Märchenstück mit Eigendynamik

Von Bernhard Doppler · 31.12.2011
Die Silvesterpremiere ist eine neue Einrichtung des Burgtheaterdirektors Matthias Hartmann, die er auch selbst inszeniert hat. Der Titel des Stücks wird erst sieben Wochen vor Silvester bekannt gegeben: 2011 war es "Mitsommernachts-Sex-Komödie" - nach dem Film "A Midsummer Night's Sex Comedy".
"Überraschungspremiere" ist noch auf dem Monatsspielplan des Wiener Burgtheaters für den 31.12. angegeben. Zwar wurde das Geheimnis, was da als Überraschung zu erwarten sei, schon vor ein paar Wochen gelüftet, doch Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann hat seit seinem Amtsantritt den nur mehr selten praktizierten Brauch der Silvesterpremiere und seiner Rituale wiederbelebt.

Dazu gehört, dass der Direktor selbst sein Publikum launisch begrüßt, wobei man von ihm erwartet, dass er jedes Jahr einen neuen Witz zum Besten gibt. (Diesmal einer über Aladins Wunderlampe) Die Aufführung selbst, Woody Allens "Mitsommernachts-Sex-Komödie" - nach dem Film "A Midsummer Night´s Sex Comedy" aus dem Jahre 1982 - spielt zwar in einer ganz anderen Jahreszeit, aber zur Feier des Jahreswechsels passt sie ausgezeichnet. "In dieser Nacht verzeihe ich der ganzen Menschheit" heißt es bei Woody Allen.

Zwei Paare sind fürs Wochenende ins Landhaus eines befreundeten Ehepaars eingeladen: ein eitler älterer Professor (Martin Schwab) am Abend vor seiner Hochzeit mit seiner Braut Ariel (Sunnyi Melles) und ein sexbesessener Arzt (Roland Koch) mit einer Krankenschwester (Liliane Amuat). Das Ehepaar (Michael Maertens und Dorothee Hartinger), dem das Landhaus gehört, hat miteinander Probleme im Bett. Aber wird der Besuch dafür eine Therapie sein? Er, Anlageberater in New York, hat seine Triebe bereits umgeleitet und versucht sich in Erfindungen von Fluggeräten. Oder sind diese Geräte Theaterzaubermaschinen?

Sechs Großstadtneurotiker also, die sich einer Versuchsanordnung in einer Natur-Idylle unterwerfen, Schmetterlinge fangen, Fische angeln, mit Pfeil und Bogen schießen, Giftpilze essen. Eindrucksvoll das fast undurchdringliche Gebüsch (Bühne: Stéphane Laimé), das die Bühne beherrscht. Ein Zauberwald wie in Shakespeares "Sommernachtstraum" oder wie Prosperos Insel in Shakespeares "Sturm". Aber auch Tschechow und Ingmar Bergmann "Das Lächeln einer Sommernacht" werden von Woody Allen anzitiert: Eine mit Mythologien und Zaubereien durchsetzte Kunstwelt - nicht von heute, eher von der vorletzten Jahrhundertwende, in ihr werden die Menschen selbst zu Geistern und Faunen; auch der rational denkende Professor, ein "Positivismusspezialist", ja gerade der! Felix Mendelssohn-Bartholdy Bühnenmusik, die immer wieder erklingt, macht darüber hinaus die Sommervilla zum Zauberwald.

Man könnte an Stücke von Botho Strauss aus den 80er-Jahren denken: Boulevard und Mythos. Soap und Philosophie. Sexprobleme und Metaphysik. Philosophische Grundsatzfragen und gleichzeitig ein Dialog, der immer wieder auf ganz schnelle zynische Pointen und Lacher setzt.

Michael Maertens spielt die Woody Allen-Rolle des Erfinders und New Yorker Anlageberaters Andrew und zunächst misst man ihn natürlich auch an Allen, seiner Zerfahrenheit und selbstbewussten Schüchternheit. Doch der Abend gewinnt mit dem brillanten Schauspielersextett des Burgtheaters (psychologisch genau gezeichnete Figuren und faunartige Märchenfiguren gleichzeitig) schnell als Zauber- und Märchenstück eine theatralische Eigendynamik, präzise instrumentiert, choreografiert und inszeniert von Matthias Hartmann.

Manchmal hat man ja den Eindruck, dass die Überhöhung von Boulevard durch den Mythos, auch sonst den Spielplan des Burgtheaters unter Matthias Hartmann dominiert, bei der Woody Allen-Silvester-Premiere ging jedoch dieses dramaturgische Konzept überzeugend auf.
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