Made in Bruxelles

Von Sven-Claude Bettinger · 29.11.2008
Generation um Generation bringt Belgien markante Künstler hervor, die nicht nur im eigenen Land, sondern international tonangebend sind. Es genügt, an James Ensor und Fernand Khnopff zu denken, an George Minne oder René Magritte. Joseph Beuys schätzte und förderte Marcel Broodthaers und Jacques Charlier. Heutzutage sind Jan Fabre, Marie-Jo Lafontaine, Luc Tuymans und andere feste Werte auf der Kunstszene. Das Brüsseler Kunstzentrum Wiels zeigt nun unter dem Titel "Un-Scene" Arbeiten von zwei Dutzend Künstlern zwischen 25 und 40 Jahren. Die Kuratoren wählten sie aus 300 anderen aus. Die meisten sind Belgier, drei haben Migrationshintergrund. "Un-Scene", ein Wortspiel, das sich auch als "Un-Seen", nämlich unsichtbar, lesen lässt, gibt zum ersten Mal seit über zehn Jahren einen synthetischen Überblick dieser jüngsten Künstler-Generation. Damit soll ihre weitere Karriere im Ausland gefördert werden.
Plakat und Katalog der Ausstellung "Un-Scene" zeigen ein Raster aus farbigen Streifen, das stark an Piet Mondriaans späte "Boogie Woogie"-Gemälde erinnert. An mehreren Schnittstellen entstehen monochrome Kreuze, ein blaues, ein rotes, ein gelbes. Diese Gestaltung symbolisiert die Kunst, um die sich die Ausstellung dreht, und der Dirk Snauwaert, der Direktor des Kunstzentrums Wiels nicht das Etikett belgisch aufkleben möchte, da es so sinnvoll beziehungsweise unsinnig wie das Etikett deutsche Kunst oder amerikanische Kunst ist:

"Man ist halt ziemlich global, ne. Also diese Form von Vermischung ist ein Phänomen. Und dann wieder die Frage zu stellen: Was ist das meist Typische, Identitärische usw., das hat keinen Sinn. Da kommt man ins Rutschen, und eigentlich bekommt man nur noch Klischees."

Die Künstler sehen das auch so. Benoît Platéus antwortet auf die Frage, ob er einen Bezug zur belgischen Kunst der Vergangenheit sieht:

"Ich hoffe nein. Belgien gefällt mir, ich schätze belgische Künstler. Aber mich interessieren alle Bilder. Ich bin mit dem Kabelfernsehen aufgewachsen, mit Videoclips und Comics. Ich habe die Kulturen der Welt kennengelernt, einschließlich ihrer Unterschiede. Das bereichert mehr als nur ein Land, oder gar nur eine Region."

Eine Schnittmenge zwischen ganz unterschiedlichen Temperamenten, aus unterschiedlichen Städten, Regionen, Ländern, bildet allerdings der Kontext: Brüssel. Das ist kein Zufall, erläutert Dirk Snauwaert:

"Das ist was jetzt seit einem Jahr in der internationalen Presse gehypt wird, Brüssel als die nächste Kunststadt für die aktuellen Künstler, weil es sehr internationale geworden ist, vielsprachig und ziemlich offen. Im Gegensatz zur Politik ist die Kultur sehr unproblematisch. Brüssel ist die Hauptstadt der Welt und des Transdisziplinären."


Viele Künstler arbeiten mit ganz verschiedenen Techniken. So sind vom Duo Aline Bouvy und John Gillis eine aus Bronzekugeln zusammengesetzte, erotische Plastik, ein Bildteppich, der mit Applikationen eine vage Straßenszene zeigt und ein psychedelisches, erotisches Video in Zeichentricktechnik zu sehen. Jimmy Robert, der aus Guadeloupe stammt, hat aus drei flachen Holzkisten und einer Fotocollage eine wuchtige Installation aufgebaut. Darin gibt er eine Performance, die er aufzeichnet. Von dem Video macht er ausgewählte, stark gerasterte Abzüge.
Bei aller technischen Vielfalt springen allerdings die zahlreichen Auseinandersetzungen mit der Malerei ins Auge:

"Das ist nicht unsakral, das zu sagen, dass wir hier im Schatten eines der wichtigsten Maler unserer Zeit sitzen, das ist Luc Tuymans. Mit einem unglaublichen Einfluss. Es war unser Anliegen, um mal zu gucken, ob es diese Schule, diese Luc-Tuymans-Schule, ob es nur das gebe oder viele andere. Und ich finde, dass es erstaunlicherweise auch sehr diverse, heterogene Ansätze gibt, die auch über den Maler-Diskurs sehr provokativ und neu sind."

Vincent Geyskens etwa mokiert sich über den Begriff Stil. Je nach Lust und Laune malt er figurativ-expressive Körper oder lyrisch-abstrakte Kompositionen, dann wieder monochrome gelbe oder graue Bilder. Mal klebt er darauf Holzfurnier oder -folie, mal assembliert er hier und da mit Farbe bespritzte Rahmen. Von Benoît Platéus stammen suggestive, verwirrende Bilder. Hier ist ein japanisch stilisierter Wasserfall erkennbar, dort eine Taube à la Chagall, überall tauchen Sprechblasen mit Comics-Lauten wie "Clac!" oder "Wrrrrooouuummm!" auf. Darunter liegen Rasterstrukturen, dazwischen wimmelt es von nervösen, schwarzen Zeichen. In breiten Streifen, wolkig oder detailbezogen aufgetragene, intensive Farben spiegeln Nähe oder Tiefe vor. Was von weitem wie ein Gemälde aussieht, erweist sich letztlich als digitales C-print. Benoît Platéus erklärt seine Arbeitsweise tiefenpsychologisch:

"Ich mag die Mechanismen der Träume, die Kondensierung von Elementen und ihre beliebige Verknüpfung. Ein Bild kann sehr viele Bedeutungen gleichzeitig haben. Das interessiert mich, insbesondere beim Herstellungsprozess."

So hat jeder dieser jungen Künstler eine unverwechselbare Handschrift. Als Angehörige einer Generation mit spezifischen Merkmalen verstehen sie sich nicht. Und dennoch, auch wenn das ein Klischee sein mag: Suggestive Bilder, Bezüge zu Comics, barocke Übertreibungen, hintergründiger Humor, Selbstspott lassen immer wieder so etwas wie eine belgische Sensibilität durchschimmern, die subtil auf Großmeister der Vergangenheit verweist.