Ausstellung "Macht! Licht!" in Wolfsburg

Wo Licht ist, ist auch Schatten

05:28 Minuten
Eine Frau schaut auf ein Kunstwerk von Mario Merz mit dem Titel "Objet cache-toi" (Objekt versteck dich). Mit Holzwolle gefüllte Leichensäcke, die zu einem Iglu geformt sind.
Auch Mario Merz' Kunstwerk "Objet cache-toi" (Objekt versteck dich) aus mit Holzwolle gefüllten Leichensäcken ist in Wolfsburg zu sehen. © picture-alliance/ dpa | Oliver Krato
Von Anette Schneider · 12.03.2022
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Die Ausstellung "Macht! Licht!" im Kunstmuseum Wolfsburg beschäftigt sich mit der Ambivalenz von elektrischem Licht: Es erleichtert unseren Alltag, ist aber auch seit jeher ein Instrument, um Machtinteressen durchzusetzen.
Die gesamte Ausstellungshalle wird ausschließlich von farbigen Lichtinstallationen, Lichtskulpturen, Neonarbeiten und teils riesigen Neonschriftzügen beleuchtet. Sie sind es, die hier Licht ins Dunkel bringen. Und wie!
Mitten in der Ausstellung versperren zwei übermannshohe, widerlich pink leuchtende Lichtgitter den Durchgang. Das Licht, das Fleischer verwenden, um ihre Ware frisch aussehen zu lassen, wird in England genutzt, um Jugendliche von ihren Treffpunkten zu vertreiben, denn es betont jeden kleinen Pickel.

Licht als Machtinstrument

Zwei schlanke Stelen aus schwarzem Marmor mit einer Lampe in Schulterhöhe gemahnen an ein altes New Yorker Gesetz, das schwarzen Sklaven nach Sonnenuntergang verbot, ohne Lampe auf die Straße zu gehen. Und eine Videoprojektion zeigt nächtliche Großstädte – taghell.
Erstmals beschäftigt sich eine Ausstellung mit den politischen Aspekten von künstlichem Licht. Denn von Anfang an wurde die technische Errungenschaft für alle als Instrument zur Durchsetzung politischer und ökonomischer Machtinteressen von einigen wenigen genutzt, erklärt Kunstmuseumsleiter Andreas Beitin:
„Als das elektrische Licht seinen Siegeszug angetreten hat, konnte man die Arbeitszeiten ausdehnen. Man konnte Tag und Nacht arbeiten. Tatsächlich ist die Frage, wer darüber entscheidet, wie und in welcher Intensität Licht eingesetzt wird und wann, immer auch eine Frage, wie man Macht ausübt. Das ist in unterschiedlichen Aspekten natürlich hochspannend. Das wollen wir in unserer Ausstellung in Ansätzen verdeutlichen.“

Grelle Versprechen und Lügen

Das gelingt außerordentlich gut. So wurde die große Halle durch schwarze Trennwände in eine Art Labyrinth aus Gängen, Nischen und Kabinetten verwandelt, wobei Durchblicke und Gegenüberstellungen immer wieder inhaltliche Zusammenhänge herstellen.

Die Ausstellung "Macht! Licht!" ist bis zum 10. Juli 2022 im Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen.

Gleich mehrere Arbeiten greifen die grellen Versprechen und Lügen von Werbung auf: Tobias Rehberger etwa lässt ein rotleuchtendes Neon-Schild sarkastisch „Alles gratis“ schreien. Monica Bonvicinis große Glühbirnen in edler Goldfassung brennen dagegen ein „NOT FOR YOU“ in die Welt: Konsum, Luxus, Reichtum gelten eben nicht für alle.
Damit das so bleibt, rüstet Europa auf – und behauptet gleichzeitig Menschlichkeit: Von einer Wand leuchtet rot „Refugees welcome“, wobei das „Welcome“ rhythmisch zu „will come“ wird. Nur wenige Schritte weiter erweist sich das „Willkommen“ als leere Floskel: Das drei Meter hohe Haus von Georg Herold mit einer Fassade aus grellweiß leuchtenden Neonröhren stellt klar: In das „Haus Europa“ kommt nur rein, wer nach Maßgaben der Politiker reinkommen darf!

Wer am Scheinwerfer steht, entscheidet

„An dem Scheinwerfer kann man die Ambivalenz wunderbar klarmachen: Der kann einerseits genutzt werden, um nachts Flüchtlinge, die im Wasser treiben, zu finden und denen das Leben zu retten. Ich kann aber auch einen Scheinwerfer an der Grenze einsetzen, um Menschen, die flüchten wollen, zu finden und im schlimmsten Fall umzubringen. Derjenige, der am Scheinwerfer steht, ist immer derjenige, der darüber entscheidet – im schlimmsten Fall über Leben und Tod“, sagt Andreas Beitin.
So auch in den winzigen Folterzellen aus Guantanamo, die Gregor Schneider nachbaute: Tag und Nacht gleißend hell erleuchtet, machen sie Schlafen unmöglich. Binnen kurzer Zeit werden die Insassen durch die sogenannte weiße oder saubere Folter zermürbt.
Das Licht der Aufklärung, der Vernunft glimmt in Zeiten von Fake News, populistischen Verschwörungstheorien und Kriegspropaganda nur noch mühsam vor sich hin: Warren Neidich setzt das um in ein vier Meter umfassendes, von der Decke hängendes Lichtgespinst aus Namen, Begriffen und verunklärenden Verweispfeilen eines Desinformationsskandals aus dem Hause Trump.
Timm Ulrichs reagiert noch böser: Er packte schon 1969 das Licht der Aufklärung in einen schwarzen Kasten mit Vorhängeschloss.

Der Trost eines Sonnenaufgangs

Für einen kurzen Moment wirkt da der große Lichterbogen eines stilisierten Sonnenuntergangs geradezu tröstlich. Doch das seit Menschengedenken bewunderte Ereignis, das auch für die Gewissheit auf ein Morgen steht, entpuppt sich schnell als Albtraum: Vor dem Lichterbogen liegt eine schwarze, zertrümmerte Glasplatte, als läge die Welt in Scherben.
„Im Grunde geht die Sonne dann tatsächlich über dieser zerstörten Scheibenlandschaft unter", sagt Kurator Andreas Beitin dazu. "Das ist auch ein Grund, warum wir dieses Motiv ausgesucht haben: Es ist ein Symbol für die heutige Zeit. Einerseits verdeutlicht man damit die ökologischen Problematiken. Und ganz aktuell vor dem Hintergrund der furchtbaren kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine: Auch da geht die Sonne natürlich über einer zerstörten Landschaft unter.“
Am Schluss dieser außergewöhnlichen Ausstellung hat sich ihr Titel "Macht! Licht!" längst als wunderbar doppelsinnig erwiesen: Indem sie das Verhältnis von Macht und Licht derartig vielfältig reflektiert, bringt sie selbst so viel Licht ins Dunkel der Verhältnisse, wie schon lange keine Ausstellung mehr.

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