Magmaartige Klangmassen

Von Rainer Clute |
34 Konzerte, 17 Tage, 1.500 Musiker zwischen zwölf und 28 Jahren - die Bilanz der diesjährigen Young Euro Classic. Seit dem Jahr 2000 versammelt das Festival Jugendorchester aus der ganzen Welt in Berlin. Der Publikumszuspruch ist groß. Peinliche Ausrutscher gab es aber auch.
Iván Fischers Festival-Hymne für Young Euro Classic in der Interpretation der Deutschen Streicherphilharmonie, die virtuos und ganz Fanfaren-untypisch daherkommt. Young Euro Classic hat heute Abend seinen krönenden Abschluss gefunden mit einem Konzert des European Union Youth Orchestra. Ein würdiger Schlusspunkt mit unverwüstlichen Repertoirestücken wie Ravels Bolero und seiner Orchestrierung von Mussorgskys Klavier-Zyklus "Bilder einer Ausstellung". Zuvor wurde der diesjährige Europäische Komponistenpreis verliehen.

Unter den 11 nominierten Kompositionen ging der vom Regierenden Bürgermeister von Berlin ausgelobte und mit 5.000 Euro dotierte Preis dieses Jahr an die Italienerin Silvia Colasanti und ihre Komposition "Responsorium", in der sich aus magmaartigen Klangmassen allmählich eine Motette von Tomás Luis de Victoria herausschält, "versa est in luctum". Wir hören gerade einen Ausschnitt dieser Musik aus dem Konzert mit dem Orchestra Giovanile Italiana unter seinem vorzüglichen Dirigenten Pascal Rophé.

34 Konzerte fanden während der vergangenen 17 Tage statt, das heißt statistisch zwei Konzerte pro Tag. Dieses Jahr waren insgesamt 1.550 Musiker im Alter von zwölf bis 28 Jahren beteiligt, eine Menge, die einen hoffnungsfroh in die Zukunft blicken läßt. Es ist womöglich doch nicht so schlecht bestellt um die Zukunft der musikalischen Kultur. Und das Niveau ist aufsehenerregend. Dass nicht ausschließlich Spitzenqualität geboten wird, steht außer Frage, ist aber zugleich völlig unwichtig, angesichts der Begeisterung und des Engagements, mit dem die jungen Musikerinnen und Musiker aus aller Welt bei der Sache sind. Im Jahr 2000 wurde dieses Festival zum ersten Mal veranstaltet. Es sollte in einer europäischen Hauptstadt stattfinden und ein einmaliges Ereignis zur Jahrtausendwende sein. Dieter Rexroth, der künstlerische Leiter von Young Euro Classic, erinnert sich:

"Dieses erste Festival war auf drei Wochen angelegt, es war wirklich Europa hier versammelt. Und interessant ist, dass Berlin am Ende die einzige Stadt war, die dieses Festival so, wie ursprünglich von Brüssel vorgedacht, geplant hat. Alle anderen sind abgesprungen."

Young Euro Classic hat sich im sommerlichen Festival-Kalender behaupten können. Es findet nach wie vor großen Zuspruch. Im vorigen Jahr kamen 28.000 Besucher. Damit waren fast alle Konzerte ausverkauft. In diesem Jahr sieht es wohl genauso aus. Die eher moderaten Eintrittspreise sind möglich dank Fördermitteln der Deutschen Klassenlotterie und weiterer großzügiger Unterstützung von privater Seite. Außerdem gibt es eine erkleckliche Anzahl ehrenamtlicher Mitarbeiter. Zu ihnen gehören die sogenannten Konzert-Paten, die am Abend zu Beginn des Konzertes Publikum und Orchester begrüßen. Gabriele Minz, Gesamtleiterin des Festivals:

"Das sind Persönlichkeiten aus allen gesellschaftlichen Bereichen. Medienschaffende, Schauspieler, Politiker usw. aus allen Bereichen, die man sich vorstellen kann. Und die treten durch ihr ehrenamtliches Engagement für diese Orchester ein."

Und welchen Auftrag haben diese Paten bei ihrer Begrüßung? Willi Steul, Intendant des Deutschlandradio und als 1. Vorsitzender des Deutschen Freundeskreises Europäischer Jugendorchester Mitveranstalter des Festivals:

"Man muss als Pate vermitteln, dass man Freude an diesen jungen Menschen hat. Dass man Freude hat an dem, was sie tun. Und Respekt. Und da kann ich nur empfehlen, ein bisschen bescheiden zu sein. Und den meisten gelang das auch."

Den meisten, ja. Es gab auch peinliche Ausrutscher. Das Publikum hatte beispielsweise kein großes Verständnis für den Auftritt des Konzert-Paten Dennis Gastmann. E firmiert als "rasender Auslandsreporter" mit Beiträgen im NDR-Magazin "Weltbilder" und erklärte dem Publikum und der hinter ihm auf dem Podium sitzenden Sinfonia Iuventus aus Polen langatmig und völlig Satire-entkernt, daß Polnisch eine Sprache sei, die man nun gar nicht sprechen könne, und das zum Befremden aller Anwesenden auch in albernster Form demonstrierte. Er ließ sich auch nicht durch Zurufe aus dem Publikum, dass seine Auslassungen gar nicht witzig seien, davon abhalten, die Frage in den Raum zu stellen, "ob Polen offen sei" und sein peinliches Konzept quälende knapp zehn Minuten lang bis zum unerträglichen Ende durchzuziehen, um dann noch Werbung für ein eigenes Buch zu machen. Maren Kroymann, Konzert-Patin für die thailändische Siam-Sinfonietta, bringt es auf den Punkt:

"Was man selbst für eine Befindlichkeit hat oder gar Werbung in eigener Sache, das muss völlig zurücktreten. Man hat eine Gastgeberpflicht, das heißt: ein Interesse an dem jeweiligen Orchester. Und die sollen sich wohlfühlen. Und im Übrigen soll es kompatibel sein mit Young Euro Classic. Es geht nicht um das Ego, es geht um das Verbindende. Und das sollte man beherzigen."

Der Ehre halber sei erwähnt, dass die meisten Paten sich an ihre Vorgaben hielten und auch in der ihnen vorgegeben Zeit von ca. drei Minuten blieben. Und es gab vor allem wieder schöne und interessante Musik zu entdecken.

Im nächsten Jahr wird Young Euro Classic auf zwei andere Spielflächen ausweichen, weil das Konzerthaus generalüberholt wird. Es wird sieben Konzerte in der Philharmonie geben, die restlichen Veranstaltungen finden Platz im Admiralspalast. Aber wo auch immer, wir dürfen wieder gespannt sein und uns auf neue musikalische Anregungen freuen. Auf dass auch weiterhin im Sommer in Berlin die Zukunft spielt!

Programmtipp:

Die vollständige Komposition "Responsorium" der Italienerin Silvia Colasanti, die in diesem Jahr den Europäischen Komponistenpreis erhalten hat, können Sie - neben weiteren Stücken aus dem Programm des Italienischen Jugendorchesters - hören bei Deutschlandradio Kultur am Donnerstag, dem 15. August 2013, um 20.03 Uhr.

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