Mafia-Experte Roth bemängelt deutsch-italienische Zusammenarbeit
Nach dem Mord an sechs Italienern in Duisburg hat der Publizist und Buchautor Jürgen Roth auf die fehlende Zusammenarbeit zwischen italienischer und deutscher Polizei hingewiesen. Unter der Regierung von Silvio Berlusconi in Italien sei es zum Bruch bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens gekommen, sagte Roth.
Dieter Kassel: Sechs Leichen wurden am frühen Mittwochmorgen in zwei Autos in der Nähe des Duisburger Hauptbahnhofes gefunden und inzwischen gehen fast alle Experten davon aus, dass es sich um Opfer der italienischen Mafia handelt. Eine lang andauernde Fehde innerhalb der kalabresischen Mafiaorganisation Ndrangheta soll dahinterstecken. Was macht diese Organisation in Deutschland? Darüber reden wir jetzt mit Jürgen Roth, er ist Journalist und Autor zahlreicher Bücher über verschiedene, kriminelle Organisationen und ihre Behandlung durch die Justiz. Schönen guten Morgen, Herr Roth.
Jürgen Roth: Schönen guten Morgen.
Kassel: Wenn sich die Deutschen nicht beeilen, haben sie in zehn Jahren die gleichen Probleme wie wir in Kalabrien, das hat Nicola Gratteri gestern gesagt, Staatsanwalt eben in Kalabrien. Hat er Recht?
Roth: Nein, das ist vollkommener Unsinn, weil, die Situation in Kalabrien ist mit der in Deutschland natürlich überhaupt nicht zu vergleichen. Wir haben hier glücklicherweise nicht diese enge Verfilzung zwischen kriminellen Strukturen in den gesamten Gemeindeapparat, Landesapparat, also in die Politik hinein. Kalabrien ist ein extrem armes Gebiet und die Mafia hat, also, die kalabresische Mafia hat ja besondere Rituale, ritualisiert mit Ehrenmorden, auch mit ihren Blutritualen, also, die feudalistischen Verhältnisse, die es in Kalabrien gibt, die gibt es in Deutschland, das weiß ja jeder, überhaupt nicht. Also, so gesehen soll man mal ein bisschen auf dem Boden bleiben.
Kassel: Was macht aber die Ndrangheta, was machen ihre Mitglieder in Deutschland? Ist das nur ein Rückzugsgebiet, oder doch auch ein aktives Gebiet?
Roth: Na ja, die These, dass es nur Rückzugsgebiet ist, ist natürlich auch falsch. Es ist natürlich auch Operationsgebiet, schon mal deswegen Operationsgebiet, weil die Ndrangheta unter anderem die führende Rolle im Drogenhandel hat, das heißt, die Drogengeschäfte, die aus Kolumbien, aus Südamerika kommen, laufen teilweise über Holland, dann über Deutschland, Schweiz, Spanien nach Italien. Das wird von der Ndrangheta kontrolliert und da sind natürlich die Residenzen der Ndrangheta, von denen es in Deutschland ja sehr viele gibt leider, spielen da eine entscheidende Rolle. Es geht darum, auch wiederum kriminell erwirtschaftetes Geld in Kalabrien, das wird ja international angelegt, wird natürlich auch in Deutschland angelegt … Es gibt die Verbindungen der Ndrangheta zur albanischen Mafia, auch was den Drogenhandel mit Heroin angeht, der spielt ja auch wiederum in Deutschland eine nicht unbedeutende Rolle. Also, es ist nicht nur Rückzugsgebiet, sondern ist wirklich auch Operationsgebiet.
Kassel: Das Geld aus den kriminellen Geschäften – ob nun in Kalabrien oder woanders – muss angelegt werden, Sie haben es gerade gesagt. Es wird ja offenbar von der Ndrangheta zum Teil auch in Deutschland, in Sachsen, in Leipzig angelegt. Da, so heißt es, sind größere Mengen an Immobilien aufgekauft worden. Wieso kann man denn so was eigentlich nicht verhindern?
Roth: Na ja, da gibt es ja unterschiedliche Einschätzungen. Die Behörden in Sachsen und Thüringen sagen ja, es gibt überhaupt keine italienische Mafia, was ja auch ein bisschen an den Haaren herbeigezogen ist. Es ist bekannt, dass ein großer Mafiaboss, der Giuseppe Morabito, das ist der Chef des gleichnamigen Clans aus Locri, also auch aus Kalabrien, schon Anfang der 90er Jahre begonnen hat, Ostdeutschland, jetzt nenne ich es mal generell, also, die neuen Bundesländer, als ideales Paradies für Geldwäsche zu benutzen. Da wurde zum ersten Mal die Ostseeküste benutzt und dann wurde in Immobilien, unter anderem in Erfurt und in Leipzig, investiert. Das Problem ist, es kann ja niemand nachprüfen oder so richtig nachprüfen, woher das Geld kommt. Man könnte es machen, wenn ein Aushilfskellner – und diesen Fall hat es ja gegeben –, der nun bekanntlich nicht viel verdient, mit 250.000 Euro cash dann ein Restaurant kauft in Leipzig. Da hätte man schon gewisse Hinweise, aber ich glaube, das Problem liegt daran, man will es nicht erkennen oder kann es nicht erkennen: Woher kommt das Geld, ist es aus legalen Quellen oder ist es kriminell erwirtschaftetes Geld? Es ist ja vorher schon über die internationalen Finanzplätze in aller Regel ziemlich saubergewaschen worden.
Kassel: Ist es denn tatsächlich – Sie haben gesagt, die Mafia, vielleicht die Ndrangheta konkret, hat Ostdeutschland als ideales Investitionsgebiet entdeckt – ist es denn tatsächlich einfacher, solche Gelder in Deutschland zu investieren als im europäischen Ausland?
Roth: Nein, also, in Österreich ist es sicher noch einfacher, zumindest in der Vergangenheit gewesen, oder in der Schweiz, in Luxemburg, und insbesondere sicherer. Aber man muss bedenken, Anfang der 90er Jahre waren ja die Umbruchzeiten, da waren die Strukturen auch der Polizeibehörden nicht besonders ausgebildet auf diese Erscheinungen. Die Mafia, also, in diesem Fall die kalabresische Mafia, aber auch die Cosa Nostra haben natürlich erkannt, dass sie viel Geld, insbesondere durch Investitionen im Tourismusbereich, Hotelbereich, anlegen können und da wird im ersten Moment niemand darauf schauen.
Kassel: Der Direktor von Europol – also der obersten europäischen Polizeibehörde – Max-Peter Ratzel hat in diesem Zusammenhang angemerkt, dass die Zusammenarbeit der einzelnen europäischen Polizeibehörden verbessert werden müsse, das liefe gerade in Bezug auf organisiertes Verbrechen im Moment noch gar nicht gut. Ist das das Problem, dass zwar die Italiener die italienische Mafia verfolgen, die Franzosen kümmern sich um ihre Verbrechen und die deutsche Polizei zumindest teilweise auch um die Aktivitäten der Mafia hier, aber das Ganze wird nicht europäisch koordiniert?
Roth: Schauen Sie, darüber klagt man doch jetzt schon seit über zehn Jahren, das Problem der organisierten Kriminalität und der italienischen Mafia ist doch nichts Neues. Das ist doch schon seit Jahren allen bekannt eigentlich. Ich weiß von unendlichen Fachtagungen, die überall europaweit stattfinden, wo über die internationale Kooperation im Kampf gegen organisierte Kriminalität jetzt seit wirklich über 10, 15 Jahren geredet worden ist, und es hat sich so viel Entscheidendes anscheinend – wenn man den Aussagen von Herrn Ratzel glaubt – nicht geändert. Natürlich hat in der Vergangenheit die deutsche Polizei eng mit der italienischen Polizei zusammengearbeitet. Dann gab es einen Bruch. Dieser Bruch bestand darin, dass Berlusconi an die Macht gekommen ist und massiver Druck auf Ermittler und Staatsanwälte, insbesondere in Sizilien und in Kalabrien, ausgeübt worden ist, das heißt, da wurde nicht mehr in dem Umfang ermittelt, dann gab es diese Zusammenarbeit zwischen den Polizeibeamten hier in Deutschland mit denen in Italien nicht mehr. Und das hat sich jetzt erst durch die neue, mit der Linksregierung ein bisschen verändert, aber in diesem Zeitraum, und das ist ja nun ein langer Zeitraum, sind halt neue Erkenntnisse hinzugewonnen worden, und über die verfügt die deutsche Polizei anscheinend noch nicht.
Kassel: Sie haben gleich zu Anfang unseres Gespräches gesagt, Herr Roth, dass Sie gewisse Befürchtungen für stark übertrieben halten, weil die Verknüpfung der Mafia mit dem Staat, mit kommunalen und staatlichen Strukturen und mit Geschäftspraktiken in Deutschland überhaupt nicht gegeben sei so wie in Italien. Wenn man aber nun sich den sogenannten sächsischen Sumpf anguckt, die Korruptionsaffäre da – wo verschiedene kriminelle Organisationen verwickelt zu sein scheinen aber ja auch die Ndrangheta –, gibt es nicht dann doch Anfänge solcher Verknüpfungen auch in Deutschland?
Roth: Na ja, da muss man meiner Meinung nach ein bisschen differenzieren, also, man kann da nicht sagen, ach, die böse italienische Mafia und sozusagen die guten Deutschen als solche. Es gibt in der Tat einen Prozess, dass man so nicht mehr richtig unterscheiden kann zwischen der, ja, bürgerlichen, wohlanständigen Gesellschaft, und da sind wir bei Sachsen, und der ehrenwerten Gesellschaft jetzt in Kalabrien oder in Sizilien. Der Unterschied, der geht weg im Grunde genommen. Das ist sicher das große Problem. Das heißt, die Deutschen haben vielleicht mafiosen Charakter eher, dass deutsche Unternehmer, schauen Sie sich doch Siemens an, was ist denn der Unterschied, was dort praktiziert ist zwischen dem, was die sizilianische Mafia macht und hier? Also, wenn man die Strukturen sieht, sind es die gleichen Strukturen. Es fließt halt Blut in Italien, das ist vielleicht der einzige Unterschied, aber die gesellschaftlichen, die ethischen Wertmaßstäbe, die nähern sich leider ein bisschen an. Aber die ökonomischen Strukturen, die sind nun auch wieder ganz unterschiedlich zwischen Kalabrien – das meinte ich – auf der einen Seite, und Deutschland. Dass sich gesellschaftliche Verhältnisse angleichen, die wir alle nicht möchten oder die wir alle bekämpfen, da in diesem Bereich würde ich dem Staatsanwalt recht geben.
Kassel: Sie haben den Unterschied neben vielen anderen jetzt gerade auch noch genannt, in Italien fließt Blut, zumindest vorgestern war dieser Unterschied ja auch nicht da, in Duisburg ist auch Blut geflossen bei diesem sechsfachen Mord. Nun sagen in dem Zusammenhang einige Experten, das sei aber für die Ndrangheta eigentlich sehr, sehr untypisch, diese Art von Gewalt auch noch außerhalb Italiens. Bleiben für Sie Zweifel, ob es tatsächlich die Ndrangheta war?
Roth: Nein, daran waren von mir von Anfang an überhaupt keine Zweifel, weil ich die Namen der Familien kannte, die involviert waren. Das waren bekannte oder sind bekannte Familien der Ndrangheta aus St. Lucia und von daher war das einzige Merkwürdige oder Ungewöhnliche die sechs Morde, wohlweislich, dass es so viele waren. Einzelne Morde, glaube ich, wären hier auch in Deutschland überhaupt nicht aufgefallen in diesem Umfang, weil sie haben ja auch in der Vergangenheit schon stattgefunden. Es hat ja auch in der Vergangenheit schon über 30 Festnahmen von hochrangigen Vertretern der Ndrangheta in Deutschland gegeben, also, es ist ja nicht so, dass Deutschland in der Vergangenheit ein ndranghetafreier Raum war, nur die sechs, diese hohe Zahl der liquidierten Personen, das ist im Grunde das einzige Auffällige.
Kassel: Herzlichen Dank, der Publizist Jürgen Roth war das über die Aktivitäten der italienischen Mafia in Deutschland.
Jürgen Roth: Schönen guten Morgen.
Kassel: Wenn sich die Deutschen nicht beeilen, haben sie in zehn Jahren die gleichen Probleme wie wir in Kalabrien, das hat Nicola Gratteri gestern gesagt, Staatsanwalt eben in Kalabrien. Hat er Recht?
Roth: Nein, das ist vollkommener Unsinn, weil, die Situation in Kalabrien ist mit der in Deutschland natürlich überhaupt nicht zu vergleichen. Wir haben hier glücklicherweise nicht diese enge Verfilzung zwischen kriminellen Strukturen in den gesamten Gemeindeapparat, Landesapparat, also in die Politik hinein. Kalabrien ist ein extrem armes Gebiet und die Mafia hat, also, die kalabresische Mafia hat ja besondere Rituale, ritualisiert mit Ehrenmorden, auch mit ihren Blutritualen, also, die feudalistischen Verhältnisse, die es in Kalabrien gibt, die gibt es in Deutschland, das weiß ja jeder, überhaupt nicht. Also, so gesehen soll man mal ein bisschen auf dem Boden bleiben.
Kassel: Was macht aber die Ndrangheta, was machen ihre Mitglieder in Deutschland? Ist das nur ein Rückzugsgebiet, oder doch auch ein aktives Gebiet?
Roth: Na ja, die These, dass es nur Rückzugsgebiet ist, ist natürlich auch falsch. Es ist natürlich auch Operationsgebiet, schon mal deswegen Operationsgebiet, weil die Ndrangheta unter anderem die führende Rolle im Drogenhandel hat, das heißt, die Drogengeschäfte, die aus Kolumbien, aus Südamerika kommen, laufen teilweise über Holland, dann über Deutschland, Schweiz, Spanien nach Italien. Das wird von der Ndrangheta kontrolliert und da sind natürlich die Residenzen der Ndrangheta, von denen es in Deutschland ja sehr viele gibt leider, spielen da eine entscheidende Rolle. Es geht darum, auch wiederum kriminell erwirtschaftetes Geld in Kalabrien, das wird ja international angelegt, wird natürlich auch in Deutschland angelegt … Es gibt die Verbindungen der Ndrangheta zur albanischen Mafia, auch was den Drogenhandel mit Heroin angeht, der spielt ja auch wiederum in Deutschland eine nicht unbedeutende Rolle. Also, es ist nicht nur Rückzugsgebiet, sondern ist wirklich auch Operationsgebiet.
Kassel: Das Geld aus den kriminellen Geschäften – ob nun in Kalabrien oder woanders – muss angelegt werden, Sie haben es gerade gesagt. Es wird ja offenbar von der Ndrangheta zum Teil auch in Deutschland, in Sachsen, in Leipzig angelegt. Da, so heißt es, sind größere Mengen an Immobilien aufgekauft worden. Wieso kann man denn so was eigentlich nicht verhindern?
Roth: Na ja, da gibt es ja unterschiedliche Einschätzungen. Die Behörden in Sachsen und Thüringen sagen ja, es gibt überhaupt keine italienische Mafia, was ja auch ein bisschen an den Haaren herbeigezogen ist. Es ist bekannt, dass ein großer Mafiaboss, der Giuseppe Morabito, das ist der Chef des gleichnamigen Clans aus Locri, also auch aus Kalabrien, schon Anfang der 90er Jahre begonnen hat, Ostdeutschland, jetzt nenne ich es mal generell, also, die neuen Bundesländer, als ideales Paradies für Geldwäsche zu benutzen. Da wurde zum ersten Mal die Ostseeküste benutzt und dann wurde in Immobilien, unter anderem in Erfurt und in Leipzig, investiert. Das Problem ist, es kann ja niemand nachprüfen oder so richtig nachprüfen, woher das Geld kommt. Man könnte es machen, wenn ein Aushilfskellner – und diesen Fall hat es ja gegeben –, der nun bekanntlich nicht viel verdient, mit 250.000 Euro cash dann ein Restaurant kauft in Leipzig. Da hätte man schon gewisse Hinweise, aber ich glaube, das Problem liegt daran, man will es nicht erkennen oder kann es nicht erkennen: Woher kommt das Geld, ist es aus legalen Quellen oder ist es kriminell erwirtschaftetes Geld? Es ist ja vorher schon über die internationalen Finanzplätze in aller Regel ziemlich saubergewaschen worden.
Kassel: Ist es denn tatsächlich – Sie haben gesagt, die Mafia, vielleicht die Ndrangheta konkret, hat Ostdeutschland als ideales Investitionsgebiet entdeckt – ist es denn tatsächlich einfacher, solche Gelder in Deutschland zu investieren als im europäischen Ausland?
Roth: Nein, also, in Österreich ist es sicher noch einfacher, zumindest in der Vergangenheit gewesen, oder in der Schweiz, in Luxemburg, und insbesondere sicherer. Aber man muss bedenken, Anfang der 90er Jahre waren ja die Umbruchzeiten, da waren die Strukturen auch der Polizeibehörden nicht besonders ausgebildet auf diese Erscheinungen. Die Mafia, also, in diesem Fall die kalabresische Mafia, aber auch die Cosa Nostra haben natürlich erkannt, dass sie viel Geld, insbesondere durch Investitionen im Tourismusbereich, Hotelbereich, anlegen können und da wird im ersten Moment niemand darauf schauen.
Kassel: Der Direktor von Europol – also der obersten europäischen Polizeibehörde – Max-Peter Ratzel hat in diesem Zusammenhang angemerkt, dass die Zusammenarbeit der einzelnen europäischen Polizeibehörden verbessert werden müsse, das liefe gerade in Bezug auf organisiertes Verbrechen im Moment noch gar nicht gut. Ist das das Problem, dass zwar die Italiener die italienische Mafia verfolgen, die Franzosen kümmern sich um ihre Verbrechen und die deutsche Polizei zumindest teilweise auch um die Aktivitäten der Mafia hier, aber das Ganze wird nicht europäisch koordiniert?
Roth: Schauen Sie, darüber klagt man doch jetzt schon seit über zehn Jahren, das Problem der organisierten Kriminalität und der italienischen Mafia ist doch nichts Neues. Das ist doch schon seit Jahren allen bekannt eigentlich. Ich weiß von unendlichen Fachtagungen, die überall europaweit stattfinden, wo über die internationale Kooperation im Kampf gegen organisierte Kriminalität jetzt seit wirklich über 10, 15 Jahren geredet worden ist, und es hat sich so viel Entscheidendes anscheinend – wenn man den Aussagen von Herrn Ratzel glaubt – nicht geändert. Natürlich hat in der Vergangenheit die deutsche Polizei eng mit der italienischen Polizei zusammengearbeitet. Dann gab es einen Bruch. Dieser Bruch bestand darin, dass Berlusconi an die Macht gekommen ist und massiver Druck auf Ermittler und Staatsanwälte, insbesondere in Sizilien und in Kalabrien, ausgeübt worden ist, das heißt, da wurde nicht mehr in dem Umfang ermittelt, dann gab es diese Zusammenarbeit zwischen den Polizeibeamten hier in Deutschland mit denen in Italien nicht mehr. Und das hat sich jetzt erst durch die neue, mit der Linksregierung ein bisschen verändert, aber in diesem Zeitraum, und das ist ja nun ein langer Zeitraum, sind halt neue Erkenntnisse hinzugewonnen worden, und über die verfügt die deutsche Polizei anscheinend noch nicht.
Kassel: Sie haben gleich zu Anfang unseres Gespräches gesagt, Herr Roth, dass Sie gewisse Befürchtungen für stark übertrieben halten, weil die Verknüpfung der Mafia mit dem Staat, mit kommunalen und staatlichen Strukturen und mit Geschäftspraktiken in Deutschland überhaupt nicht gegeben sei so wie in Italien. Wenn man aber nun sich den sogenannten sächsischen Sumpf anguckt, die Korruptionsaffäre da – wo verschiedene kriminelle Organisationen verwickelt zu sein scheinen aber ja auch die Ndrangheta –, gibt es nicht dann doch Anfänge solcher Verknüpfungen auch in Deutschland?
Roth: Na ja, da muss man meiner Meinung nach ein bisschen differenzieren, also, man kann da nicht sagen, ach, die böse italienische Mafia und sozusagen die guten Deutschen als solche. Es gibt in der Tat einen Prozess, dass man so nicht mehr richtig unterscheiden kann zwischen der, ja, bürgerlichen, wohlanständigen Gesellschaft, und da sind wir bei Sachsen, und der ehrenwerten Gesellschaft jetzt in Kalabrien oder in Sizilien. Der Unterschied, der geht weg im Grunde genommen. Das ist sicher das große Problem. Das heißt, die Deutschen haben vielleicht mafiosen Charakter eher, dass deutsche Unternehmer, schauen Sie sich doch Siemens an, was ist denn der Unterschied, was dort praktiziert ist zwischen dem, was die sizilianische Mafia macht und hier? Also, wenn man die Strukturen sieht, sind es die gleichen Strukturen. Es fließt halt Blut in Italien, das ist vielleicht der einzige Unterschied, aber die gesellschaftlichen, die ethischen Wertmaßstäbe, die nähern sich leider ein bisschen an. Aber die ökonomischen Strukturen, die sind nun auch wieder ganz unterschiedlich zwischen Kalabrien – das meinte ich – auf der einen Seite, und Deutschland. Dass sich gesellschaftliche Verhältnisse angleichen, die wir alle nicht möchten oder die wir alle bekämpfen, da in diesem Bereich würde ich dem Staatsanwalt recht geben.
Kassel: Sie haben den Unterschied neben vielen anderen jetzt gerade auch noch genannt, in Italien fließt Blut, zumindest vorgestern war dieser Unterschied ja auch nicht da, in Duisburg ist auch Blut geflossen bei diesem sechsfachen Mord. Nun sagen in dem Zusammenhang einige Experten, das sei aber für die Ndrangheta eigentlich sehr, sehr untypisch, diese Art von Gewalt auch noch außerhalb Italiens. Bleiben für Sie Zweifel, ob es tatsächlich die Ndrangheta war?
Roth: Nein, daran waren von mir von Anfang an überhaupt keine Zweifel, weil ich die Namen der Familien kannte, die involviert waren. Das waren bekannte oder sind bekannte Familien der Ndrangheta aus St. Lucia und von daher war das einzige Merkwürdige oder Ungewöhnliche die sechs Morde, wohlweislich, dass es so viele waren. Einzelne Morde, glaube ich, wären hier auch in Deutschland überhaupt nicht aufgefallen in diesem Umfang, weil sie haben ja auch in der Vergangenheit schon stattgefunden. Es hat ja auch in der Vergangenheit schon über 30 Festnahmen von hochrangigen Vertretern der Ndrangheta in Deutschland gegeben, also, es ist ja nicht so, dass Deutschland in der Vergangenheit ein ndranghetafreier Raum war, nur die sechs, diese hohe Zahl der liquidierten Personen, das ist im Grunde das einzige Auffällige.
Kassel: Herzlichen Dank, der Publizist Jürgen Roth war das über die Aktivitäten der italienischen Mafia in Deutschland.