"Man hat hier sogar schon Liebe gemacht"
Der Architekt Peter Eisenman hat fünf Jahre nach der Einweihung des Berliner Holocaust-Mahnmals eine positive Bilanz gezogen. Das Mahnmal sei ein Teil des Alltags der Berliner und auch der Touristen, sagte Eisenman.
Liane von Billerbeck: Vor fünf Jahren wurde in Berlin - gleich neben dem Brandenburger Tor - das Holocaust-Mahnmal eingeweiht. 1988 hatte eine Bürgerinitiative unter der Publizistin Lea Rosh den Bau eines solchen Denkmals für die sechs Millionen ermordeten europäischen Juden angeregt.
Nach einer über ein Jahrzehnt dauernden Debatte, mehreren Entwürfen, einem Bundestagsbeschluss und einem zwischenzeitlichen Baustopp wurde es im Jahr 2000 fertig und eingeweiht: ein gewelltes Stelenfeld, bestehend aus 2711 Stelen. Entworfen haben dieses Denkmal der Architekt Peter Eisenman, anfangs gemeinsam mit dem Bildhauer Richard Serra.
Der amerikanische Architekt Peter Eisenman ist in Berlin zu Gast. Wir haben mit ihm im Ort der Information, auf dem Gelände des Mahnmals gesprochen. Peter Eisenman, guten Tag!
Peter Eisenman: Guten Tag!
von Billerbeck: Als das Stelenfeld vor fünf Jahren eingeweiht wurde, da sagte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, er hoffe, dass aus diesem Mahnmal ein Ort wird, an den man gerne geht. Sehen Sie dieses Mahnmal auch so, als einen Ort, an den man gerne geht?
Eisenman: Nun, meine Absicht war - ganz im Gegensatz zu der Absicht von vielen anderen –, dass dieser Ort Teil des Alltags der Bürger wird, zum Beispiel Studenten oder Schüler, die aus Schulbussen hinausströmen und ganz glücklich in diesem Stelenfeld zum Beispiel Mittag essen, man hat hier sogar schon Liebe gemacht an diesem Ort. Und ich weiß nicht, ob es ein Ort ist, an den man liebt zu gehen, aber es ist ein Teil des Alltags der Berliner und auch der Touristen geworden.
von Billerbeck: In den Jahren bis zur Einweihung des Mahnmals wurde in Deutschland ja heftig gestritten. Die Debatte um dieses Mahnmal schien damals die Funktion des Mahnmals zu übernehmen. Ja, manchmal konnte man den Eindruck haben, dass der Streit ums Mahnmal zentraler war als dieses Mahnmal selbst. Wie haben Sie diese Auseinandersetzung in Erinnerung?
Eisenman: Nun, es war eine sehr, sehr politisierte Debatte. Als wir damals den Wettbewerb gewonnen hatten, war noch Helmut Kohl Bundeskanzler, und ich sagte damals zu Helmut Kohl: Wenn Sie die Wahlen verlieren, dann ist dieses Projekt erst einmal gestorben – und genau so war es.
Als dann die Partei von Gerhard Schröder an die Macht kam, wollten sie von diesem Mahnmal nichts mehr wissen. Es ist dann aufgrund verschiedenster Umstände wiederbelebt worden, und Michael Naumann, der damalige Kulturstaatsminister, hat auf eine sehr clevere Art und Weise es geschafft, dass es wieder zu einer Auseinandersetzung im Bundestag kam, zu einer Abstimmung im Bundestag kam und es dann eine politische Abstimmung gab.
Aber die Bedingungen waren unglaublich schwierig, die Presse war sehr gegen uns, ich würde sogar sagen, 90 Prozent der Deutschen waren damals gegen uns. Aber Dinge ändern sich, und aus dieser sehr politisierten Atmosphäre, die damals herrschte, ging die Frage eigentlich eher darum, nicht nur, ob es dieses Mahnmal braucht, sondern ob es überhaupt ein Mahnmal braucht.
von Billerbeck: Aber trotz der positiven Eindrücke, die Sie jetzt haben, auch jetzt, seit es das Mahnmal fünf Jahre gibt, sind Vorwürfe zu lesen. Vor einer Woche schrieb der ungarische Schriftsteller Péter Nádas in der Zeitung "Cicero", wo Michael Naumann Chefredakteur ist inzwischen: "Auf Peter Eisenmans Steinfriedhof ist nur ein Mensch erkennbar - der Mahnmal-Erbauer selbst, und die ermordeten Menschen werden kollektiv zum Objekt des Werks gemacht, sie sind in jeder Hinsicht das, was sie am Ende ihres Lebens waren, absolut wehrlos." Das sind ja so ähnliche Vorwürfe wie damals vor fünf Jahren. Was sagen Sie darauf, treffen Sie solche Vorwürfe?
Eisenman: Nun, ich denke, jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung. Es wäre ja ganz schrecklich, wenn sich alle einig wären. Und ich bin nun mal jemand, der sehr am Poststrukturalismus interessiert ist; für mich ist es ganz wichtig, Fragen nach der Herkunft zu stellen, Fragen nach der Wahrheit zu stellen. Da berühren mich auch metaphysische Fragen sehr.
Und ich kann nur sagen: Für mich ist das sehr, sehr schwer, das zu beantworten. Habermas beispielsweise hat in der "Zeit", die auch von Michael Naumann herausgegeben wird, damals gesagt, dass das Stelenfeld ein Ort der Stille ist, wo man sich nicht an das erinnern kann, wo die Erinnerung praktisch nicht möglich ist. Und ich denke, Jürgen Habermas hat seine Meinung, dieser andere Herr, Herr Nádas, hat seine Meinung. Ich halte mich da ein bisschen raus.
von Billerbeck: Fünf Jahre nach der Einweihung sind wir im Gespräch mit Peter Eisenman, dem Architekten des Holocaust-Mahnmals in Berlin. Auf die Frage, was Ihr Stelenfeld bedeutet, haben Sie damals einigermaßen kokett, so stand es in der "TAZ", geantwortet: "Was Sie wollen", aber im Laufe der Jahre sind Sie überzeugt worden, dass zusätzlich zu dem Denkmal noch ein Ort der Information wichtig ist. Wie kam dieser Sinneswandel?
Eisenman: Also, dieses Stelenfeld für mich ist einfach ... da kann man keine 1:1-Beziehung herstellen zwischen der Bedeutung und dem Objekt. Also, ich habe das gar nicht auf eine kokette Art und Weise beantwortet, sondern ich meinte wirklich eher die philosophische Bedeutung, dass es für jeden eben auch etwas anderes ausdrücken kann.
Und es gibt sozusagen eine archivierte Erinnerung, und dann gibt es eine Erinnerung, die man nicht zuordnen kann, die eher unaussprechlich ist. Auf das hat Jürgen Habermas damals hingewiesen, und für ihn war sozusagen diese archivierte Erinnerung etwas, was unter dem stand, was er die unaussprechliche oder undefinierbare Erinnerung nennt, und das hat aber auch dazu beigetragen, dass ich meine Meinung in Bezug auf so ein Informationszentrum dann geändert habe.
von Billerbeck: Wir haben immer weniger Überlebende des Holocaust, die darüber berichten können. Was kann das Stelenfeld für die Erinnerung leisten, wenn Sie jetzt durch Ihr Denkmal gehen, das Sie geschaffen haben und erleben, wie die Deutschen damit umgehen?
Eisenman: Ich möchte noch etwas hinzufügen. Es gibt zwei Begriffe für mein Stelenfeld, das eine ist "Mahnmal", das andere ist "Denkmal". "Mahnmal" ist eher eine Warnung, "Denkmal" ist mehr Erinnerung. Und was mir bei einem Mahnmal ... was bei mir eher die Absicht ist, dass es eine Erfahrung ist, die man ... eine physische Erfahrung, die man in der Gegenwart machen kann.
Wenn Sie in ein Konzentrationslager gehen und das besichtigen, dann fühlen Sie Kummer, dann erinnern Sie sich an das Schreckliche, was dort geschehen ist, aber Sie können da auch wieder weglaufen von. In dem Stelenfeld, wenn Sie da hindurchgehen, machen Sie andere Erfahrungen, nämlich die Erfahrungen von Stille, die Erfahrungen von Alleinsein, und es ist ein ganz anderer Bezug zwischen Zeit und Raum, der in so einem Stelenfeld entsteht – und dieses Erlebnis, das können Sie nicht psychologisch so leicht verarbeiten wie wenn Sie beispielsweise ein Konzentrationslager besuchen.
Und das erinnert mich an eine Erfahrung, die Proust gemacht hat mit der Figur von Swann: Der läuft über Pflastersteine und fühlt sich plötzlich an Venedig erinnert, weil es eine ähnliche Erfahrung ist, weil der Ton der Art, wie er auf diese Pflastersteine läuft, ihn daran erinnert. Und so etwas Ähnliches habe ich auch ausdrücken wollen, und da kommt es wieder auf die Begriffe zwischen Stille und Alleinsein an.
Wenn jemand aus Prag oder aus Budapest 1944 im Winter nach Auschwitz verschleppt worden ist, dann hat er sich so gefühlt: Da war diese Stille, da war dieses Alleinsein. Man war nicht in der Lage, sich zu artikulieren, man war nicht in der Lage, zu reden, und das ist eine Erfahrung, die wollte ich versuchen, wieder lebendig zu machen mit diesem Stelenfeld.
Nach einer über ein Jahrzehnt dauernden Debatte, mehreren Entwürfen, einem Bundestagsbeschluss und einem zwischenzeitlichen Baustopp wurde es im Jahr 2000 fertig und eingeweiht: ein gewelltes Stelenfeld, bestehend aus 2711 Stelen. Entworfen haben dieses Denkmal der Architekt Peter Eisenman, anfangs gemeinsam mit dem Bildhauer Richard Serra.
Der amerikanische Architekt Peter Eisenman ist in Berlin zu Gast. Wir haben mit ihm im Ort der Information, auf dem Gelände des Mahnmals gesprochen. Peter Eisenman, guten Tag!
Peter Eisenman: Guten Tag!
von Billerbeck: Als das Stelenfeld vor fünf Jahren eingeweiht wurde, da sagte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, er hoffe, dass aus diesem Mahnmal ein Ort wird, an den man gerne geht. Sehen Sie dieses Mahnmal auch so, als einen Ort, an den man gerne geht?
Eisenman: Nun, meine Absicht war - ganz im Gegensatz zu der Absicht von vielen anderen –, dass dieser Ort Teil des Alltags der Bürger wird, zum Beispiel Studenten oder Schüler, die aus Schulbussen hinausströmen und ganz glücklich in diesem Stelenfeld zum Beispiel Mittag essen, man hat hier sogar schon Liebe gemacht an diesem Ort. Und ich weiß nicht, ob es ein Ort ist, an den man liebt zu gehen, aber es ist ein Teil des Alltags der Berliner und auch der Touristen geworden.
von Billerbeck: In den Jahren bis zur Einweihung des Mahnmals wurde in Deutschland ja heftig gestritten. Die Debatte um dieses Mahnmal schien damals die Funktion des Mahnmals zu übernehmen. Ja, manchmal konnte man den Eindruck haben, dass der Streit ums Mahnmal zentraler war als dieses Mahnmal selbst. Wie haben Sie diese Auseinandersetzung in Erinnerung?
Eisenman: Nun, es war eine sehr, sehr politisierte Debatte. Als wir damals den Wettbewerb gewonnen hatten, war noch Helmut Kohl Bundeskanzler, und ich sagte damals zu Helmut Kohl: Wenn Sie die Wahlen verlieren, dann ist dieses Projekt erst einmal gestorben – und genau so war es.
Als dann die Partei von Gerhard Schröder an die Macht kam, wollten sie von diesem Mahnmal nichts mehr wissen. Es ist dann aufgrund verschiedenster Umstände wiederbelebt worden, und Michael Naumann, der damalige Kulturstaatsminister, hat auf eine sehr clevere Art und Weise es geschafft, dass es wieder zu einer Auseinandersetzung im Bundestag kam, zu einer Abstimmung im Bundestag kam und es dann eine politische Abstimmung gab.
Aber die Bedingungen waren unglaublich schwierig, die Presse war sehr gegen uns, ich würde sogar sagen, 90 Prozent der Deutschen waren damals gegen uns. Aber Dinge ändern sich, und aus dieser sehr politisierten Atmosphäre, die damals herrschte, ging die Frage eigentlich eher darum, nicht nur, ob es dieses Mahnmal braucht, sondern ob es überhaupt ein Mahnmal braucht.
von Billerbeck: Aber trotz der positiven Eindrücke, die Sie jetzt haben, auch jetzt, seit es das Mahnmal fünf Jahre gibt, sind Vorwürfe zu lesen. Vor einer Woche schrieb der ungarische Schriftsteller Péter Nádas in der Zeitung "Cicero", wo Michael Naumann Chefredakteur ist inzwischen: "Auf Peter Eisenmans Steinfriedhof ist nur ein Mensch erkennbar - der Mahnmal-Erbauer selbst, und die ermordeten Menschen werden kollektiv zum Objekt des Werks gemacht, sie sind in jeder Hinsicht das, was sie am Ende ihres Lebens waren, absolut wehrlos." Das sind ja so ähnliche Vorwürfe wie damals vor fünf Jahren. Was sagen Sie darauf, treffen Sie solche Vorwürfe?
Eisenman: Nun, ich denke, jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung. Es wäre ja ganz schrecklich, wenn sich alle einig wären. Und ich bin nun mal jemand, der sehr am Poststrukturalismus interessiert ist; für mich ist es ganz wichtig, Fragen nach der Herkunft zu stellen, Fragen nach der Wahrheit zu stellen. Da berühren mich auch metaphysische Fragen sehr.
Und ich kann nur sagen: Für mich ist das sehr, sehr schwer, das zu beantworten. Habermas beispielsweise hat in der "Zeit", die auch von Michael Naumann herausgegeben wird, damals gesagt, dass das Stelenfeld ein Ort der Stille ist, wo man sich nicht an das erinnern kann, wo die Erinnerung praktisch nicht möglich ist. Und ich denke, Jürgen Habermas hat seine Meinung, dieser andere Herr, Herr Nádas, hat seine Meinung. Ich halte mich da ein bisschen raus.
von Billerbeck: Fünf Jahre nach der Einweihung sind wir im Gespräch mit Peter Eisenman, dem Architekten des Holocaust-Mahnmals in Berlin. Auf die Frage, was Ihr Stelenfeld bedeutet, haben Sie damals einigermaßen kokett, so stand es in der "TAZ", geantwortet: "Was Sie wollen", aber im Laufe der Jahre sind Sie überzeugt worden, dass zusätzlich zu dem Denkmal noch ein Ort der Information wichtig ist. Wie kam dieser Sinneswandel?
Eisenman: Also, dieses Stelenfeld für mich ist einfach ... da kann man keine 1:1-Beziehung herstellen zwischen der Bedeutung und dem Objekt. Also, ich habe das gar nicht auf eine kokette Art und Weise beantwortet, sondern ich meinte wirklich eher die philosophische Bedeutung, dass es für jeden eben auch etwas anderes ausdrücken kann.
Und es gibt sozusagen eine archivierte Erinnerung, und dann gibt es eine Erinnerung, die man nicht zuordnen kann, die eher unaussprechlich ist. Auf das hat Jürgen Habermas damals hingewiesen, und für ihn war sozusagen diese archivierte Erinnerung etwas, was unter dem stand, was er die unaussprechliche oder undefinierbare Erinnerung nennt, und das hat aber auch dazu beigetragen, dass ich meine Meinung in Bezug auf so ein Informationszentrum dann geändert habe.
von Billerbeck: Wir haben immer weniger Überlebende des Holocaust, die darüber berichten können. Was kann das Stelenfeld für die Erinnerung leisten, wenn Sie jetzt durch Ihr Denkmal gehen, das Sie geschaffen haben und erleben, wie die Deutschen damit umgehen?
Eisenman: Ich möchte noch etwas hinzufügen. Es gibt zwei Begriffe für mein Stelenfeld, das eine ist "Mahnmal", das andere ist "Denkmal". "Mahnmal" ist eher eine Warnung, "Denkmal" ist mehr Erinnerung. Und was mir bei einem Mahnmal ... was bei mir eher die Absicht ist, dass es eine Erfahrung ist, die man ... eine physische Erfahrung, die man in der Gegenwart machen kann.
Wenn Sie in ein Konzentrationslager gehen und das besichtigen, dann fühlen Sie Kummer, dann erinnern Sie sich an das Schreckliche, was dort geschehen ist, aber Sie können da auch wieder weglaufen von. In dem Stelenfeld, wenn Sie da hindurchgehen, machen Sie andere Erfahrungen, nämlich die Erfahrungen von Stille, die Erfahrungen von Alleinsein, und es ist ein ganz anderer Bezug zwischen Zeit und Raum, der in so einem Stelenfeld entsteht – und dieses Erlebnis, das können Sie nicht psychologisch so leicht verarbeiten wie wenn Sie beispielsweise ein Konzentrationslager besuchen.
Und das erinnert mich an eine Erfahrung, die Proust gemacht hat mit der Figur von Swann: Der läuft über Pflastersteine und fühlt sich plötzlich an Venedig erinnert, weil es eine ähnliche Erfahrung ist, weil der Ton der Art, wie er auf diese Pflastersteine läuft, ihn daran erinnert. Und so etwas Ähnliches habe ich auch ausdrücken wollen, und da kommt es wieder auf die Begriffe zwischen Stille und Alleinsein an.
Wenn jemand aus Prag oder aus Budapest 1944 im Winter nach Auschwitz verschleppt worden ist, dann hat er sich so gefühlt: Da war diese Stille, da war dieses Alleinsein. Man war nicht in der Lage, sich zu artikulieren, man war nicht in der Lage, zu reden, und das ist eine Erfahrung, die wollte ich versuchen, wieder lebendig zu machen mit diesem Stelenfeld.