Machtworte in der Politik

Von Peter Zudeick |
"Das ist das Ende. Der Kanzler hat ein Machtwort gesprochen, und keiner hält sich dran." Vor ziemlich genau zehn Jahren, Ende August 1997, waren Presse, Funk und Fernsehen voll von diesen Tönen. Es ging um Helmut Kohl, dessen rapider Autoritätsverlust als Zeichen für den endgültigen Anfang vom Ende der Ära Kohl gewertet wurde.
Der Anlass war nichtig: Kohl hatte nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub erklärt, er werde sein Kabinett nicht umbilden. Damit wiederholte er zwar nur, was er ein halbes Jahr vorher und kurz vor Antritt seines Urlaubs schon einmal gesagt hatte. Trotzdem hatte es eine lange und heftige Sommerlochdebatte gegeben, die Kohl beenden wollte. Ohne Erfolg, denn die jungen CDU-Landesvorsitzenden – Christian Wulff, Peter Müller, Roland Koch – dachten gar nicht daran, den Streit aufzugeben, den sie vom Zaun gebrochen hatten.

Das Merkwürdige daran: Eigentlich hatte Kohl gar kein Machtwort sprechen wollen, das war nie seine Art. Kohl hat bei Konflikten – in der Partei, in der Fraktion, in der Koalition – entweder solange gewartet, bis sich eine Lösung herauskristallisierte, um sich mutig an die Spitze des Fortschritts zu setzen. Oder solange, bis gar nichts mehr ging, um die Sache zur Chefsache zu erklären. Und dann hat er im kleinen Kreis eine Lösung ausgekungelt. "Chefsache" ist die Vorstufe zum "Machtwort".

Gerhard Schröder hat wie vieles andere auch diese Taktik von Kohl abgekupfert. Und er hat die Methode verfeinert. Er ließ sein Kabinett rumwurschteln, auch rumzanken, und wenn es so aussah, als ginge nichts mehr, dann lud er spätabends zu einem Gespräch ins Kanzleramt. Natürlich hätte man auch tagsüber Konflikte bereinigen können, aber das hätte für die Medien, vor allem die Bild-Medien, zu wenig Dramatik gehabt. Irgendwie sah es immer so aus, als hätte der Kanzler das Ruder im letzten Augenblick herumgerissen. Als hätte er ein "Machtwort" gesprochen.

Daran muss er irgendwann selbst geglaubt haben. Das war der Zeitpunkt, als er zum ersten Mal "Basta" sagte und damit zeigte, dass es ihm längst nicht mehr darum ging, die eigenen Leute von Inhalten zu überzeugen, sondern davon, dass man dringend an der Macht bleiben muss. Dummerweise verbraucht sich so was ganz rapide. Die "Basta"- und "Machtwort-Politik" musste zur Droh- und Erpressungspolitik gesteigert werden bis hin zu der theatralischen Aufforderung an das deutsche Volk, ihn doch bitte abzuwählen.

Angela Merkel hat von beiden Vorgängern viel gelernt. Vor allem, dass es ziemlich unsinnig ist, "Machtworte" zu sprechen. Einmal hat sie es andeutungsweise getan. Beim Streit um den Vorschlag von Jürgen Rüttgers, mehr Geld an ältere Arbeitslose zu zahlen. Nach langem Gezerre erklärte sie, dass dies erstens geltende Beschlusslage der CDU sei und dass sie den Vorschlag zweitens für richtig hält. Das war echter Helmut Kohl. Lange warten, dann erklären, dass der Streit gar kein Streit ist, und Position für denjenigen beziehen, den man für den Stärkeren hält. Mehr Machtwort ist von ihr kaum zu erwarten, denn sie weiß: Das wäre kontraproduktiv und gefährlich.

Kurt Beck weiß das auch. Deshalb hat auch er lange gewartet und erst dann losgepoltert, als es ihm unausweichlich erschien. Und es sieht im Moment so aus, als wären viele erleichtert, dass er endlich mal was gesagt hat. Bloß: Was hat das mit "Machtwort" zu tun? Was ist das überhaupt? Offensichtlich etwas, was von Menschen in Führungspositionen erwartet oder gar gefordert wird. Das Publikum, allen voran eine bestimme Art von Presse, möchte Machtworte hören. Die sind aber kaum mehr als Ausdruck der Tatsache, dass nicht der Macht des Arguments vertraut wird, sondern der Macht des einen Wortes, das keineswegs Inhalte transportieren, sondern selbst nur Ausdruck der Macht sein soll.

Merkwürdig, dass Menschen in einer Demokratie so wild darauf sind, Machtworte zu hören. Zumal doch jeder wissen könnte, dass es sich letztlich um Zirkusveranstaltungen handelt. Welche Macht könnte Kurt Beck haben, die er mit einem starken Wort, eben dem Machtwort, signalisieren kann? Er hat keine Ämter und Pfründe zu verteilen, wenn man von Parteiämtern einmal absieht. Aber wen schert das schon? Er kann niemandem etwas wegnehmen, er kann mit nichts drohen außer damit, die Brocken hinzuschmeißen. Eine solche Drohung ist beim ersten Mal schon zu viel. Das hat Gerhard Schröder bitter erfahren müssen.

Angela Merkel geht es ähnlich. Zwar hat sie möglicherweise Einfluss auf Parteikarrieren. Aber selbst der ist einigermaßen übersichtlich. Da geht ohne die Landesfürsten fast nichts. In der Koalition hat sie symbolische Macht, die aber als Drohpotenzial wenig taugt. Das weiß sie, und deshalb moderiert sie überwiegend und erweckt gar nicht erst den Eindruck, dass sie regiert.

Helmut Kohl war der letzte Kanzler, der noch Macht im engeren Sinne hatte. Aber auch diese Macht war geliehen. Er hatte sie von seinen Vasallen, von der Parteibasis, der eigenen Funktionärskaste, den Landesverbänden, die er immer wieder durch kleine oder größere politische Geschenke bei Laune halten musste. Damit sie ihm die Macht nicht wieder wegnahmen. "Macht" in dem Sinne, wie die "Machtwort"-Führer und "Machtwort"-Forderer sie meinen, gibt es vielleicht in den Vorstandetagen von Großunternehmen, die die Welt beherrschen. Im Kanzleramt, im Kabinett, in den Parteizentralen wird lediglich ein feines Gespinst von politischen Interessen zusammengehalten. Mal mehr, mal weniger. Besonders wenig dann, wenn "Machtworte" gesprochen werden.

Dr. Peter Zudeick, langjähriger Korrespondent in Bonn und jetzt in Berlin, Buchveröffentlichungen u.a. "Der Hintern des Teufels. Ernst Bloch - Leben und Werk", "Alternative Schulen" und "Saba - Bilanz einer Aufgabe".