Männerliebe in der Mafia

14.02.2013
Mit seinem knapp 90 Seiten kurzen hardboiled Krimi rührt Luigi Romolo Carrino an einem Tabu: Seine Hauptfigur ist Sohn eines Mafiabosses und ist schwul. Sein Begehren ist ein lebensbedrohliches Wagnis in dieser hochgradig homophoben Umgebung.
Im Jahre 2009 wurde in Italien ein Mafiaboss in Frauenkleidern verhaftet. Er hieß Ugo Gabriele, Spitzname "Kitty". Laut neapolitanischer Polizei war es das erste Mal, dass man einen transsexuellen Clanchef gefangen genommen hatte. Ein Mafioso, außerhalb des heterosexuellen Normativs? Wenige derartige Fälle sind bis dato bekannt geworden – da gab es etwa den 1992 seiner Homosexualität wegen ermordeten amerikanischen Mafiaboss John D’Amato, der Vorbild für den schwulen Vito Spatafore in der US-Fernsehserie "The Sopranos" abgeben sollte.

Aber sonst? Outing in der Mafia? Ein Sakrileg. Mehr noch: ein Tabu. Wer dagegen verstößt, wird mit dem Tod bestraft, auf dass ja nichts nach außen dringt. Die Omertà, der berüchtigte Ehrenkodex der Mafia, verpflichtet deren Mitglieder auch, über Schwule innerhalb ihrer Organisation absolutes Stillschweigen zu bewahren.

Wie mutig erscheint es vor diesem Hintergrund, einen Kurzroman über zwei Homosexuelle in einem neapolitanischen Mafiaclan zu schreiben. Kaum 90 Seiten umfasst die mit einem ausführlichen Nachwort von Christian Gabriele Moretti versehene short novel von Luigi Romolo Carrino. Geschickt komponiert, erzählt sie von dem Mittzwanziger Giovanni. Er ist der Sohn des Mafiabosses Don Antonio Farnesini – und ist Mariasole verheiratet worden, der Tochter vom Gegenspieler seines Vaters, Don Pietro Simonetti. Es war eine strategische Eheschließung: Der zwischen den beiden Familien tobende Drogenhandelskrieg sollte beendet werden.

Giovanni hat mit Mariasole zwar ein Kind, aber seine Liebe gilt Salvatore, dem Buchhalter seines Vaters. Diese Liebe ist ein "Fluch auf dem Altar der Heiligen Klara", sie muss vor aller Augen geheim gehalten werden. Man trifft sich an abgelegenen Stränden oder in Wohnungen. Ein lebensbedrohliches Wagnis in dieser hochgradig homophoben Umgebung, versteht sich die Mafia doch bis heute als Hochburg des Chauvinismus, des Machismo – offiziell.

Was aber unter inhaftierten Mafiosi im Gefängnis oder auf verborgenen Festen der Mafia abläuft, das zeigt Carrinos nicht selten explizites Buch - schwuler Sex (ob in der cruising zone oder anderswo) kommt hier wahrlich nicht zu kurz.

"Der Verstoß" ist hardboiled und hardcore in einem. Spannende Lektüre für die gay community, mag nun mancher spotten und sich gelangweilt abwenden. Das aber hieße, L.R. Carrinos Kunst zu unterschätzen, dem Leser auf packende Weise von der größten denkbaren Sünde innerhalb der Mafia und dem verzweifelten Versuch zu erzählen, gegen das unterdrückte homoerotische Verlangen aufzubegehren, gerade indem man Virilität im Extrem unter Beweis stellt - durch rohe, oft tödliche Gewalt.

Giovanni und Salvatore leben "wie Maulwürfe, unter der Erde". Und es ist kein gutes Zeichen, dass der Pate Don Antonio Farnesini seinem Sohn Giovanni eines Tages eine Passage aus Dante Alighieris "Göttlicher Komödie" zitiert. Im fünfzehnten Gesang schickt der Dichter seinen Lehrer Brunetto Latini in die Hölle - zu den "Sodomiten", mithin zu jenen, die "wider die Natur leben".

Besprochen von Knut Cordsen

Luigi Romolo Carrino: Der Verstoß.
Roman. Aus dem Italienischen von Klaudia Ladurner
Pulp Master. Berlin 2013
124 Seiten. 11,80 Euro