Vertane Chance auf Erneuerung?
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Fast vier Monate ist es her, dass Malis unbeliebter Präsident Keita durch einen Militärputsch gestürzt wurde. Die malische Protestbewegung applaudierte, das Ausland kritisierte. Was ist übrig von der Euphorie in dem zerrütteten westafrikanischen Staat?
Wer sich zum Cäsar aufschwingt, der muss wissen, dass auch der Sturz Napoleons kein Zufall war, singt der malische Rapper Master Soumy. Sein Song "Die Macht von Mali" kam zum Umsturz heraus und kann auf unterschiedliche Weise gedeutet werden: als Abrechnung mit der aus dem Amt geputschten Elite. Und als Warnung an die Militärs, die seit dem 18. August an der Macht sind, aber offenbar noch nicht so recht wissen, was sie damit anfangen sollen:
"Malierinnen und Malier, mit euch geben wir dem Land seine Größe wieder und seine regionale und internationale Anerkennung."
Das sagte der Putschisten-Anführer und heutige Vizepräsident der Übergangsregierung Oberst Assimi Goita.
Die Putschisten wollen Mali "heilen"
Die Putschisten wollen das "schwer versehrte Mali heilen", so lässt sich die Agenda bislang zusammenfassen. Dabei versichert die Junta unter Oberst Assimi Goita, dass sie mit Zivilgesellschaft, Politik und Religionsgemeinschaft zusammenarbeiten wolle.
Im Staatsfernsehen bekamen die Zuschauer Lobeshymnen über die angeblich herausragenden Militärs zu sehen, die sich da zu einem "Nationalen Komitee zur Errettung des Volkes" zusammengefunden haben:
"Schule, Rekrut, drei Jahre Ausbildung zum Artillerieoffizier in China, sehr bewährt im Krieg gegen Terroristen und Drogenhändler im ganzen Land."
"Möge Gott helfen und Mali segnen"
Nur kurz zuvor hatte in der Nacht des Putsches ein müder und angespannt aussehender Präsident Ibrahim Boubacar Keita in einer Fernsehansprache seinen Rücktritt erklärt. Wenn Teile der Armee seinen Rücktritt wollten, welche Wahl habe er da, fragte der 75-Jährige in die Kamera. Er wolle kein Blutvergießen.
"In diesem konkreten Moment möchte ich mitteilen – während ich dem malischen Volk danke für seine Unterstützung in diesen langen Jahren, für die Wärme seiner Zuneigung – dass ich entschieden habe, von all meinen Funktionen zurückzutreten, von diesem Moment an und mit allen rechtlichen Konsequenzen: Der Auflösung des Parlaments und der Regierung. Möge Gott helfen und Mali segnen."
Am Tag des Putsches war der Staatschef in seiner Residenz in der Hauptstadt Bamako von Soldaten festgesetzt worden – gemeinsam mit Premierminister Boubou Cissé. Zielstrebig waren gepanzerte Fahrzeuge in den Militärstützpunkt Kati gedonnert - in der Nähe der Hauptstadt. Den hatten aufständische Militärs morgens unter ihre Kontrolle gebracht, bevor sie in die Hauptstadt aufgebrochen waren.
Viele Malier begrüßten den Putsch
Tatsächlich wurden die Putschisten Mitte August in den Straßen von zahlreichen Menschen in Mali bejubelt – wie von dieser Demonstrantin:
"Wir sind hier, um unsere Armee zu unterstützen. Denn die Armee hat entschieden, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und das Volk zu befreien. Ich bin gleichzeitig zufrieden und unzufrieden, denn das alles hätte nicht soweit kommen müssen, wenn Präsident Keita nur dem Volk zugehört hätte. Wir haben keine Schule, wir haben keinen Strom, kein Wasser oder Straßen, kein Gesundheitssystem. Wirklich, das Volk hat genug gelitten!"
Viele feierten in den Straßen der Hauptstadt Bamako den Rücktritt von Präsident Ibrahim Boubacar Keita – kurz IBK genannt. Monatelang war die gesellschaftlich breit aufgestellte Protestbewegung M5-RFP dafür auf die Straßen gegangen. Ein Bündnis aus Zivilgesellschaft, Opposition und einflussreichen religiösen Führern. IBK sei korrupt, habe Wahlen zu seinen Gunsten manipuliert und die Sicherheitslage nicht in den Griff bekommen – so ihr Vorwurf.
Von der Euphorie und Geduld ist nicht viel geblieben
Auch deswegen begrüßten viele Malier den Putsch des Militärs. So wie damals Issa Kaou Djim, Mitglied der Protestbewegung.
"Die Protestbewegung M5-RFP besteht nicht aus bestimmten politischen Parteien, Gewerkschaften, Verbänden, sondern aus der Mehrheit des malischen Volkes. Daher unterstützen wir die bewaffneten Sicherheitskräfte durch die Führung von Assim Goïta und all seinen Kameraden. Für uns ist es das Wichtigste, zusammenzukommen und sicherzustellen, dass es die geeigneten Mittel und Wege für einen friedlichen demokratischen Übergang gibt, der nur die höheren Interessen der Nation verteidigt. Es gibt keinen Grund zur Eile."
Von der Euphorie und Geduld ist nicht viel geblieben. Für 18 Monate soll eine Übergangsregierung das Land führen – dann sollen Neuwahlen Mali wieder zur Rechtsstaatlichkeit zurückführen. Die Protestbewegung M5-RFP fühlt sich aber in den Prozess des politischen Übergangs nicht richtig eingebunden.
"Weiter so" statt Veränderung
Die Militärjunta werde alles im Sinne des malischen Volkes unternehmen, hatte Anführer und Vizepräsident Goita einmal angekündigt, doch vieles deute auf ein "Weiter so" hin, sagt Choguel Kokalla Maïga von der Protestbewegung M5-RFP.
"Wir haben das Gefühl, hier herrschen wieder alte Methoden und die Bewegung M5-RFP akzeptiert nicht, dass wir wieder in alte Verhältnisse fallen, die wir vorab bekämpft haben."
Der sogenannte Übergangsrat sei hauptsächlich vom Militär dominiert und habe die Mitglieder der Protestbewegung nicht eingebunden.
"Wir haben heute eine Militärregierung, zusammengesetzt von Militärs, die Zivilisten in der Regierung wurden von Militärs ernannt und sie wollen eine Nationalversammlung, in der die Mitglieder vom Militär ernannt und angeführt werden. Die Protestbewegung kann sich nicht zum Komplizen machen, während ein Militärregime installiert wird, das weder den Maliern, der Demokratie noch dem Militär dient."
Die Sicherheitslage hat sich nicht verbessert
Der malische Politikwissenschaftler Boureima Mamadou Koné warnt, dass die Unzufriedenheit der Bevölkerung dem putschenden Militär auf die Füße fallen könnte. Noch mehr, weil die Putschisten nicht durch Wahlen legitimiert sind und die Sicherheitslage sich in den vergangenen Monaten nicht verbessert habe, so Koné.
"Nichts hat sich verändert. Nehmen wir das Beispiel des Dorfes Farabougou: Wie konnte es dem Militär an der Macht nicht gelingen, ein Dorf mehr als einen Monat lang so umlagert zu haben und die Bevölkerung von den Dschihadisten zu befreien? Das heißt, es gibt ein Führungs- und Koordinierungsproblem bei der Armee und dem Führungsstab."
Farabougou ist ein Dorf im Norden Malis und sorgte im Oktober für Schlagzeilen. Wochenlang war es durch bewaffnete Gruppen im Land von der Außenwelt abgeschottet worden. Erst spät – zu spät, kritisierten viele – habe das Militär eingegriffen und Farabougou befreit.
Die Armee als Teil des Problems im Krisenstaat
Thomas Schiller von der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung in der Hauptstadt Bamako sagt, Fälle wie Farabougou zeigten, dass das Militär in Mali zurzeit mehr mit der Organisation der Übergangsphase als mit der Sicherheitslage beschäftigt sei.
"Der Chef der Militärjunta und aktuelle Vizepräsident Oberst Goita ist Chef der Spezialkräfte und wenn Sie sich jetzt anschauen, er fährt hier in Bamako durch die Gegend unter Bewachung seiner eigenen Spezialkräfte, dann fragt man sich natürlich schon ob der angespannten Sicherheitslage, ob die nicht eigentlich besser woanders eingesetzt wären als jetzt im Personenschutz für die Oberisten der Militärjunta."
Aber auch schon vor dem Putsch sei Malis Armee selbst Teil des Problems im Krisenstaat gewesen. Schon lange klagen viele über Korruption innerhalb der Armee – vor allem einfache Soldaten. Sie werden regelmäßig Opfer von terroristischen Angriffen. Auch weil Malis Armee als unzureichend ausgebildet und schlecht ausgerüstet gilt – ein leichtes Ziel für Terroristen. Aber ein hausgemachtes Problem, sagt Thomas Schiller von der Konrad Adenauer Stiftung.
"Ein sehr schönes Beispiel hier ist die Immobilienwirtschaft, wo sich der eine oder andere Offizier unter Mitwirkung seiner eigenen Soldaten Häuser hinstellt oder anderes macht. Deswegen ist diese Armee eine überaus zusammenhaltlose Truppe. Da gibt es nicht nur diese Gefahr, dass Soldaten im Feld überlaufen zum terroristischen Gegner, dass Leute während ihrer Dienstzeit ganz anderen Tätigkeiten nachgehen, als sie sollten. Es gibt Offiziere, die eben nicht mit ihrer Truppe an der Front sind, sondern in der nächstgrößeren Stadt, während ihre Einheit an der Front von einem Unteroffizier geführt wird."
Schlecht ausgerüstete Soldaten gehen ins Gefecht
Das zeige sich sogar anhand der Listen der Gefallenen, sagt Thomas Schiller. Unter den getöteten Soldaten durch Terrorattacken fänden sich nur selten hochrangige Militärs. Auch deshalb sei Malis Armee gespalten. Weil viele hochrangige Verantwortliche nicht bei ihren Truppen blieben. Weil korrupte hochrangige Militärs zu wenige Soldaten zu schlecht ausgerüstet ins Gefecht schicken und trotzdem Sold für eine größere Gruppenstärke in die eigene Tasche steckten. Mit fatalen Folgen:
"Das färbt auf die einfachen Soldaten ab, weil sie sagen: warum sollen wir mit einer ganz schlechten Materialausstattung – ohne dass man sicher sein kann, dass die eigene Familie abgesichert ist, wenn man im Gefecht steht und etwas passieren könnte – warum sollen wir unsere Haut da zu Markte tragen, während unsere Offiziere in der Hauptstadt sitzen?"
Die nun an die Macht geputschten Militärs, so Schiller, seien Teil genau dieses alten Machtapparates und hätten bisher keine großen Bemühungen gezeigt, die Armee selbst zu reformieren. Mali kämpft mehrere Monate nach dem Putsch an vielen Fronten. Eine entscheidende kommt weiterhin zu kurz: notwendige Reformen vor allem im Norden des Landes, wo die Terroristen wüten und der Staat für die Bevölkerung nicht einmal mehr sichtbar ist. Das sei das Problem, sagt Politikwissenschaftler Boureima Mamadou Koné.
Die Hälfte der Menschen lebt in extremer Armut
Der Putsch ist Malis vierter Staatsstreich seit der Unabhängigkeit. Das Land verliert wieder Zeit, die es in wichtige Reformen hätte investieren können. Diese lassen nun wieder auf sich warten - den Preis dafür zahlt weiterhin die malische Bevölkerung.
Etwa die Hälfte der Menschen in Mali lebt in extremer Armut. Ein Nährboden für politische Krisen, Extremismus und weitere Putsche in der Zukunft, sagt Politikwissenschaftler Boureima Mamadou Konée. Ein Teufelskreis:
"Warum haben wir das Problem mit den vielen Putschen? Weil wir eine schlechte Regierungsführung haben. Mit einer besseren Verteilung von Ressourcen, dem Kampf gegen Armut, indem wir der Bevölkerung den Zugang zur Grundversorgung geben, i dem wir mehr Arbeitsplätze schaffen, kriegen auch die jungen Leute Jobs, die sonst auf die Straße gehen und demonstrieren. Wir müssen die fundamentalen Probleme angehen: Wirtschaft, Soziales, Bildung, Entwicklung."
An Malis politischer Stabilität sind auch die afrikanischen Nachbarstaaten interessiert. Sie haben Angst, dass der Terror noch weiter zu ihnen überschwappt, dass Mali zum Dominostein wird, der die ganze Region zu Fall bringt.
Schlüsselstaat im Kampf gegen den Terrorismus
Europa befürchtet ein riesiges Gebiet, erfasst von Terrorismus direkt vor seiner Haustür. Wohl auch, weil Mali im Kampf gegen den sich ausbreitenden Terrorismus ein Schlüsselstaat in der Region ist, hatte die internationale Gemeinschaft den Militärputsch ziemlich schnell hingenommen, nachdem er zunächst scharf verurteilt worden war - von den Vereinten Nationen, der EU, Deutschland.
Die Westafrikanische Wirtschaftunion ECOWAS, die in der Krise bisher versucht hatte zu vermitteln, hatte erzürnt reagiert und Sanktionen verhängt, Handels- und Finanzbeziehungen gekappt. Jedoch scheint die erste Wut verraucht zu sein, Sanktionen wurden nach Ernennung des ÜbergangspPräsidenten aufgehoben, des 70-jährigen ehemaligen Verteidigungsministers Bah N'Da.
Die Bundeswehr bildet weiter aus
Inzwischen drängt die ECOWAS vor allem auf Wahlen in den kommenden 18 Monaten. Mittlerweile bildet auch die deutsche Bundeswehr im Rahmen der EU-Ausbildungsmission EUTM wieder malische Sicherheitskräfte aus. Die Militäroperationen gehen weiter, auch wenn die Corona-Pandemie die Zusammenarbeit deutlich erschwert hat.
Trotz enormer internationaler Militärpräsenz hat sich die Sicherheitslage in Mali weiter verschärft. Vor Ort sind über 10.000 internationale Soldaten unter anderem der UN-Stabilisierungsmission MINUSMA, an der auch Deutschland beteiligt ist. MINUSMA gilt bis heute als die gefährlichste Blauhelmmission weltweit.
"Terrorismus nur ein Symptom"
Thomas Schiller von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bamako ist für eine Neuaufstellung des internationalen Engagements vor Ort. Er schätzt: Rein militärisch sei Mali nicht aus der Krise zu holen. Das zentrale Problem sei nicht der Terrorismus:
"Er ist nur ein Symptom. Das zentrale Problem sind die fragilen Staaten, insbesondere in Mali hat sich das jetzt überdeutlich gezeigt. Die Stärkung dieser Staaten muss das zentrale Ziel der internationalen Gemeinschaft sein. Was sicher deutlicher passieren muss als bisher, ist die Unterstützung der Staaten vor Ort in ihren Kernfunktionen - die Bereiche Justiz, Territorialverwaltung, Finanzadministration, Steuerverwaltung. Und wenn das nicht gut funktioniert, ist die Grundlage nicht da für wirtschaftliche Entwicklung."
Experten wie Politikwissenschaftler Boureima Mamadou Koné und Thomas Schiller von der Konrad-Adenauer-Stiftung sagen, die Eskalation jetzt und die weitere politische Instabilität spiele Extremisten in die Karten. Deswegen blicken viele Experten mit Sorge und hohen Erwartungen auf Mali und auf die versprochenen Neuwahlen. Die Übergangsphase könnte richtungsweisend für die Zukunft Malis und der gesamten Region werden.