Madeleine Albright: "Faschismus. Eine Warnung"

Eindringliche Handlungsanweisungen einer Realpolitikerin

Madeleine Albright
"Faschismus. Eine Warnung" - ein Buch frei von plaudernder Nähkästchen-Eitelkeit. © Dumont Verlag/imago/APress
Von Marko Martin · 16.07.2018
Unter Bill Clinton war Madeleine Albright US-Außenministerin. In "Faschismus. Eine Warnung" beschreibt die Politikwissenschaftlerin, wie durch die Missachtung von Institutionen Despotie entsteht. Ein beunruhigendes und zugleich ermutigendes Buch.
Madeleine Albrights Gewährsmann heißt Primo Levi. Die frühere amerikanische Außenministerin hat ihrem Buch "Faschismus. Eine Warnung" dieses Zitat des italienischen Holocaust-Überlebenden vorangestellt:
"Jedes Zeitalter hat seinen eigenen Faschismus." Auf den sich stets wandelnden Charakter faschistischer Bewegungen kommt Madeleine Albright immer wieder zu sprechen – analytisch als Politikwissenschaftlerin, reportagehaft-packend mit der Erfahrung einer ehemaligen Spitzenpolitikerin der Clinton-Administration.
Auch deshalb unterscheidet sich ihr Buch fundamental von den üblichen Verfertigungen elder states(wo)men, ist frei von plaudernder Nähkästchen-Eitelkeit, vor allem aber jenseits jener folgenlos humanistischen Anklage-Rhetorik, die sich wortmächtig an den "neuen Populisten" abarbeitet. Gerade diesen unpräzisen Sammelbegriff nämlich verwirft Albright und weist darauf hin, dass jede politische Bewegung in der Rhetorik zuspitzen muss und damit automatisch partiell "populistisch" wird. Daran sei, solange der politische Wettbewerbscharakter gewahrt bleibe, jedoch noch nichts Schlechtes. Hinzu komme ein weiterer Wahrnehmungsfehler in der gängigen Beschreibung:
"Die Medien verweisen oft auf Wladimir Putin als einen Bannerträger des weltweiten Populismus, obwohl sein innerer Zirkel mehrheitlich aus ehemaligen KGB-Agenten besteht und ihn nichts mehr ärgert als ein Demonstrant mit Megaphon."

Die Männerriege Kim Jong-un, Erdoğan und Orbán

Der Knackpunkt sei hingegen das Institutionenverständnis, welches wiederum auf das Menschenbild führender Politiker schließen lasse. Die Männerriege, die Albright in den konzisen Kurz-Essays ihres Buches beschreibt, mögen sich in unterschiedlicher Nähe zu einem rabiat illiberalen Faschismus befinden; alle indes machen sie keinen Hehl aus ihrem Wahn, die Quasi-Inkarnation "ihres" jeweiligen Volkes zu sein und deshalb institutionelle Checks and balances-Mechanismen bekämpfen zu müssen: Kim Jong-un ("wahrscheinlich der einzige richtige Faschist unter ihnen"), Recep Tayyip Erdoğan, Venezuelas Machthaber Maduro ebenso wie Viktor Orbán mit seinem pseudo-christlichen, essentialistischen Staatsverständnis, das wie selbstverständlich "den Juden George Soros" als identitätsstiftendes Feindbild benötigt.
Freilich geht es bei einigen vorläufig auch ohne Antisemitismus, etwa bei Putin oder Trump. "Was eine Bewegung faschistisch macht, ist nicht die Ideologie, sondern die Bereitschaft, alles zu tun, was nötig ist – einschließlich Gewaltanwendung und der Missachtung der Rechte anderer –, um sich durchzusetzen und Gehorsam zu verschaffen."

Kritik an Trump

Madeleine Albright weist darauf hin, dass dies weniger mit übersteigertem Nationalgefühl zu tun habe als vielmehr mit einem genuinen Hass auf das Einhegende von Gesetzeswerken, welche die Bürger- und Menschenrechte schützen. Mit Blick auf Donald Trump schreibt sie:
"Es ist befremdlich, dass jemand wie dieser Präsident, der sich stets für den Allerbesten hält, blind zu sein scheint gegenüber dem, was das Wichtigste an Amerika ist."
In der Tat macht es schaudern, was die versierte China-Kennerin Albright aus der dortigen Parteipresse zitiert – wahre Lobeshymnen auf Trumps Verachtung der Medien und des Rechtsstaates.
Gerade deshalb hält die Institutionen-Verteidigerin denkbar wenig von mäandernden Klagen über "das" Establishment oder "den" Kapitalismus. Ihr vermeintliches Minimalprogramm, das in der Verteidigung parlamentarischer, justizialer und medialer Unabhängigkeit besteht, klingt jedenfalls bei weitem praktikabler als so manch globalisierungskritische Jeremiade. Es kommt nicht oft vor, dass ein Erinnerungsbuch gleichzeitig als politische Handlungsanweisung taugt, dass noble Gesinnung nicht der Selbstbeweihräucherung dient, sondern Energie freisetzt. Genau das aber ist Madeleine Albright mit ihrem auf strenge Weise ermutigenden Buch gelungen.

Madeleine Albright: "Faschismus. Eine Warnung"
Aus dem Englischen von Bernhard Jenricke und Thomas Wollermann
Dumont Verlag, Köln 2018
320 Seiten, Euro 24,00

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