Madrider Mona Lisa "hat einfach diese Aura nicht"

Frank Zöllner im Gespräch mit Frank Meyer · 21.02.2012
Der Leipziger Kunsthistoriker Frank Zöllner rechnet nach der Präsentation einer Kopie der "Mona Lisa" nicht mit einem Publikumsansturm auf den Madrider Prado. Das neuere Gemälde könne gar nicht die gleiche Anziehungskraft haben wie das Original.
Frank Meyer: Seit etwa 350 Jahren gehört dieses Gemälde zum Prado, aber erst jetzt hat man bemerkt, was für einen Schatz man da hat: eine zweite "Mona Lisa", dem Original von Leonardo da Vinci zum Verwechseln ähnlich, vielleicht sogar noch schöner. Wahrscheinlich hat ein Schüler von Leonardo da Vinci diese zweite "Mona Lisa" gemalt – parallel zu dem Bild von da Vinci. Heute wird die "Mona Lisa" von Madrid offiziell vorgestellt, und darüber reden wir mit Professor Frank Zöllner. Er ist Kunsthistoriker an der Universität Leipzig und ein Spezialist für das Werk von Leonardo da Vinci. Herr Zöllner, seien Sie herzlich willkommen!

Frank Zöllner: Danke schön!

Meyer: Kann man denn wirklich sicher sein, Herr Zöllner, dass das Bild im Pariser Louvre das Original ist und nicht vielleicht die neue "Mona Lisa" in Madrid?

Zöllner: Ja, ja, doch, das ist absolut sicher. Also man hat ja die Provenienz seines Gemäldes, also die Herkunft und Beschreibung daran, und man hat natürlich auch den Befund. Das sieht man ja auch im Vergleich mit der Kopie, denn es gibt ja doch etliche Unterschiede, wo man erkennen kann, das eine ist das Original und das andere ist die Kopie, das können Sie etwa am rechten Ärmel erkennen, also rechts von der "Mona Lisa" aus gesehen, das ist dort schematisch gemalt in der Kopie, und im Original ist das Ganze etwas überzeugender, oder auch in einigen Perspektivdetails in den kleinen Plinden der Säulen, die da rechts und links zu erkennen sind. Also es gibt schon etliche Hinweise darauf, welches das Original und welches die Kopie ist.

Meyer: Es gibt allerdings auch einige Berichte, die sagen, die neue "Mona Lisa" sei noch schöner als die alte, die Farben leuchtender, die Dame wirke jugendlicher als auf dem bekannten Bild.

Zöllner: Ja, wenn man es bunter und jünger haben möchte, dann ist natürlich die Version des Prado viel schöner – die hat ja auch eine andere Gewandfarbe, zumindest der Ärmel, und die Farben sind kräftiger, weil es restauriert ist. Wenn man die "Mona Lisa", das Original restaurierte und von ihrem Firnis befreite, würde sie wahrscheinlich auch etwas jünger oder jugendlicher aussehen, aber letztendlich sind das ja Geschmacksfragen. Also, wir sind ja durch die Restaurierungen vieler, vieler Gemälde der letzten Jahrzehnte eben schon daran gewöhnt, dass Altmeistergemälde so aussehen, als ob sie gerade aus der Werkstatt ganz frisch kämen. Und nur wenige Gemälde, die sind ja unrestauriert geblieben. So, unser moderner Geschmack könnte eventuell sagen: Ja, wir mögen das eigentlich viel lieber, wen es so ein bisschen frischer und jünger ist, als wenn das Ganze so ein bisschen nachgedunkelt, so ein bisschen schummerig ist, nicht? Aber das ist ja eine reine Geschmacksfrage.

Meyer: Können Sie sich denn erklären, warum damals parallel offenbar ja zum Original diese Kopie, die jetzt in Madrid zu sehen sein wird, warum die angefertigt worden ist?

Zöllner: Ja, das ist eine sehr gute Frage, und da wird man auch noch eine Weile drüber nachdenken müssen. Also die Befunde sind wohl so, wenn ich das richtig verstanden habe, dass tatsächlich die Unterzeichnungen des Gemäldes darauf verweisen, dass es parallel zum Original entstanden ist. Und das ist für ein Porträt sehr ungewöhnlich, nicht ausgeschlossen. Wir wissen ähnliche Prozesse von anderen Gemälden Leonardos, also religiöse Gemälde, da gibt es ein paar Hinweise darauf, dass er eben immer mehrere Varianten gemalt hat, beziehungsweise eine Variante selbst gemalt hat und dann weitere Varianten von seinen vielen Schülern hat malen lassen. Das betrifft aber bislang nur Madonnengemälde oder sakrale Gemälde, aber es betrifft keine Porträts bislang. Und für die Sakralgemälde macht das auch einigermaßen Sinn, da hat mal halt eine Madonna gehabt und hat gesagt, gut, die ist so gut, das könnte vielen Leuten gefallen, also machen wir noch zwei. Und das hat der Leonardo dann praktisch delegiert an seine besten Schüler.

Dass er das nun für ein Porträt macht, das ist wirklich außergewöhnlich, und da gibt es eine ganze Reihe von Erklärungsansätzen, aber das muss man erst mal sehen. Man muss das jetzt sehr genau diskutieren, sich genau angucken, worum es sich eigentlich handelt bei der Geschichte. Also ich denke, es gibt zwei Möglichkeiten: Also einmal könnte es sein, dass das einfach als Übung angefertigt wurde, dass also der Schüler gesagt hat, ich mache da jetzt mal mit und male sozusagen eine Kopie, während der Meister das Original malt. Und die zweite Möglichkeit ist die, dass der Auftraggeber oder auch im Nachgang jemand gesagt hat: Wir finden das so gut, wir wollen eine zweite Fassung davon haben. Und das wird man jetzt diskutieren müssen. Also ich denke, das ist eine offene Frage.

Meyer: Aber wenn man sich jetzt diese Entstehungssituation vorstellt, dass tatsächlich die Bilder parallel entstanden sind, ja dann wahrscheinlich auch vor dem Modell – wird da nicht auch wieder die Frage schwierig, wer ist eigentlich der Schöpfer dieses Gemäldes, wenn da zwei Maler Seite an Seite gearbeitet haben?

Zöllner: Nein, das ist in diesem Falle nicht so schwierig. Also wenn Sie das im Detail anschauen, auch die Herkunft des Gemäldes, das ist ja zurückverfolgbar bis ins frühe 16. Jahrhundert. Original und Kopie – oder Variante, muss man vielleicht besser sagen – unterscheiden sich doch an etlichen technischen Details ganz eklatant. Also schwieriger ist es bei anderen Madonnengemälden, von denen wir auch aus den Quellen wissen, wo die Quellen beschreiben: Leonardo malt so eins oder entwirft so eins, und seine Schüler malen das dann, und er geht ab und zu mal vorbei und pinselt ein bisschen mit, also das wissen wir von anderen Gemälden.

Also im Grunde ist es so, diese zweite "Mona Lisa" bestätigt etwas, was in den letzten Jahren sehr häufig herausgefunden wurde, dass gerade in der Zeit ab 1500 Leonardo einen florierenden Werkstattbetrieb hatte, wo er selbst Dinge entwirft oder auch malt, und dass es Schüler gibt, die das noch mal malen in der selben Gestalt oder mit leichten Varianten. Also insofern ist dieser Fund nicht ganz so überraschend, wie er zunächst erscheint. Also das trifft eigentlich genau auf die neueren Erkenntnisse, die wir haben, ausgehend von den vielen Kopien, die jetzt erst in den letzten Jahren untersucht worden sind. Man hat die Kopien jahrelang vernachlässigt, obwohl man das hätte schon viel früher machen müssen, diese Kopien zu untersuchen.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen über die zweite "Mona Lisa" oder die "Mona Lisa"-Variante, die ab heute im Madrider Prado öffentlich vorgestellt wird, mit Frank Zöllner, Kunsthistoriker an der Universität Leipzig. Sie haben ja gerade die Werkstatt von Leonardo da Vinci angesprochen. Wie muss man das eigentlich gewichten? Heute haben wir uns ja angewöhnt, Künstler eben als Einzelpersönlichkeiten, Individuen, Schöpfer zu sehen. Wie war das damals, war eigentlich Leonardo der Künstler oder dieser Verbund, Leonardo und seine Werkstatt?

Zöllner: Na, die Zeitgenossen haben das schon gesehen, dass er selbst – Leonardo – Dinge malt, ja, und dass seine Schüler das kopieren oder Varianten anfertigen. Aber das scheint nur so weit von der zeitgenössischen Praxis entfernt zu sein. Sehen Sie mal, etliche zeitgenössische Künstler machen ja auch nur Entwürfe. Fast alle berühmten Künstler, die lassen das dann ja ausführen – also ob das Jeff Koons ist oder Damien Hirst, Warhol hat das schon so gemacht. Also insofern ist das nicht so ungewöhnlich, das ist heute auch so. Ich meine, heute ist eigentlich sogar bei manchen Künstlern ja so, die entwerfen etwas, erfinden etwas, und andere setzen das um. Insofern ist dieser Prozess von damals nicht so ungewöhnlich, das haben wir heute auch.

Meyer: Diese Kopie in Madrid, oder die Variante, die soll besser erhalten sein als das Original, und ihre Entdeckung, heißt es jetzt, werde den Kunstexperten ermöglichen, neue Einzelheiten über die Entstehung dieses Gemäldes – eben der "Mona Lisa" – zu verstehen. Was könnten das für Einzelheiten, für neue Einsichten sein?

Zöllner: Tja, das ist eine schwierige Frage. Also erst mal wird natürlich ganz sicher passieren, dass es neue Spekulationen gibt. Es wird also wirklich – ich schätze, noch vor Ostern wird es also eine ganze Menge verrückter neuer Theorien geben.

Meyer: Was haben Sie da im Blick, was für Theorien?

Zöllner: Das sage ich Ihnen lieber nicht, warten Sie bis Ostern.

Meyer: Schade!

Zöllner: Also die werden schon kommen, das geht nicht an Ihnen vorbei, das kann ich Ihnen schon versprechen. Ja, was ist an Erkenntnis zu erwarten? Also die Sichtbarkeit von Details ist durch die Kopie natürlich deutlich verbessert, nicht? Sie können hinten diese komische Gebirgslandschaft, was da irgendwie völlig unklar war, was soll das eigentlich sein, das sieht jetzt so aus: Na, da ist doch Nebel gemeint im Gebirge. Das ist so eine Sache, auch die Gewandfalten, die sehr pedantisch gemalt sind, sind jetzt besser zu erkennen. Diese Kopie bereichert unser Detailwissen, und was kann man auch jetzt schon sagen? Diese Kopie zeigt natürlich den Unterschied zwischen einem Altmeister-Gemälde, das einen alten Firnis hat, an dem Leonardo auch sehr stark gearbeitet hat – also ein Firnis war immer Teil seiner Bildidee, dass man das Ganze so in so dunkle Schatten taucht –, und man hat jetzt den schönen Kontrast: Wie sieht so etwas aus, wenn das ein Schüler macht, der diese Sfumato-Technik, dieses schattige Malen nicht beherrscht.

Über die Entstehungsgeschichte, das ist jetzt die letzte Frage, die man natürlich dazu stellen kann: Ändert das unser Verständnis? Das hängt von einer ganzen Reihe von Dingen ab, und da muss man auch nicht nur die Restaurierungsergebnisse, die man jetzt hat, berücksichtigen, sondern den Gesamtkontext. Das würde ich jetzt mal als eine offene Frage bezeichnen. Also was wir wirklich besser verstehen, ist jetzt die Gestalt im Detail des Gemäldes, und was wir besser beurteilen können, ist eigentlich auch unsere Haltung zu Altmeister-Gemälden. Wie neu wünschen wir es, wie bunt darf es sein? Wie jugendlich darf es sein, oder sind wir dann doch eher geneigt, etwas gut zu finden, was so leicht schummerig ist? Aber die Entstehungsgeschichte ist eigentlich – und deswegen sagte ich, es gibt wahnsinnig viel Theorien wahrscheinlich jetzt demnächst dazu, die Entstehungsgeschichte ist damit eigentlich noch komplizierter geworden. Und das ist ein Trend der letzten zehn Jahre: Fast jede neue Leonardo-Entdeckung – fast – hat die Sache eigentlich komplizierter gemacht.

Meyer: Komplizierter wird jetzt auch die Frage: Was ist eigentlich die Wirkung der "Mona Lisa"? Jetzt gibt es die "Mona Lisa" im Louvre natürlich, das Original, aber, wie Sie es auch beschrieben haben, ein ähnlich gelungenes Gemälde – gleiches Motiv in vielen Details sehr nahe beieinander eben in Madrid. Was meinen Sie, werden sich dort jetzt ähnlich lange Schlangen bilden vor dem Prado?

Zöllner: Nein, nein, auf keinen Fall. Ich meine, hier das ist auch ein gutes Beispiel für Aura. Also dieses Gemälde hat einfach diese Aura nicht. Und selbst, wenn es diese Aura hätte, man würde es nicht sehen. Also das ältere Gemälde, das Original, hat natürlich auch die Geschichte, es hat diesen nachgedunkelten Firnis, es ist zehntausendmal kopiert und kommentiert worden – diesen Zuwachs an Bedeutung an eben einer auratischen Ausstrahlung kann dieses neue Gemälde gar nicht haben, und da wir ja entgegen allen Unkenrufen immer noch ans Original glauben, ja?

Ich meine, die Philosophen und die Kunstkritiker reden uns ja immer ein, das Original ist tot, es ist alles reproduzierbar. Das stimmt ja nicht, ich meine, die Leute laufen ja wie verrückt in Leonardo-Ausstellungen, und sie würden dort nicht hinlaufen, wenn da nur Kopien hingen, ja? Insofern ist es eigentlich auch eine Entdeckung, die uns klarmachen kann, was eigentlich der Unterschied ist zwischen Aura und nicht Aura. Also Sie müssen, glaube ich, keine Angst haben, dass jetzt die Besucherströme bei der "Mona Lisa" in Paris abreißen und die alle umgeleitet werden in den Prado. Also ich denke, in den Prado werden ein paar mehr Leute das anschauen jetzt, aber es hat sich im Grunde nichts geändert. Im Grunde ist der ganze Hype, der jetzt um diese neue Entdeckung gemacht wird, der wird ja praktisch angesogen von dem Originalgemälde. Da profitiert letztlich sie davon, nicht?

Meyer: Und demnächst ab März sollen beide auch nebeneinander zu sehen sein, dann im Pariser Louvre. Wir haben über die zweite "Mona Lisa", die Madrider Variante gesprochen mit Frank Zöllner, Kunsthistoriker an der Universität Leipzig. Herr Zöllner, herzlichen Dank für das Gespräch!

Zöllner: Ja, dafür nicht, danke, tschüss!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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