Kommentar zu Macron

Mit Bodentruppen droht man nicht im Alleingang

05:40 Minuten
Emmanuel Macron
Es dürfe nichts ausgeschlossen werden, um einen Sieg Russlands über die Ukraine zu verhindern, sagte der französische Präsident Emmanuel Macron. © picture alliance / abaca / Lemouton Stephane / Pool / ABACA
Ein Kommentar von Eva Marlene Hausteiner · 03.03.2024
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Emmanuel Macron hat mit der Aussage, westliche Bodentruppen in der Ukraine nicht auszuschließen, für Aufregung gesorgt. Frankreichs Präsident hat die Drohung zwar direkt relativiert. Das lässt seine "strategische Ambiguität" aber erst recht scheitern.
Es ist nicht das erste Mal, dass Macron für Wirbel sorgt: Als Staatsoberhaupt in einer präsidentiellen Demokratie, ohne Rechenschaftspflicht gegenüber dem Parlament, kann man offenkundig ganz andere Statements raushauen als ein koalitionär gezähmter Olaf Scholz – man erinnere sich an die Feststellung, die NATO sei „hirntot“. Diese kommunikative Freiheit sollte aber natürlich für politisch plausible Zwecke eingesetzt werden. Was also bezweckt le président?
Auf den ersten Blick ist die Sache eindeutig, und zwar, weil Macron dies auf derselben Pressekonferenz selbst formuliert hat: In der Auseinandersetzung mit Putins Russland gelte das Gebot der „strategischen Ambiguität“. Mit anderen Worten: Wer den Einsatz eines Machtmittels von vorneherein öffentlich ausschließt, zieht im konfliktiven Kräftemessen den Kürzeren – selbst dann, wenn er insgeheim einen solchen Einsatz für undenkbar hält. Deshalb: Stets kommunizieren, man sei zu allem bereit. Man muss die vermeintliche Drohung also nicht unbedingt ernst nehmen – wobei man sich mit Recht fragen kann, welches strategische Kalkül empfiehlt, die eigenen Drohgebärden sogleich als rein strategisch zu relativieren. Trotzdem rief die Pressekonferenz scharfe Kritik hervor, auch vom deutschen Bundeskanzler.

Ängste vor Eskalation

Die deutlichsten Verurteilungen stammen von jenen, die schon lange eine Eskalation des Krieges befürchten. Und es stimmt ja: Wer mit eigenen bewaffneten Truppen in einen Konflikt eingreift, wird völkerrechtlich zur Kriegspartei. Gewarnt wird vor den angenommenen Folgen eines solchen Rollenwechsels: In den Augen des Kremls sei damit dann auch ein direkter Angriff auf NATO-Staaten erlaubt. Das Völkerrecht aber widerspricht dem – ein Konflikteinsatz zur Verteidigung der Ukraine gegen einen illegalen Krieg macht einen Gegenangriff mitnichten legitim.
Die Befürchtung scheint eher darin zu liegen, dass die NATO Putin einen plausiblen Vorwand für die weitere Eskalation liefert: Tatsächlich, in seiner Rede zur „Lage der Nation“ am Donnerstag hat Putin mit Atomkrieg gedroht – wieder einmal; wir kennen das von früheren Anlässen wie der Lieferung von Helmen, dann Panzern, dann Raketen. Für Gewaltherrscher, so kann man spekulieren, macht es womöglich nicht den entscheidenden Unterschied, was das Völkerrecht sagt. Das ist keine Entwarnung, vielmehr: Eskalation droht immer.

Sorge um eigene Bürger

Ein zweiter, tiefer liegender Grund für die Aufregung spielt wohl eine noch größere Rolle. Die Vorstellung, eigene Truppen in den Krieg zu schicken, ist aus westlicher Perspektive von enormer symbolischer Sprengkraft – einer Sprengkraft mit einer langen Ideengeschichte. Braucht eine Republik, also ein freier Staat, ein stehendes Heer, das heißt eigene Bürger, die im Kriegsfall mit Leib und Leben buchstäblich Gewehr bei Fuße stehen? Die Antwort für Denker wie Machiavelli – bekanntlich Machttheoretiker und Verfechter republikanischer Freiheit – lautete: Ja; Bürgerheere machen eine Republik nicht nur sicherer, sondern festigen auch die bürgerlichen Tugenden.
Solche Argumente sind aber schon länger nicht mehr en vogue: Die Verheerungen der Weltkriege, aber auch die Desaster etlicher US-Armee-Einsätze wie in Vietnam haben den Imperativ der boots on the ground fast schon zum Prohibitiv gemacht. Bodentruppen mögen effektive Kriegsführung ermöglichen – sie gelten aber in vielen liberalen Demokratien in einem existenziellen Sinne als zu kostspielig. Das ist nüchtern betrachtet erstaunlich, denn auch hohe Militärausgaben verlangen einer Demokratie und letztlich ihren Bürgerinnen und Bürgern hohe, für manche sehr hohe Opfer ab.

Nur ein weiterer Schritt – oder ein Gamechanger?

Sowohl die Angst vor Kriegseskalation als auch die Warnung vor zu hohen menschlichen Kosten verdecken also, dass die Gefahr längst groß, die Opfer längst groß sind. In der öffentlichen Wahrnehmung ist ein Truppeneinsatz aber nun einmal mehr als schlicht ein weiterer Schritt, sondern ein Gamechanger – und das muss auch Macron wissen. Er wendet sich nicht nur an Putin, sondern an die demokratischen Völker Europas, und in Demokratien gilt: Politische Kommunikation beinhaltet außenpolitische Strategie und innenpolitische Folgenabschätzung.
Aus Sicht eines Kommunikationsprofis wie Emmanuel Macron sollte daher klar sein: Strategische Ambiguität funktioniert in einer Demokratie nicht im Alleingang – ist der Aufschrei zu groß, geht der Schuss nach hinten los.
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