Makel verpflichtet
Wolf Biermann nannte kürzlich Berlins rot-rote Senatskoalition "verbrecherisch", und im ZDF-Morgenmagazin setzte er noch eins drauf: Dass die SPD mit der Nachfolgepartei der SED ins Bett gehe, sei mehr als ein Verbrechen, nämlich ein Fehler.
In seiner Dankesrede zur Verleihung der Ehrenbürgerwürde im Roten Rathaus erläuterte Biermann den anstößigen Vergleich: Den Satz "mehr als ein Verbrechen, nämlich ein Fehler" habe Frankreichs Außenminister Talleyrand zu Napoleon gesagt, als dieser den Herzog von Enghien nach Paris verschleppen und ohne Prozess erschießen ließ, worauf Napoleon seinen Außenminister als "Scheißkerl in Seidenstrümpfen" beschimpft haben soll. Unabhängig von der Frage, ob solche Aussprüche historisch belegbar sind oder nicht, versteht sich von selbst, dass die von Napoleon befohlene Hinrichtung des Herzogs von Enghien nicht mit dem Parteienproporz im Berliner Senat vergleichbar ist. Aber genauso unstrittig ist, dass Wolf Biermann keinerlei Aufsehen erregt hätte, wenn er die rot-rote Koalition einfach nur als Fehler bezeichnet hätte.
Deine Rede sei Jaja, nein nein, heißt es im Matthäusevangelium – nicht zwar und aber oder jein. Anders ausgedrückt: Nur wer eine klar erkennbare Position vertritt und diese übertreibt bis zum Geht-nicht-mehr, hat eine Chance, im kakophonen Konzert der Medien überhaupt wahrgenommen zu werden. Das gilt nicht nur für die Werbung, von der man es ohnehin nicht anders erwartet, sondern auch für Politik und Kultur – man denke nur an Marcel Reich-Ranicki und dessen Antipoden Martin Walser und Günter Grass, die nie ein Blatt vor den Mund nahmen, wenn es darum ging, kontroverse Meinungen möglichst krass zu formulieren.
Schon den Lehrmeistern der antiken Rhetorik war bekannt, dass die Überzeugungskraft eines Redners weniger auf rationalen Argumenten basiert als auf irrationalen Instinkten, an die man mit mehr oder weniger Erfolg appelliert – der legendäre Funke, der bei Rockkonzerten und Sportveranstaltungen aufs Publikum überspringt. Und in "Mein Kampf" ist nachzulesen, dass die von Mussolini und Lenin inspirierte NS-Propaganda auf zwei Säulen ruhte: Wiederholung und Übertreibung, wobei Hitlers Meisterschüler Goebbels es mit der Wahrheit nicht so genau nahm, weil er wusste, dass die Wirkung seiner Reden nicht von deren Wahrheitsgehalt abhing, sondern von der emotionalen Intensität, mit der er primitive Slogans und rassistische Klischees den Massen einhämmerte.
Das Paradox besteht darin, dass die Bundesrepublik Deutschland kein monolithischer Block ist und auch keine totalitäre Diktatur, deren Einheitspartei den Bürgern vorschreibt, was sie zu reden und zu schreiben, zu tun und zu lassen haben. Trotzdem kaschiert der Pluralismus der Meinungen einen weitgehenden Konformismus, der die Behauptung, hierzulande gäbe es keine Tabus, provokante Ruhestörer und riskante Querdenker seien jederzeit willkommen, als frommen Wunsch erscheinen lässt. Schon in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts wies Walter Benjamin darauf hin, dass der Fähigkeit der Medien, widerstrebende und oppositionelle Inhalte zu verdauen und zu entschärfen, kaum noch Grenzen gesetzt sind. Diese für Intellektuelle deprimierende Einsicht bewog Theodor W. Adorno, die amerikanische Massenkultur – vom Comic Strip bis zum Hollywoodfilm – unter Faschismusverdacht zu stellen und aus den Rhythmen des Jazz den Gleichschritt der SA herauszuhören.
Die Geschichte hat dieses pauschale Verdikt nicht bestätigt, denn Amerikas Zivilgesellschaft, seine im Bürgersinn wurzelnde Demokratie, hat die Vereinigten Staaten vor dem Totalitarismus bewahrt. Auf Europa angewandt, bedeutet dies, dass offene Gesellschaften zwar einen verbindlichen Konsens und gemeinsamen Wertekanon brauchen, aber keinen Konformismus, der Kritik abblockt und die herrschende Ordnung zur besten aller möglichen Welten erklärt, weil die parlamentarische Demokratie, frei nach Churchill, nur die am wenigsten schlechte aller schlechten Regierungsformen ist. Deshalb ist es bloß geschmacklos, aber keine Katastrophe, wenn der nicht reuige Terrorist Christian Klar als Bühnenarbeiter bei Peymann und Brigitte Mohnhaupt als Stargast bei Johannes B. Kerner auftritt: Makel verpflichtet, wie Günter Grass so unnachahmlich schreibt.
Hans Christoph Buch, 1944 in Wetzlar geboren, wuchs in Wiesbaden und Marseille auf und las im Jahr seines Abiturs (1963) bereits vor der "Gruppe 47". Mit 22 Jahren veröffentlichte er seine Geschichtensammlung "Unerhörte Begebenheiten". Ende der 60er Jahre verschaffte er sich Gehör als Herausgeber theoretischer Schriften, von Dokumentationen und Anthologien. Auch mit seinen Essays versuchte er, politisches und ästhetisches Engagement miteinander zu versöhnen. Erst 1984 erschien sein lang erwartetes Romandebüt: "Die Hochzeit von Port au Prince". Aus seinen Veröffentlichungen: "In Kafkas Schloß", "Wie Karl May Adolf Hitler traf", "Blut im Schuh". 2004 erschien "Tanzende Schatten".
Deine Rede sei Jaja, nein nein, heißt es im Matthäusevangelium – nicht zwar und aber oder jein. Anders ausgedrückt: Nur wer eine klar erkennbare Position vertritt und diese übertreibt bis zum Geht-nicht-mehr, hat eine Chance, im kakophonen Konzert der Medien überhaupt wahrgenommen zu werden. Das gilt nicht nur für die Werbung, von der man es ohnehin nicht anders erwartet, sondern auch für Politik und Kultur – man denke nur an Marcel Reich-Ranicki und dessen Antipoden Martin Walser und Günter Grass, die nie ein Blatt vor den Mund nahmen, wenn es darum ging, kontroverse Meinungen möglichst krass zu formulieren.
Schon den Lehrmeistern der antiken Rhetorik war bekannt, dass die Überzeugungskraft eines Redners weniger auf rationalen Argumenten basiert als auf irrationalen Instinkten, an die man mit mehr oder weniger Erfolg appelliert – der legendäre Funke, der bei Rockkonzerten und Sportveranstaltungen aufs Publikum überspringt. Und in "Mein Kampf" ist nachzulesen, dass die von Mussolini und Lenin inspirierte NS-Propaganda auf zwei Säulen ruhte: Wiederholung und Übertreibung, wobei Hitlers Meisterschüler Goebbels es mit der Wahrheit nicht so genau nahm, weil er wusste, dass die Wirkung seiner Reden nicht von deren Wahrheitsgehalt abhing, sondern von der emotionalen Intensität, mit der er primitive Slogans und rassistische Klischees den Massen einhämmerte.
Das Paradox besteht darin, dass die Bundesrepublik Deutschland kein monolithischer Block ist und auch keine totalitäre Diktatur, deren Einheitspartei den Bürgern vorschreibt, was sie zu reden und zu schreiben, zu tun und zu lassen haben. Trotzdem kaschiert der Pluralismus der Meinungen einen weitgehenden Konformismus, der die Behauptung, hierzulande gäbe es keine Tabus, provokante Ruhestörer und riskante Querdenker seien jederzeit willkommen, als frommen Wunsch erscheinen lässt. Schon in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts wies Walter Benjamin darauf hin, dass der Fähigkeit der Medien, widerstrebende und oppositionelle Inhalte zu verdauen und zu entschärfen, kaum noch Grenzen gesetzt sind. Diese für Intellektuelle deprimierende Einsicht bewog Theodor W. Adorno, die amerikanische Massenkultur – vom Comic Strip bis zum Hollywoodfilm – unter Faschismusverdacht zu stellen und aus den Rhythmen des Jazz den Gleichschritt der SA herauszuhören.
Die Geschichte hat dieses pauschale Verdikt nicht bestätigt, denn Amerikas Zivilgesellschaft, seine im Bürgersinn wurzelnde Demokratie, hat die Vereinigten Staaten vor dem Totalitarismus bewahrt. Auf Europa angewandt, bedeutet dies, dass offene Gesellschaften zwar einen verbindlichen Konsens und gemeinsamen Wertekanon brauchen, aber keinen Konformismus, der Kritik abblockt und die herrschende Ordnung zur besten aller möglichen Welten erklärt, weil die parlamentarische Demokratie, frei nach Churchill, nur die am wenigsten schlechte aller schlechten Regierungsformen ist. Deshalb ist es bloß geschmacklos, aber keine Katastrophe, wenn der nicht reuige Terrorist Christian Klar als Bühnenarbeiter bei Peymann und Brigitte Mohnhaupt als Stargast bei Johannes B. Kerner auftritt: Makel verpflichtet, wie Günter Grass so unnachahmlich schreibt.
Hans Christoph Buch, 1944 in Wetzlar geboren, wuchs in Wiesbaden und Marseille auf und las im Jahr seines Abiturs (1963) bereits vor der "Gruppe 47". Mit 22 Jahren veröffentlichte er seine Geschichtensammlung "Unerhörte Begebenheiten". Ende der 60er Jahre verschaffte er sich Gehör als Herausgeber theoretischer Schriften, von Dokumentationen und Anthologien. Auch mit seinen Essays versuchte er, politisches und ästhetisches Engagement miteinander zu versöhnen. Erst 1984 erschien sein lang erwartetes Romandebüt: "Die Hochzeit von Port au Prince". Aus seinen Veröffentlichungen: "In Kafkas Schloß", "Wie Karl May Adolf Hitler traf", "Blut im Schuh". 2004 erschien "Tanzende Schatten".