetzt darüber, ob der Fiskalpakt und der Rettungsschirm diese Grenze praktisch schon erreichen. Das scheint mir aber noch nicht der Fall zu sein, weil das Grundgesetz sehr klar sagt: Deutschland wirkt an der europäischen Integration mit – und mehr kann man im Moment von einer Verfassung nicht erwarten. Also das, was jetzt geschehen soll, berührt die Ewigkeitsklausel des Grundgesetzes noch nicht.

Schwarz: Herr Wieland, die Karlsruher Richter haben die Rechte des Parlamentes mehrfach gestärkt. Können sie sich diesmal überhaupt anders entscheiden?

Wieland: Das glaube ich nicht. Ich glaube, die Richter werden noch einmal darauf hinweisen, dass der Bundestag die wesentlichen Entscheidungen auch zukünftig treffen muss, die wesentlichen Haushaltsentscheidungen, die wesentlichen Entscheidungen über die Verschuldung. Das heißt aber nicht, dass die beiden Vorhaben daran scheitern, sondern sie müssen nur so abgewickelt werden, dass der Bundestag im Spiel bleibt, dass er nicht einmal nur nickt und danach wird alles auf europäischer Ebene entschieden, sondern dass immer, wenn es wesentliche Entscheidungen gibt, der Bundestag noch einmal gefragt wird, auch wenn das dann eine gewisse Zeitverzögerung mit sich bringt.

Schwarz: Das Bundesverfassungsgericht bremst den Fiskalpakt auf der Zielgeraden aus, dazu war das der Verfassungsrechtler Joachim Wieland. Danke Ihnen für das Gespräch!

Wieland: Gerne!

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