Märchenfilm

Schneewittchen mit Stierkampf und Flamenco

Pablo Berger im Gespräch mit Susanne Burg · 24.11.2013
Mit spanischem Flair kommt Pablo Bergers Schneewittchen-Verfilmung daher. Die Grundelemente - die böse Stiefmutter, der Prinz und die Zwerge - spielen mit, aber Berger hat sich den Raum genommen, das Märchen aufzupeppen: mit spanischer Tradition, wie Stierkampf und Flamenco. "Ich musste nicht so viel Respekt vor der Geschichte der Brüder Grimm haben, weil sich ja diese Märchen übertragen haben durch eine Tradition des Mund-zu-Mund-Weitererzählens", erklärt der Regisseur. Wie ein Jazzmusiker habe er die Grundmelodie der Schneewittchen-Geschichte beibehalten und weiter ausgeschmückt.
Susanne Burg: „Schneewittchen“ ist eines der bekanntesten Märchen überhaupt, es gibt unzählige Verfilmungen, alleine 2012 entstanden neben Ihrem Film noch zwei weitere, unter anderem ein Film mit Julia Roberts. Was hat Sie so sehr an Schneewittchen fasziniert, dass Sie sich dachten, ah, braucht noch eine weitere „Schneewittchen“-Verfilmung?
Pablo Berger: In Spanien haben wir eine Redewendung, die besagt: Beim dritten Mal ist man der Sieger. Insofern hoffe ich, dass unsere Adaption jetzt sozusagen der Siegerfilm sein wird. Aber ehrlich gesagt, der Grund bestand jetzt nicht darin, dass ich mir eines Tages das Märchen der Brüder Grimm wieder durchgelesen habe und mir gesagt habe: Oh, diese Geschichte müsste ich verfilmen! Das hatte einen ganz anderen Ursprung. Und zwar sah ich eines Tages ein Foto von stierkämpfenden Zwergen von Cristina Garcia Rodero, und als ich diese Zwerge sah beim Stierkampf, dachte ich: Da müsste man jetzt noch Schneewittchen hinzufügen. Und irgendwie ergab das ein Bild, das ergab schon mal mein Filmposter. Und dann musste ich eigentlich nur noch eine Filmgeschichte dazu finden – und dann habe ich natürlich auch noch einmal das Märchen der Brüder Grimm gelesen.
Burg: Es ist interessant, was Sie sagen: Es geht ja eben um eine sehr alte, spanische Tradition, die eben auch der kleinen Toreros mit ihrer Parodie auf den Stierkampf, also ein spanischer Volksbrauch. Inwieweit fanden Sie, dass dafür die Form eines deutschen Märchens eine gute Erzählweise wäre?
"Für mich ist Film wie eine Zeitreisemaschine"
Berger: Nun, das Schöne an der Schneewittchen-Geschichte ist ja, dass sie sich in der Zeit, in all den Jahrhunderten bewährt hat – und dann habe ich natürlich die Grundelemente der Geschichte übernommen: Schneewittchen, die böse Stiefmutter, den Prinzen, die Zwerge. Und insgesamt ist die Geschichte ja nur drei Seiten lang. Das gibt mir natürlich unglaublich viel Raum, das alles noch mal aufzupeppen, auch mit viel spanischer Tradition, zum Beispiel mit Stierkampf, mit Flamenco, und ich konnte mir diese Freiheit einfach nehmen. Ich musste nicht so viel Respekt vor der Geschichte der Brüder Grimm haben, weil sich ja diese Märchen übertragen haben durch eine Tradition des Mund-zu-Mund-Weitererzählens, und dadurch konnte ich das wirklich ausschmücken. Und so habe ich dann, wie ein Jazzmusiker, teilweise die Grundmelodie der Schneewittchen-Geschichte beibehalten, teilweise eben neue Melodien wie Flamenco hinzugefügt, und das war wirklich eine Arbeit, die unglaublich viel Spaß gemacht hat.
Burg: Nun hat der Stierkampf in Spanien auch durchaus eine politische Dimension: Die Stierkampfbranche hat gerade erst Unterschriften gesammelt für ein neues Gesetz, und vor Kurzem wurde jetzt der Stierkampf zum immateriellen Kulturerbe erklärt – eine Entscheidung, die nicht wirklich überall beliebt ist. Katalonien hat den Stierkampf schon vor knapp zwei Jahren verboten. Haben Sie mit Ihrem Film auch in gewisser Weise eine Hommage an den Stierkampf schaffen wollen, an das immaterielle Kulturerbe?
Berger: Nein, nein. Für mich ist Film wie eine Zeitreisemaschine, und ich wollte mich zurück in die 20er-Jahre des 20. Jahrhunderts versetzen, und in diesen 20er-Jahren war eben der Stierkampf wahrscheinlich das größte populäre Vergnügen, was das Volk hatte, nicht nur in Sevilla, sondern eben in ganz vielen Orten in Spanien. Und was mich am Stierkampf interessiert, ist die Chronografie, das heißt, der Anfang, die Mitte, das Ende, auch alles, was drum herum ist. Und in Spanien – das ist ein sehr kontroverses Land, das macht auch die Einmaligkeit unseres Landes eben aus – ist der Stierkampf etwas, was in den Feuilletons besprochen wird, auf den Kulturseiten der Zeitungen, und andere wiederum sind gegen den Stierkampf. Aber genau das macht eben auch die Faszination aus, diese Komplexität.
Burg: Weil Sie ja sagen, es ist die alte Tradition, dann ist es ein Stummfilm geworden. 1921, als der erste Tonfilm vorgeführt wurde, da empfanden es viele als Fortschritt, dass der Film plötzlich Ton hatte und später dann noch Farbe. Sie haben einen Schwarz-Weiß-Stummfilm gedreht. Was kann der Stummfilm Ihrer Meinung nach, was der Tonfilm nicht kann?
Berger: Also für mich sind Stummfilme so einmalig, weil sie mich wie hypnotisieren, man ist da wie in einem Trancezustand. Und das Problem ist natürlich für das Publikum: Es ist zu Beginn des Films ein bisschen anstrengender, diese Erfahrung, aber danach ist der Grad der Zufriedenheit so viel größer als bei einem Tonfilm.
"Nichts hilft besser als eine gute Nacht voll gutem Schlaf"
Burg: Woher kommt für Sie dieser Sog?
Berger: Nun, ich glaube, es gibt viele Dinge, die dazu beitragen. Einmal ist es natürlich das Schwarz-Weiße – das ist abstrakter, aber auch magischer und auch poetischer. Ich glaube ja sogar, dass wir in Schwarz-Weiß träumen. Und dann kommt natürlich die Macht der Musik hinzu. Ich finde auch, der Begriff „Stummfilm“ ist falsch, wir sollten es „Musikfilm“ nennen, weil mit der Musik kann man eben so starke Emotionen ausdrücken, und ich bin immer so neidisch auf die Musiker, die es mit drei Noten schaffen, einen in eine ganz andere Dimension der Emotionalität zu bringen. Und diese Macht des Schwarz-Weiß, die Poesie der Bilder und der Musik führt eben einfach dazu, dass man richtig süchtig wird nach so einem sogenannten Stummfilm. Und das ist für mich eben eine Kunstform, die es gilt, wiederzuentdecken. Wir brauchen mehr Filme, die in ähnlicher Art und Weise wie „Blancanieves“ gemacht sind.
Burg: Wir sprechen hier im Deutschlandradio Kultur über den Film „Blancanieves“ vom Regisseur Pablo Berger. Sie haben sehr, sehr lange an dem Film gearbeitet: 2005 haben Sie angefangen, Produzenten zu suchen, dann vergingen weitere Jahre, dann kam der französische Stummfilm „The Artist“, triumphierte in Cannes. Was ging Ihnen da durch den Kopf?
Berger: Zuerst schrie ich einfach nur auf, ich war in einem richtigen Angst- und Schockzustand, weil ich hatte meinen Film „Blancanieves“ gerade abgedreht, als nun dieser französische Film herauskam, und ich hatte acht lange Jahre gebraucht, um Financiers, um Produzenten davon zu überzeugen, mir meinen Schwarz-Weiß-Film, meinen Stummfilm zu produzieren, der auch noch wirklich viel Geld gekostet hat. Ich war also zunächst erst einmal schockiert, weil ich glaubte, dass ich jetzt es noch schwieriger haben würde, ein wirklich breites Publikum mit meinem Film zu erreichen. Aber nichts hilft besser als eine gute Nacht voll gutem Schlaf, und am nächsten Morgen war ich schon ein bisschen anderer Meinung und dachte mir: Eigentlich ist es doch etwas Positives: Wenn der „Artist“ ein Hit wird, dann gibt es vielleicht auch ein Publikum für zukünftige Stummfilme. Und ich habe ja letzten Endes recht behalten und es hat sich ja herausgestellt, dass es einen Platz für beide Filme gab letztendlich. Was unsere beiden Filme gemeinsam haben, ist eigentlich nur: Beide sind in Schwarz-Weiß gedreht und das sind beides Stummfilme. Ansonsten ist es wirklich eine ganz unterschiedliche Herangehensweise. Aber das Schöne ist eben, dass beide Filme ihren Erfolg hatten und dass es hoffentlich jetzt auch noch zukünftige weitere Stummfilme geben wird.
"Als Filmemacher befinde ich mich in einer permanenten Krise"
Burg: Das Schauspielen im Stummfilm ist häufig sehr expressiv, überagiert, manchmal auch ein bisschen mit Pathos. Das ist in „Blancanieves“ nicht der Fall. Wo wollten Sie dem klassischen Stummfilm treu bleiben und wo haben Sie ihn aber auch dann ganz bewusst ins Hier und Jetzt geholt?
Berger: Also eins war mir wirklich ganz wichtig: Ich wollte keine Kopie drehen, ich wollte keinen nostalgischen Film drehen, sondern mir schwebte vor, einen modernen Stummfilm zu drehen, keinen Film, der dann nur in den Cinematheken landet. Und es war ein Film, der sollte sich an ein heutiges Publikum wenden. Also natürlich habe ich auf einen gewissen Retro-Look gesetzt, ich wollte aber gleichzeitig auch etwas Neues noch hinzufügen. Und man verbindet mit dem Stummfilm immer, dass die Schauspieler einfach zu viel machen, zu viel mit den Augenbrauen agieren, mit den Armen zu viel gestikulieren, einfach übertriebenes Schauspiel – und das funktioniert vielleicht 10, 15 Minuten lang, als Gag, aber danach eben nicht mehr. Und ich wollte ja wirklich einen emotionalen Film machen, einen, wo man Empathie hat mit den Figuren, einen Film, der irgendwo auch eindrucksvoll ist, indem sich der Zuschauer wie auf einem Trip bewegt. Und bei den negativen Figuren, da kann man natürlich ein bisschen spielen mit einer sehr stilisierten Form der Darstellung, aber bei den ganzen positiven Figuren sollte das schon sehr, sehr natürlich wirken.
Burg: Ihr Film ist ein Film für die große Leinwand, nur ist es so, dass in Spanien in den letzten Jahren unglaublich viele Kinos zugemacht haben. Entmutigt Sie das nicht?
Berger: Ach, wissen Sie, wir müssen optimistisch sein und nach vorne schauen. Wenn ich zurück schaue, dann falle ich einfach. Und das ist wie bei der Musik: Einer meiner Lieblingssongs ist „Tomorrow“, also „Morgen“, und als Filmemacher befinde ich mich in einer permanenten Krise. Als ich vor 25 Jahren beschlossen habe, Filmemacher zu werden, war mir das klar, dass das ein ewiger Kampf sein wird, aber bisher habe ich diesen Kampf immer gewonnen. Und Kino hat es schwer, aber es ist eben auch eine einmalige Erfahrung, und bei „Blancanieves“ haben wir wirklich etwas sehr Seltenes gemacht: Wir haben den Film sehr oft mit einem Live-Orchester aufgeführt, in den großen Opernhäusern von Madrid, Barcelona. Wir haben das aber auch in Deutschland beispielsweise so vorgeführt. Und ich finde, man muss mit dem Kino eben auch neue Wege gehen, man muss Dinge miteinander mischen, wie Live-Musik, das Kino und das Publikum überraschen. Mein Ziel ist es, das Publikum zu überraschen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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