"Man ist da fast schon autistisch"

Ferdinand Dudenhöffer im Gespräch mit Britta Bürger |
Der Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer hat dem Management von General Motors (GM) autistische Züge attestiert. GM habe ein Weltbild mit "Dinosauriercharakter" und wolle die Märkte zentralistisch steuern. Moderne Organisationsformen sähen hingegen die Bildung kleiner Geschäftseinheiten mit hoher Eigenverantwortung vor.
Britta Bürger: Globale Wirtschaft, nationale Ohnmacht – was wird aus dem Autohersteller Opel nach dem überraschenden Rückzieher des amerikanischen Mutterkonzerns General Motors? Der hat entschieden, Opel doch nicht an ein Bündnis um den Autozulieferer Magna zu verkaufen, nach neuesten GM-Plänen sollen in Europa an die 10.000 Opel-Arbeitsplätze gestrichen werden. Wer trägt die Verantwortung für dieses Desaster, wer sind die Schuldigen? Für die Beschäftigten ist das alles kaum noch durchschaubar. Befragen wir also einen Fachmann, den Autowirtschaftsexperten Ferdinand Dudenhöffer, Professor an der Universität Duisburg-Essen. Guten Morgen, Herr Dudenhöffer!

Ferdinand Dudenhöffer: Schönen guten Morgen!

Bürger: Sie haben ja selbst in den 80er-Jahren für die Opel-AG gearbeitet. Bereits zu dieser Zeit begann der Absatz zu sinken. Waren die global verflochtenen Strukturen eigentlich damals schon so schwer zu durchschauen für die Beschäftigten?

Dudenhöffer: Es war schwer zu durchschauen und es galt eines, das gilt heute auch noch: Die Entscheidungen werden in Detroit getroffen und diese Entscheidungen werden so getroffen, dass es eben in dieses Weltbild von General Motors passt heute aus dem 75. Stockwerk. Man ist da fast schon autistisch, konzentriert sich auf sich, trifft die Entscheidungen, die General Motors passen, unabhängig davon, ob da irgendwelche Stimmungen von außen dazu abgegeben werden. General Motors agiert so, als wäre es der Herr der Welt im Automobilbereich.

Bürger: In Zeiten der Krise ist das natürlich eine zusätzliche Verunsicherung, wenn man als Beschäftigter nicht mehr durchschaut, wer eigentlich für die Entscheidungen eines Unternehmens verantwortlich ist, also welche Person man dafür möglicherweise auch ansprechen kann. Wer trägt denn im Fall Opel jetzt ganz konkret die Verantwortung, wer ist Schuld daran, dass der geplante Verkauf geplatzt ist, Opel möglicherweise schlechter dasteht denn je?

Dudenhöffer: Aufgeschnürt hat das Paket, den Anlass zum Aufschnüren, Neelie Kroes, die EU-Wettbewerbskommissarin, indem sie General Motors noch mal, als der Deal schon gemacht war, aufgefordert hat, nochmals zu bestätigen, dass alles in richtigen Bahnen verlaufen ist und das hat General Motors zum Anlass genommen, darüber intensiv noch mal nachzudenken.

Und der Aufsichtsratsvorsitzende oder Boardsprecher, wie das bei General Motors heißt, Whitacker, der kommt von ANT, der war oder ist Abgesandter von Obama in dem neuen Board von General Motors, der hat die Entscheidung durchgedrückt in diesem Board, dass man sagt, man geht jetzt doch eigenständig, man will mit Opel in Europa in die Zukunft gehen, deshalb, weil man davon überzeugt ist, dass man den europäischen Markt gut bearbeiten kann, dass man Russland aus Europa gut bearbeiten kann und dass man mit dem Entwicklungszentrum in Rüsselsheim eben einen Standort hat, mit dem man Fahrzeuge entwickeln kann, die man weltweit einsetzen kann.

Bürger: Sie haben die GM-Chefs eben als autistisch beschrieben. Man kann sich vorstellen, dass diese räumliche Entfernung, dieser, ja, virtuelle Kontakt zu den Beschäftigten in Europa im Grunde auch ein distanziertes Verhältnis schafft zwischen denen da oben und jenen da unten. Ist es also leichter, sich der Verantwortung zu entledigen, wenn das Tochterunternehmen auf einem anderen Kontinent platziert ist?

Dudenhöffer: Eigentlich ganz leicht, denn man sieht ja ... die Auswirkungen von seinen Entscheidungen, die spürt man ja gar nicht mehr. Selbst wenn man dort einen TV-Kanal anschaltet und da Bilder sieht, dann sieht man irgendwelche Bilder. Aber die Amerikaner, die sprechen Englisch, aber nicht Deutsch, von daher kriegt man auch Stimmungen ganz, ganz wenig mit und, um offen zu sein, es ist auch so, dass man dort überhaupt nicht daran interessiert ist. Man macht sein Programm, so, wie man es vorgesehen hat, man ist derjenige, dem General Motors und dem Opel gehört, und das, was dann diese Rechte als Unternehmer, als Eigentümer möglich machen für General Motors, das nutzt man aus zu dem Punkt, den es auszunutzen ist, und Stimmungen und Ressentiments und Kundeneinschätzungen, die nimmt man, nach meiner Einschätzung, in Amerika aus Deutschland und aus Europa so gut wie nicht zur Kenntnis.

Bürger: In Konstellationen wie der von Opel und General Motors versucht ja jeder einzelne Staat, in erster Linie seine Standorte zu retten. Ist das Unternehmen als Global Player tatsächlich in einer besseren Situation, weil es die Länder gegeneinander ausspielen kann beziehungsweise die Chance hat, von allen Subventionen zu erhalten?

Dudenhöffer: Auf der einen Seite könnte man das vermuten, auf der anderen Seite zeigt und bestätigt ja General Motors, dass die Aufstellung, die man bei General Motors hat, wenig zukunftsträchtig ist. Nicht umsonst ist man ja da in die Insolvenz, also in die Pleite gegangen in Amerika. Es ist so, dass dieses Weltbild, was man dort hat – dass man zentralistisch die Märkte steuert –, nicht das Bild ist, was gut zu den Märkten passt. Man ist besser unterwegs, wenn man eigenständige Einheiten macht und die eigenständigen Einheiten ihr Geschäft betreiben können, sodass es viel spezifischer auf die Länder abgestimmt werden kann. Genau das macht die Magna, genau das wäre die Zukunft von Opel gewesen, dass man sein eigenes Geschäft in Europa eigenständig, eigenverantwortlich aufbauen kann und dass man weniger ferngesteuert wird, fremdbestimmt wird aus dem 75. Stockwerk aus Detroit.

Bürger: Globale Wirtschaft, nationale Ohnmacht – der Fall Opel beschäftigt uns hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Ferdinand Dudenhöffer, Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Automobilwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen, salopp nennt man ihn den "Autopapst". Opel gehört ja bereits seit 1929 zu General Motors, das ist also keine neuere Fusion in der globalisierten Welt. Ist der Fall dennoch, Herr Dudenhöffer, vergleichbar mit anderen multinationalen Zusammenschlüssen oder doch eher ein Sonderfall in der Automobilwelt?

Dudenhöffer: Er zeigt das Weltbild, was die amerikanischen Konzerne in den letzten 50 Jahren an den Tag gelegt haben, aber er zeigt auch, dass es eine alte Welt ist, aus der wir kommen, eine Welt, die so ein Stück Dinosauriercharakter hat. Die moderne Welt, die modernen Organisationsformen sehen wirklich so aus, dass man Einheiten bildet, profit units oder Geschäftseinheiten, die dann eine hohe Eigenverantwortlichkeit haben.

Genau dieses Bild hat ja Magna, dieser Zulieferer, der Opel übernehmen wollte, in seinem Unternehmen zugrunde gelegt. Man hat eine eigene Unternehmensverfassung, die die Mitarbeiter hoch motiviert in dem Unternehmen arbeiten lässt auch dadurch, dass man nicht nur über Mitbestimmung spricht, sondern dass man eine Gewinnverteilung zum Beispiel hat, bei der die Arbeiter zehn Prozent der Gewinne, die erwirtschaftet werden, ausgeschüttet bekommen. Sieben Prozent gehen in Forschung und Entwicklung, um die Zukunft des Unternehmens zu festigen. Das hat man in Verfassungen festgelegt und jede Einheit bei der Magna ist eigenständig, kann im Prinzip ihr Geschäft machen. Da wird nicht reingeredet, solange diese Einheit richtig und gut unterwegs ist im Markt. Wenn es Probleme gibt, dann greift natürlich die Magna ein.

Aber das ist ein Weltbild, das ist eine Organisationsform, die sehr flexibel ist. Man kann es sich vorstellen wie ein Verbund von kleinen Schiffen, die gemeinsam eine große Armada geben. Das Weltbild von General Motors ist der große Tanker, der unterwegs ist, und der deshalb inflexibel ist. Deshalb ist das Risiko in der Zukunft – auch wenn jetzt neues Steuergeld in General Motors, in Opel gegeben werden sollte – bei General Motors sehr hoch, das man in der alten Welt, zu den alten Problemen in unserer neuen Welt wieder kommt und deshalb eine Dauerbaustelle hat und deshalb hoch risikoreich auch mit Steuergeld unterwegs ist.

Bürger: Aber sowohl für die kleinen Schiffe wie für die großen Tanker, wie Sie es nennen, sind ja vor allen Dingen die Eroberungen neuer Märkte interessant. Da sind doch die Grenzen langsam erreicht. Welche Märkte sind überhaupt noch ausbaufähig für ein Unternehmen wie GM und Opel?

Dudenhöffer: In der Automobilwelt gibt es ganz große Märkte, die in der Zukunft die Automobilwelt prägen werden, neue Märkte. Das ist auf der einen Seite China. In China, nur um sich das vorzustellen, besitzen 1000 Chinesen 15 Fahrzeuge, in Deutschland besitzen 1000 Deutsche 600 Fahrzeuge, also, das Potenzial ist riesig. Neben China ist Indien, der ganze Asienraum, deshalb ist das ein Wachstumsgebiet, was hochinteressant ist. Deshalb wäre General Motors, nach meiner Einschätzung, besser unterwegs, wenn man sich voll und ganz auf Asien konzentriert hätte, voll und ganz das Amerikageschäft macht, was sehr schwierig ist, und Europa dann im Verbund mit dieser Magna betreibt.

Der zweite große Wachstumsblock bei uns ist Osteuropa, Russland. Russland, da haben wir – wir nennen es Fahrzeugdichten – 150 Fahrzeuge auf etwa 1000 Russen und auch da sieht man, dass eine gewisse Unterdeckung von Fahrzeugen da ist, bei 150 Millionen Russen haben wir da jedes Wachstumspotenzial, was man sich vorstellen kann. Und genau das wären die Chancen gewesen für Opel-Magna, denn die Magna ist gut verdrahtet in Russland, man ist mit dem russischen Automobilbauer GAZ und dem Investor Oleg Deripaska sehr eng zusammen. Das hätte die Türen sehr weit geöffnet für Opel und Magna.

Bei General Motors ist es umgekehrt: Man ist aus einer Zusammenarbeit mit einem russischen Automobilbauer rausgegangen, dort ist sehr viel Porzellan zerschlagen worden. Man hat Putin jetzt brüskiert, indem man ihn hat verhandeln lassen und anschließend gesagt, man geht doch nicht mit ihm zusammen, indem man jetzt diesen Deal gekündigt hat. Und das bedeutet, dass mit Opel und General Motors dieser Wachstumsmarkt Russland viel verschlossener ist, als er gewesen wäre, wenn Opel mit der Magna gemeinsam in die Zukunft gegangen wäre.