Machtmissbrauch an Theatern

Asymmetrische Konfliktlinien

08:35 Minuten
Das Zeichen eines Ein-/Ausschaltknopfes ist über der Berliner Volksbühne angebracht.
Auch an der Volksbühne in Berlin werden Machtverhältnisse in Frage gestellt. © picture alliance / dpa / Annette Riedl
Elena Philipp im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 06.05.2021
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Die Vorwürfe zu Mobbing, Diskriminierung und Machtmissbrauch an deutschen Theaterhäusern häufen sich. Elena Philipp, Redakteurin beim Online-Feuilleton "nachtkritik", begrüßt die entstandene Debatte. Das Theater stehe vor großen und wichtigen Fragen.
Die Debatte über Machtverhältnisse an deutschen Theatern hat Fahrt aufgenommen. Im Raum stehen oft Vorwürfe über einschüchterndes und offen aggressives Verhalten von Intendanten und Regisseuren gegenüber Schauspielern oder Tänzern. Deutschlandfunk Kultur hat in den vergangenen Wochen unter anderem über die Fälle am Schauspielhaus Düsseldorf und am Maxim Gorki Theater in Berlin berichtet.
Auf den ersten Blick könne man den Eindruck bekommen, dass die Diskussionskultur zu heiß gelaufen sei, sagt Elena Philipp, Redakteurin beim Theaterkritik-Portal "nachtkritik.de", und Mitherausgeberin des Buchs "Theater und Macht – Beobachtungen am Übergang" der Heinrich-Böll-Stiftung. Denn in den sozialen Medien und in den Kommentaren ginge es bisweilen sehr erregt zu.

Offenheit statt Stellungskrieg

"Ich sehe das als ganz gesunden Streit. Denn es geht ja darum, dass sich im Theater etwas verändern soll. Es geht um große Fragen: Was bedeutet Rassismus? Wie kann man dem entgegenwirken? Wie kann man die sexistische Kultur, die an manchen Häusern herrscht, durchbrechen? Dass es da mitunter wild und laut und nicht eingehegt zugeht, finde ich nachvollziehbar, denn es geht ja für alle Seiten um emotionale Erfahrungen."
Um innerhalb der Debatte eine Balance zu finden, müssten diejenigen, die sich mit Vorwürfen konfrontiert sähen, Offenheit für die andere Seite aufbringen, fordert Philipp. Das aber sehe sie beispielsweise bei den Texten von Bernd Stegemann, der sich in Beiträgen in der "FAZ" und ZEIT" zu dem Thema geäußert hat, kaum. Da werde selbst vollzogen, was eigentlich angeprangert werde, in dem man die "Spitzen der Erregung" und "aus dem Kontext gerissene Zitate" abbilde.
Es sei besser in dem bemängelten "Stellungskrieg" nicht selbst Position zu beziehen, sondern sich beispielsweise an dem Umgang des Schauspielhauses Düsseldorf mit dem Thema zu orientieren, so Philipp. Dort habe man sich nach langen Diskussionen entschieden, zusammen weiterzumachen und den begonnenen Prozess der Diversifizierung und Sensibilisierung gegenüber Diskriminierung fortzusetzen und gemeinsam in der Verantwortung zu bleiben.

Hierarchien prägen die Konflikte

Die Beschäftigung mit Machtfragen an Theatern habe zu den Arbeiten an dem Band "Theater und Macht – Beobachtungen am Übergang" geführt, den die Heinrich-Böll-Stiftung zusammen mit dem Portal "nachtkritik.de" herausgegeben hat.
"Dieses Thema begleitet den Theaterbetrieb und diejenigen, die ihn beobachten, schon seit langer Zeit, und es wurde jetzt mit #Metoo oder #Black Lives Matter an die Oberfläche gespült. Diese Konflikte schwelen aber schon sehr lange. Schauspieler ermächtigen sich selbst, sich für bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen."
In diesen Konflikten gebe es hierarchisch bedingte Asymmetrien, weil die meisten Schauspieler mit befristeten Verträgen arbeiteten und leicht kündbar seien. Sie stünden also in einer schwächeren Position gegenüber denjenigen, gegen die sie sich wendeten.
Es sei aber keineswegs so, dass es an den Theatern nur noch Skandale gäbe. Bei der Arbeit an ihrem Buch habe sie festgestellt, dass es sehr viele gute Beispiele gäbe, sowohl was Ansätze des Deutschen Bühnenvereins beträfe, als auch Initiativen von unten wie von der Initiative Ensemble-Netzwerk.

In Folge 35 des Theaterpodcasts im Deutschlandfunk Kultur mit Susanne Burkhardt und Elena Philipp können sie mehr zu diesem Thema hören.

(rja)
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