"Mais in Deutschland und anderen Galaxien"

Witz und fantastischer Realismus

Ein roter Theatervorhang
"Mais in Deutschland und anderen Galaxien" gab es im Ballhaus Naunynstraße zu sehen. © picture alliance / dpa - Marcus Brandt
Von Hartmut Krug · 19.02.2015
Vor rund einem Jahr gab es vom Berliner Ballhaus Naunynstraße und dem Gorki Theater eine postmigrantische Literaturwerkstatt. Daraus entstanden ist das Stück "Mais in Deutschland und anderen Galaxien", das nun uraufgeführt wurde.
Wie Westernhelden schreiten sie zu aufbrausender Filmmusik in Zeitlupe von der Veranda durch die weite Terrassentür in den offenen Spielraum: Es sind Fantasiefiguren, denen Regisseur Atif Mohammed Nor Hussein Witz und fantastischen Realismus mitgibt. Womit er Olivia Wenzels Stück "Mais in Deutschland und andere Galaxien" über dessen allzu schematische Momentaufnahmen hinausführt in eine sinnlich schwebende und zugleich etwas unwirkliche Wirklichkeit.
Wieder einmal variiert die 30-jährige Autorin das gleiche Problemthema: schwierige Familienbeziehungen und Selbstverwirklichungsversuche unter dem Druck von gesellschaftlichen Verhältnissen. Auf mancherlei kleinen Staatstheater-Bühnen zwischen München, Braunschweig und Berlin sind ihre bisher rund ein halbes Dutzend Stücke schon aufgeführt worden.
Dieses neue Stück ist in einer von Marianna Salzmann geleiteten gemeinsamen Literaturwerkstatt des Gorki Theaters und des Ballhauses Naunynstrasse entstanden. (Marianna Salzmanns "Wir Zöpfe", auch Ergebnis der Werkstatt, wurde vor kurzem am Gorki Theater uraufgeführt.)
Olivia Wenzel erzählt von einem in der DDR scheiternden Selbstverwirklichungsversuch. Susanne wollte raus aus dem grauen Alltag, wurde Punk und verlor sich im Alkohol, wird von den besorgten Eltern den Behörden gemeldet, kommt ins Heim, in die Psychiatrie und bekommt später ein Kind von einem Angolaner.
Doch der Versuch, mit dem Sohn Noah als Argument für eine Familienzusammenführung zum Vater nach Angola auszureisen, scheitert an der Stasi und deren Berichten. So dokumentiert Wenzels Stück vor allem ein Mutter-Kind-Leben als Nicht-Beziehung zwischen beiden.
Die, munter hin und her durch die Zeiten hüpfend, vom Sohn erzählt wird. Indem er sein Alter sagt, also "ich war drei" oder "ich war vierundzwanzig", und dann die entsprechende aktuelle Erlebnis-Bestandsaufnahme erzählt.
Etliche schöne Momente
Wäre da nicht der wunderbare Regieeinfall, diesen Noah im dauernden Wechsel von zwei Darstellern und einer Darstellerin mit wechselnden Haltungen und Entwicklungen spielen zu lassen, (wobei die Darsteller auch mal andere Figuren verkörpern), würde dies allzu nüchtern konstruiert wirken.
Dabei setzt die Autorin gegen ihre leichte Erzählpedanterie noch einen surrealen Neben-Erzählstrang mit der seltsamen Lila. Woher sie kommt, was sie will, bleibt unklar. Sie ist mehr ein Statement, ist bunt gekleidet und quillt über von poetisierenden Gemeinplätzen. Ihr Hund heißt Pozzo (!) und sie liebt "wunde Punkte". Isabelle Redfern, die mit dem Identifikationslied der Hauptfigur aus "Solo Sunny" auftritt, macht aus Lila eine aufgedrehte Traumfigur.
Im leeren Spielraum steht ein Iglu-artiges Zelt, das später, wenn in den Weltraum abgedriftet wird, eine Raumkapsel zu sein scheint. Darauf werden Kindheitsbilder von Noah projiziert. Die Spielfiguren wurden vom Regisseur mit schöner, nie denunzierender Komik ausgestattet.
Den Großvater und die Großmutter spielt Theo Plakoudakis in Kittelschürze über nackten Beinen. Wenn der/die ein Geschenk von Noah öffnet, wird das zu einer minutenlangen, wunderbar slapstickhaften Bastelnummer.
Im Mittelpunkt aber steht Noah. Während der Aufwachsende sich (auch darstellerisch) ändert, bleibt seine Mutter in Lisa Scheibners Darstellung immer die in sich verkapselte, schräge Figur (die auch mal einen Punksong der Band Sandow auflegt).
Das Problem des Stücks, das der Regisseur und seine Darsteller mit einigem Erfolg wehren, sind die knappen Klischees, mit denen das Stück auf die Figuren und ihr Leben zurückblickt. In ihrem Text bleiben die Figuren Behauptungen, ohne entwickelt oder gar plastisch begründet zu werden. Da ist alles irgendwie drin. Aber mehr zitathaft.
Natürlich wird der Sohn eines Angolaners mal kurz von Glatzen verprügelt, natürlich werden ausgedachte Stasiberichte verlesen, natürlich ist Noah neben seiner Ehe sexuell aktiv. Aber all diese Momentaufnahmen geben seiner Figur keine plausible Kontur, sondern tippen nur das Übliche mal eben an. Dieses Leichte und Hingetupfte lässt de Text harmlos und vorhersehbar erscheinen. So werden die Figuren weder entwickelt noch für den Zuschauer plastisch.
Immerhin: Die Aufführung besitzt etliche schöne Momente. Leider aber hat man spätestens nach einer der anderthalb Aufführungsstunden das Gefühl, es sei längst alles gesagt.
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