Macht-Verfall
Klar ist bis heute nur dies: Der Bundeskanzler und der SPD-Vorsitzende haben ihren Überraschungscoup nicht vom Ende her bedacht. Ja, die Erklärungen am Abend der Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen, sie strebten Neuwahlen an, haben geholfen, die öffentliche Aufmerksamkeit weg von Düsseldorf und hin nach Berlin zu lenken.
Aber auch in der Bundeshauptstadt erzielte der Befreiungsschlag nur für kurze Zeit die gewünschte Wirkung. Bundeskanzler Gerhard Schröder ist nicht mehr Herr des Verfahrens. Im Gegenteil: In geradezu atemberaubender Geschwindigkeit verfallen Macht und Autorität des Kanzlers, seiner Regierung und seiner Partei.
Nur für kurze Zeit beherrschten CDU und CSU die Schlagzeilen. Wie selbstverständlich wurde Angela Merkel als Kanzlerkandidatin gekürt und überflügelte Gerhard Schröder innerhalb weniger Tage in den Meinungsumfragen. Die wahrscheinliche Regierung von morgen ist bisher selber nicht gefordert. Sie kann sich in Ruhe auf den Wahlkampf vorbereiten, während die jetzigen Koalitionspartner, vor allem die Sozialdemokraten, nichts auslassen, um die eigenen Zukunftsaussichten zu verdüstern.
Gerhard Schröder und Franz Müntefering hatten mit ihren Ankündigungen, sie wollten Neuwahlen ermöglichen, die Rechnung ohne den Wirt, nämlich den Bundespräsidenten, gemacht. Die öffentlichen Erklärungen haben es dem heutigen Bundespräsidenten Horst Köhler nicht erleichtert, das Spiel einer inszenierten Niederlage des Kanzlers im Parlament mitzuspielen. Und dennoch spricht die Eigendynamik des Verfallsprozesses dafür, dass in drei Wochen, wenn der Kanzler die Vertrauensfrage stellen will, das Vertrauen in seine Führungsfähigkeit tatsächlich geschwunden ist. Die Inszenierung droht zur Wirklichkeit zu werden. Ja, eine mehrheitliche Zustimmung zum Kurs des Kanzlers wäre kaum noch glaubhaft.
Gerhard Schröder erlebt eine Situation, die seine beiden sozialdemokratischen Vorgänger, Willy Brandt und Helmut Schmidt, ebenfalls durchlitten haben. Willy Brandt musste zwei Jahre nach seinem glänzenden Wahlerfolg zurücktreten. Der Spion Guillaume lieferte nur den Anlass. Der Widerstand in seiner eigenen Partei und die Maßlosigkeit der Gewerkschaften, vor allem das Tarifdiktat des damaligen ÖTV-Vorsitzenden Kluncker, haben dem Kanzler die Handlungsfähigkeit genommen. Und Helmut Schmidt scheiterte nicht nur an den treulosen Liberalen, die den sozialdemokratischen Kanzler stürzten. Dem war der Verlust der Macht in der eigenen Partei vorausgegangen. Oskar Lafontaine hat einen mindest so hohen Anteil am Sturz Helmut Schmidts wie Otto Graf Lambsdorff. Und es sind auch heute wieder die Linken in der SPD, die den Kurs des Kanzlers, die Reformagenda 2010, ändern wollen. Oskar Lafontaine greift den Kanzler diesmal von außerhalb der SPD, mit Hilfe der PDS, an. Der Nutzen für ein Linksbündnis ist zweifelhaft, der Schaden für die SPD ist garantiert.
Man darf Gerhard Schröder glauben, dass er seine Reformpolitik fortsetzen möchte. Aber ebenso wahr und klar ist, dass die Linken in der SPD und eine linke Alternative eine andere Politik wollen. SPD-Chef Franz Müntefering hat bislang vergeblich den Spagat versucht, zugleich die Politik des Kanzlers zu unterstützen und mit öffentlicher Kapitalismuskritik die innerparteilichen Kritiker zu versöhnen. Die Widersprüche bleiben, sollte Gerhard Schröder die SPD in den Wahlkampf führen. Alle Spekulationen über die Wege zu Neuwahlen und die Strategie des Kampfes um Stimmen sind Ausdruck der Widersprüche, die durch keine Rhetorik zu beseitigen sind. Mit Gerhard Schröder und gegen seine Reformpolitik lässt sich kein erfolgreicher Wahlkampf führen.
Die Menschen spüren, dass dem Kanzler Macht und Autorität entgleiten. Die Warnungen vor einer schwarzen Republik belegen nur, dass die derzeit Regierenden den Kampf bereits verloren gegeben haben. Sie stellen sich auf die Opposition ein und nehmen vorweg, dass Angela Merkel im Herbst die Bundesregierung führen wird. Doch auch das Schreckgespenst einer schwarzen Republik wirkt beim zweiten Nachdenken nicht überzeugend. Es ist nicht lange her, da war die Republik rot gefärbt. In den ersten Jahren der Regierung Schröder kam mit Johannes Rau ein Sozialdemokrat ins höchste Staatsamt. Die Mehrheit in der Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten wählt, spiegelt die Mehrheitsverhältnisse im Bund und in den Ländern. Damals wurden viele Bundesländer, die heute von einem christdemokratischen Ministerpräsidenten geführt werden, von Sozialdemokraten geführt: Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen, das Saarland und Sachsen-Anhalt. An der Spitze des Bundesverfassungsgerichts stand eine profilierte Sozialdemokratin. Präsident des Deutschen Bundestages schließlich ist seit 1998 ein stellvertretender SPD-Vorsitzender.
Es gibt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Beispiele für Farben-Gleichheit im Bund und in den Ländern und für unterschiedliche Mehrheiten. Die viel beklagte Blockade durch den Bundesrat lässt sich nur auflösen, wenn auch die Bundesregierung von den Unionsparteien geführt wird. Denn die Unionsmehrheit im Bundesrat wird sich in den nächsten Jahren nicht ändern. Deshalb kann die SPD nicht überzeugend gleichzeitig für klare Verhältnisse und gegen eine schwarze Republik kämpfen.
Der Kanzler und der SPD-Vorsitzende haben vor drei Wochen mit ihrem Neuwahl-Coup nur für ein paar Stunden den politischen Gegner verwirrt. Mit jedem Tag wird offenbar, dass ihre eigene Partei nicht vorbereitet und nicht gerüstet ist. Ein Zurück gibt es nicht, ja, es ist wie beim Roulette: Nichts geht mehr.
Nur für kurze Zeit beherrschten CDU und CSU die Schlagzeilen. Wie selbstverständlich wurde Angela Merkel als Kanzlerkandidatin gekürt und überflügelte Gerhard Schröder innerhalb weniger Tage in den Meinungsumfragen. Die wahrscheinliche Regierung von morgen ist bisher selber nicht gefordert. Sie kann sich in Ruhe auf den Wahlkampf vorbereiten, während die jetzigen Koalitionspartner, vor allem die Sozialdemokraten, nichts auslassen, um die eigenen Zukunftsaussichten zu verdüstern.
Gerhard Schröder und Franz Müntefering hatten mit ihren Ankündigungen, sie wollten Neuwahlen ermöglichen, die Rechnung ohne den Wirt, nämlich den Bundespräsidenten, gemacht. Die öffentlichen Erklärungen haben es dem heutigen Bundespräsidenten Horst Köhler nicht erleichtert, das Spiel einer inszenierten Niederlage des Kanzlers im Parlament mitzuspielen. Und dennoch spricht die Eigendynamik des Verfallsprozesses dafür, dass in drei Wochen, wenn der Kanzler die Vertrauensfrage stellen will, das Vertrauen in seine Führungsfähigkeit tatsächlich geschwunden ist. Die Inszenierung droht zur Wirklichkeit zu werden. Ja, eine mehrheitliche Zustimmung zum Kurs des Kanzlers wäre kaum noch glaubhaft.
Gerhard Schröder erlebt eine Situation, die seine beiden sozialdemokratischen Vorgänger, Willy Brandt und Helmut Schmidt, ebenfalls durchlitten haben. Willy Brandt musste zwei Jahre nach seinem glänzenden Wahlerfolg zurücktreten. Der Spion Guillaume lieferte nur den Anlass. Der Widerstand in seiner eigenen Partei und die Maßlosigkeit der Gewerkschaften, vor allem das Tarifdiktat des damaligen ÖTV-Vorsitzenden Kluncker, haben dem Kanzler die Handlungsfähigkeit genommen. Und Helmut Schmidt scheiterte nicht nur an den treulosen Liberalen, die den sozialdemokratischen Kanzler stürzten. Dem war der Verlust der Macht in der eigenen Partei vorausgegangen. Oskar Lafontaine hat einen mindest so hohen Anteil am Sturz Helmut Schmidts wie Otto Graf Lambsdorff. Und es sind auch heute wieder die Linken in der SPD, die den Kurs des Kanzlers, die Reformagenda 2010, ändern wollen. Oskar Lafontaine greift den Kanzler diesmal von außerhalb der SPD, mit Hilfe der PDS, an. Der Nutzen für ein Linksbündnis ist zweifelhaft, der Schaden für die SPD ist garantiert.
Man darf Gerhard Schröder glauben, dass er seine Reformpolitik fortsetzen möchte. Aber ebenso wahr und klar ist, dass die Linken in der SPD und eine linke Alternative eine andere Politik wollen. SPD-Chef Franz Müntefering hat bislang vergeblich den Spagat versucht, zugleich die Politik des Kanzlers zu unterstützen und mit öffentlicher Kapitalismuskritik die innerparteilichen Kritiker zu versöhnen. Die Widersprüche bleiben, sollte Gerhard Schröder die SPD in den Wahlkampf führen. Alle Spekulationen über die Wege zu Neuwahlen und die Strategie des Kampfes um Stimmen sind Ausdruck der Widersprüche, die durch keine Rhetorik zu beseitigen sind. Mit Gerhard Schröder und gegen seine Reformpolitik lässt sich kein erfolgreicher Wahlkampf führen.
Die Menschen spüren, dass dem Kanzler Macht und Autorität entgleiten. Die Warnungen vor einer schwarzen Republik belegen nur, dass die derzeit Regierenden den Kampf bereits verloren gegeben haben. Sie stellen sich auf die Opposition ein und nehmen vorweg, dass Angela Merkel im Herbst die Bundesregierung führen wird. Doch auch das Schreckgespenst einer schwarzen Republik wirkt beim zweiten Nachdenken nicht überzeugend. Es ist nicht lange her, da war die Republik rot gefärbt. In den ersten Jahren der Regierung Schröder kam mit Johannes Rau ein Sozialdemokrat ins höchste Staatsamt. Die Mehrheit in der Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten wählt, spiegelt die Mehrheitsverhältnisse im Bund und in den Ländern. Damals wurden viele Bundesländer, die heute von einem christdemokratischen Ministerpräsidenten geführt werden, von Sozialdemokraten geführt: Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen, das Saarland und Sachsen-Anhalt. An der Spitze des Bundesverfassungsgerichts stand eine profilierte Sozialdemokratin. Präsident des Deutschen Bundestages schließlich ist seit 1998 ein stellvertretender SPD-Vorsitzender.
Es gibt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Beispiele für Farben-Gleichheit im Bund und in den Ländern und für unterschiedliche Mehrheiten. Die viel beklagte Blockade durch den Bundesrat lässt sich nur auflösen, wenn auch die Bundesregierung von den Unionsparteien geführt wird. Denn die Unionsmehrheit im Bundesrat wird sich in den nächsten Jahren nicht ändern. Deshalb kann die SPD nicht überzeugend gleichzeitig für klare Verhältnisse und gegen eine schwarze Republik kämpfen.
Der Kanzler und der SPD-Vorsitzende haben vor drei Wochen mit ihrem Neuwahl-Coup nur für ein paar Stunden den politischen Gegner verwirrt. Mit jedem Tag wird offenbar, dass ihre eigene Partei nicht vorbereitet und nicht gerüstet ist. Ein Zurück gibt es nicht, ja, es ist wie beim Roulette: Nichts geht mehr.