Machtspiele und Mutproben im Wald

Von Jörg Taszman |
Eine Studie über Adoleszenz - und zugleich eine subtiler Horrorthriller: Der Debütfilm der französischen Regisseurin Géraldine Bajard zeigt eine Gruppe von Jugendlichen und ihre spannungsreichen Erlebnisse im Wald.
Es ist ein Spiel, das den Jugendlichen der Siedlung Beauval zu einem Ritual geworden ist. Wenn die Clique gemeinsam im Wald ist, bilden Jungs und Mädchen einen Kreis und Cédric der Anführer gibt die nächste Aufgabe vor.

Passt auf. Für die, die es immer noch nicht kapiert haben, Ihr Mädchen, Ihr versteckt euch, und wir Jungs, wir suchen. Und wenn wir eine finden, geben wir ihr einen Zungenkuss oder mehr wenn’s nötig ist. Also Leute, wenn ihr heiß drauf seid, dann jetzt oder gar nicht…
Eins, zwei, drei, vier…


Der Wald spielt vor allem nachts eine wichtige Rolle für die Jugendlichen. Er ist der Ort der Machtspiele und Mutproben. Die Stimmung zwischen den Jungs und Mädchen ist auch sexuell aufgeladen. Der Wald steht so auch als Metapher für unterdrückte Triebe und ungefilterte Lust. Die Regisseurin Géraldine Bajard wollte ganz bewusst die latenten Drohungen noch in den kleinsten Einzelheiten sichtbar machen. So kontrastiert die sterile Welt der Neubausiedlung Beauval, die vor allem von den Erwachsenen geschätzt wird, mit der zerstörerischen Wut der Jugend, die es in die Dunkelheit und in den Wald treibt. Mittendrin in diesen zwei Welten steht Francois, ein junger Arzt, der eine Praxis in der Siedlung übernimmt. Vor allem die Mädchen der Clique sind von dem gutaussehenden jungen Mann beeindruckt.

Und wenn er eine Farbe wär ?
Wär er rot!
Und wenn er eine Blume wär?
(lachen) Eine Rose.
Meint ihr, er hat ne Freundin?
Ich glaube eher nicht. Er trägt keinen Ehering.
Wie alt schätzt du ihn?
Schon über 30…
Er ist schon etwas schüchtern. Er hat mich neulich bei dem Besuch überhaupt nicht angesehen.
Und du, wie findest Du ihn?
Ich weiß nicht normal.
Dir kann man es nie Recht machen.
Er ist super süß. Er hat so das gewisse Etwas. So wie so ein Filmstar.


Melvil Poupaud - einer der charismatischsten, jüngeren französischen Schauspieler der letzten Jahre, bekannt aus Filmen von Francois Ozon, spielt diesen Francois. Er übt auf die jungen Mädchen einen großen Reiz aus. Alle täuschen Krankheiten vor, damit er ihnen einen Hausbesuch abstattet.

Also letztes Mal hat er mir die Hand auf den Bauch gelegt. Etwa so,wow.
Ich werd ihn heute zu mir nach Hause bestellen. Wegen Halsschmerzen oder so.


Die pubertierenden Jungs um Cédric reagieren gereizt auf die Popularität von Francois bei den Mädchen der Clique. Die Stimmung in der Siedlung wird explosiver. Bei den immer sinnloseren und gefährlicheren Provokationen im Wald an einer Fernstraße, kommt es dann zu einer Tragödie. Das löst dramatische Ereignisse aus, die das Leben des Arztes zunehmend bedrohen. Cédric und seine Bande streifen um das Haus von Francois.

Er ist noch wach.
Er hat Angst.


Der Genremix zwischen "Coming of Age Film", einer Studie über Adoleszenz, und subtilem Horrorthriller mit jeder Menge Mystik geht nicht immer auf. Dennoch beeindruckt der etwas zu künstliche Film durch seine bedrohliche Grundstimmung. Bei aller Intellektualität ruft er doch starke Emotionen wach und zwingt den Betrachter geradezu in eine Ratlosigkeit, die auch fasziniert.

"La Lisière - Am Waldrand" gehört zu den Filmen, die nachwirken, die man nicht vergisst. Man kann es schätzen, dass dieses ebenso einfache wie anstrengende Stück Kino den etwas zu glatten Filmen, die derzeit im Arthousebereich reüssieren, etwas Rohes und Sinnliches entgegensetzt.