Machtpolitiker des Mittelalters

20.10.2011
Friedrich Barbarossa, der sagenumwobene Kaiser der Deutschen Reiches, war im 19. Jahrhundert Projektionsfigur für die nationale Sehnsucht der Deutschen. Knut Görich befreit ihn vom Mythos und untersucht die Strukturen, in denen er gewirkt hat.
Es gibt zwei Barbarossas: den faktischen (1122-1190) und den fiktiven des 19. und 20. Jahrhunderts. Knut Görichs Barbarossa-Biografie des hochmittelalterlichen Kaisers besticht durch ihre über 660 Textseiten konsequent durchgehaltene saubere Trennung der beiden Barbarossas unserer Geschichte.

Das mythische Barbarossa-Konstrukt entstand als Reaktion auf Napoleons Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Jahre 1806 und die Niederlagen gegen Napoleon sowie die fortbestehende Zerstückelung Deutschlands in über 30 souveräne Teilstaaten. Die Sehnsucht nach einem geeinten starken deutschen Nationalstaat trieb im 19. Jahrhundert immer groteskere Blüten. Der angeblich nie gestorbene, im Kyffhäuser vor sich hin schlummernde Barbarossa wurde zum inbrünstig ersehnten Erlöser stilisiert, der als politischer Messias Deutschland die Auferstehung bringen sollte.

Diese mythische Geschichte reicht bis zum "Unternehmen Barbarossa", als Hitler beim Überfall auf die Sowjetunion 1941 versuchte, Barbarossa als den siegreichen deutschen Kriegsgott einzusetzen. Im Verlauf seiner chronologischen Darstellung der real fassbaren Politik des Stauferkaisers zieht Görich an den Schnittstellen, an denen später die nationalistische Instrumentalisierung das Barbarossabild entstellt hat, stets sachlich und engagiert sehr sauber die Trennungslinie zwischen Fakt und Fiktion.

Knut Görich, der das verfügbare Quellenmaterial stets aus der erforderlichen kritischen Distanz heraus mit feinem Gespür für die Obertöne von offiziellen Dokumenten prüft und deutet, kommt letztlich zu der Erkenntnis, dass man über den Menschen und Machtpolitiker Barbarossa sehr wenig in Erfahrung bringen kann. Dieser deutsch-römische Kaiser war Analphabet, beherrschte auch nicht die lateinische Sprache, das damalige Instrument der diplomatischen Machtausübung. Aus der in seiner Zeit wichtigen Sprache der Symbole und der rituellen Inszenierungen erschließt sich dieser uns in vielem sehr fremde Kaiser eher indirekt.

Der Schlüssel zum Verständnis von Barbarossa liegt, wie Görich an vielen Beispielen zeigt, in dem Begriff der Ehre. Wenn irgendein Kontrahent nördlich oder südlich der Alpen, wie zum Beispiel die Stadt Mailand, die Ehre des Kaisers und des von ihm durch göttliches Mandat beherrschten Reiches verletzte, dann reagierte Barbarossa so gnadenlos barbarisch wie Hitler, sodass man als Leser im Angesicht der von Barbarossa dann angeordneten Grausamkeiten Albträume bekommt.

Nur stieß Barbarossa immer wieder an seine Grenzen, er war auf den Konsens der wichtigsten Reichsfürsten angewiesen und war gezwungen, sich auf der politischen Bühne auch als christlicher Herrscher zu inszenieren und gewährte dann gelegentlich denjenigen Kontrahenten, die sich in aller Öffentlichkeit vor ihm erniedrigten, großmütig Gnade.

Barbarossas Konflikt mit dem Papsttum schildert Görich sehr anschaulich auch als Balanceakt, in dem es nicht nur um die Demonstration der eigenen Macht ging, sondern auch um die vom Gegenspieler geforderte - für heutige Verhältnisse kindisch anmutende - öffentliche Ehrerweisung.

Dadurch, dass Knut Görich die Mechanismen von Barbarossas politischem Handeln mit größtmöglicher Objektivität im Kontext seiner Epoche vor den Augen der Leser sichtbar macht, versetzt er sie in die Lage, in der Figur dieses Kaisers und seiner Mit- und Gegenspieler Strukturen zu erkennen, die auch in unserer Zeit virulent sind. Görichs Barbarossa Biografie ist ein Meisterwerk der Historiografie.

Besprochen von Hans-Jörg Modlmayr

Knut Görich: Friedrich Barbarossa. Eine Biografie
C. H. Beck Verlag 2011
772 Seiten mit 50 Abbildungen und 11 Karten
Euro 29,95