"Macht an sich ist nicht böse"

Moderation: Joachim Scholl · 14.01.2013
Ein guter Chef gewährt qualifizierten Mitarbeitern ein gutes Maß an Mitspracherecht, meint Psychologe und Management-Coach Michael Schmitz. Langfristig könnten sie so ihren eigenen Erfolg sichern. Angela Merkel bescheinigt er einen ausgeprägten Machtwillen. An Klaus Wowereit und dem Debakel des Berliner Flughafens zeige sich das Dilemma, dass Politiker Mandate, etwa in Aufsichtsräten, eher als zusätzliche Trophäe sehen und sich nicht die Zeit für die Einarbeitung nehmen.
Joachim Scholl: Keine Macht für Niemand lautete ein politischer Slogan der APO-Zeit. Macht macht sexy ist ein moderner, hedonistischer Spruch - und dagegen setzt der Psychologe, Management-Coach und frühere bekannte ZDF-Journalist Michael Schmitz diese Definition von Macht: "kriegen, was wir wollen" - so lautet die Unterzeile seines Buches "Psychologie der Macht". Guten Tag, Herr Schmitz!

Michael Schmitz: Schönen guten Tag, danke für die Einladung!

Scholl: Ist es das, worauf sich im Grunde alles reduziert, Herr Schmitz, kriegen, was wir wollen? Das ist Macht?

Schmitz: Das wäre zumindest aus meiner Sicht die kürzeste Formel, wenn wir fragen, worum geht es eigentlich bei Machtausübung, dabei, nach Macht zu streben, dann stecken dahinter Interessen, die verwirklicht werden sollen.

Scholl: Ich fand es interessant, dass Sie zu Beginn Ihres Buches die Perspektive einmal umdrehen und fragen, warum Menschen eigentlich der Macht nachgeben, also wie es kommt, dass sich zu allen Zeiten überall auf der Welt in allen Kulturkreisen die Verhältnisse in dieser Weise aufgeteilt haben in Mächtige und Machtlose. Ist es also nicht nur ein sozialer, sondern ein anthropologischer Mechanismus?

Schmitz: Macht ist immer ein soziales Verhältnis. Es gibt diejenigen, die Macht haben, Macht ausüben, und die haben auch anderen etwas zu bieten. Sie können strafen, sie können belohnen - durch Strafen zwingen sie andere dazu oder beeinflussen sie andere dazu, sich an ihre Spielregeln zu halten, das zu tun, was die Mächtigen erwarten, und durch Belohnung kann doch vielfach jemand geneigt gemacht werden, das auch mit einer großen Freiwilligkeit zu tun. Dazu kommt natürlich dann auch noch ein sozialer Druck: Wenn es Konventionen gibt, die von allen eingehalten werden, dann übt die Gruppe auch auf Einzelne Druck aus. Und wir haben alle, auch wenn wir unsere Individualität so gerne betonen, doch eine große Neigung zur Konformität.

Scholl: Sie haben die verschiedenen Typen von Macht und Mächtigen analysiert, Herr Schmitz, vor allem in der Wirtschaft und in der Politik. Also Journalist, als ZDF-Chefreporter haben Sie einst viele mächtige Politiker getroffen. zeichnen Sie uns vielleicht mal ein Bild eines Machtmenschen in der Person vielleicht, ach, sagen wir mal, Angela Merkels. Ist sie ein Machtmensch?

Schmitz: Ja, Angela Merkel ist ein ausgesprochener Machtmensch. Das haben wir am Anfang sicherlich nicht so bemerkt, als sie die politische Bühne betreten hat, da war sie sehr zurückhaltend, sehr schüchtern, sie ist von Helmut Kohl sicherlich auch deshalb protegiert worden, weil er dachte, die kann mir niemals gefährlich werden. Er hat sie ja auch etwas abschätzig als das Mädchen bezeichnet. Aber Angela Merkel hat sehr gut erkannt, welche Möglichkeiten sich dadurch für sie ergeben, sie hat Netzwerke aufgebaut, sie hat Geduld gehabt, sie hat die Fähigkeit entwickelt, auch Niederlagen, Schmähungen, Demütigungen wegzustecken, und die Machtposition, die sie hatte, gut auszunutzen, um verlässliche Netzwerke aufzubauen, Menschen um sich zu scharen, die sie unterstützen, und davon profitiert sie heute. Und sie hat auch ähnlich wie Kohl die Fähigkeit, Konkurrenten eiskalt auszuschalten, wenn sie ihr gefährlich werden.

Scholl: Ja, bemerkenswert ist ja vor allem, wie sich das Mädchen Angela schließlich gegen eben auch den entschiedenen Machtmenschen Helmut Kohl, ihren einstigen Mentor, durchgesetzt hat: Sie hat ihn quasi abgesägt.

Schmitz: Ja, sie hat die Chance erkannt und hat genau gesehen, da kann ich in die Lücke stoßen, hat auch das Gespür dafür gehabt, wie weit sie gehen kann, hat ja auch, als sie schon CDU-Vorsitzende war, Edmund Stoiber den Vorrang gelassen bei der Kanzlerkandidatur, weil sie doch gespürt hat, so weit kann ich jetzt nicht gehen, ich bin nicht konsensfähig in dieser Partei als Kandidat, und hat dann doch mit großer Ausdauer ihre Chance wahrgenommen.

Scholl: Wir haben natürlich, Herr Schmitz, wenn es um politische Macht geht, die vielen historischen Beispiele von furchtbaren Despoten auch vor Augen, von Hitler, Stalin und Konsorten, die ihre Macht durch Terror bis hin zum millionenfachen Mord ausgeübt haben. Man hat aus diesen Zerrbildern der Macht, wie man sie auch nennen könnten, ja auch gewissermaßen philosophisch daraus abgeleitet, dass Macht im Grunde stets böse ist. Würden Sie dem zustimmen?

Schmitz: Nein, dem würde ich nicht zustimmen. Man mag dazu geneigt sein, wenn man mit einer verengten historischen Perspektive Männer wie Stalin oder Hitler oder Mao anschaut, und das kann einen dazu verleiten, zu sagen, da muss an der Macht an sich etwas Böses sein. Auch der Philosoph Foucault hat das eine Zeit lang geglaubt, sich aber hinterher selbst korrigiert und gesagt, wir sehen immer wieder auch die positiven Seiten der Macht, die müssen wir erkennen - Macht an sich ist nicht böse, aber Machtausübung kann böse sein, Machtausübung kann auch gut sein, sie kann dazu dienen, eigennützig persönliche Interessen durchzusetzen, skrupellos gegenüber anderen. sie kann aber auch genutzt werden im Interesse von anderen, im Sinne des Allgemeinwohls.

Scholl: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit dem Autor Michael Schmitz über sein Buch "Psychologie der Macht". Sie entwickeln sehr ausführlich den Zusammenhang auch von Macht und Geld, Herr Schmitz. Und hier wären wir bei der Wirtschaft, wir haben ja auch während der Finanzkrise eine ganz besondere Arroganz dieser Macht kennengelernt, die Macht der Finanzmärkte und ihrer Akteure und zugleich auch die Ohnmacht der Politiker, diese Macht, diese Finanzmacht einzuhegen. Wird Macht in der Wirtschaft hemmungs- und vielleicht rücksichtsloser ausgeübt, auch herablassender?

Schmitz: Das, glaube ich, kann man so generell nicht sagen. Es gibt auch viele arrogante, herablassende Politiker, die müssen allerdings ein bisschen vorsichtig sein…

Scholl: Die wollen wiedergewählt werden.

Schmitz: Die wollen wiedergewählt werden, und bei Politikern kommt es eher darauf an, sympathisch zu wirken, als dass sie Kompetenz haben. Also dürfen sie nichts machen, was sie unpopulär macht. Popularität ist das, worauf sie alle abziehen. Mächtige in der Wirtschaft, die nicht so sehr im Vordergrund, nicht so sehr unter Beobachtung stehen, können sich da anderes erlauben. Und die Finanzkrise hat sicherlich gezeigt, dass die Banken über viel unkontrollierte Macht verfügen. Sie haben einfachen Leuten Versprechungen gemacht, an die sie selbst nicht geglaubt haben, sie haben sogar lukrative Wetten darauf abgeschlossen, dass Kunden mit den Investitionen, zu denen die Banken ihnen geraten haben, nicht reüssieren werden - das war und ist unanständig, und das zeigt, wie sehr eine unkontrollierte Macht missbraucht werden kann zu eigennützigen Interessen für ein Unternehmen. Aber die Banker haben ja auch persönlich sehr hemmungslos abgesahnt und sich in Krisenzeiten Gehälter gegönnt, die man ja vernünftig gar nicht rechtfertigen kann.

Scholl: Sie sind ja auch Management-Coach, bilden zukünftige Führungskräfte aus. Welche Qualitäten sollte denn ein moderner Boss haben, dem es also jetzt nicht nur um die eigene Macht, sprich, auch sein eigenes Einkommen geht, sondern ja um wirtschaftlichen Erfolg und um Vorrausicht in die Zukunft, vielleicht auch für die Mitarbeiter?

Schmitz: Na, ich arbeite auch mit Managern zusammen, die in Machtpositionen sind, und da geht es immer darum, auszuloten, was sind persönliche Interessen, was sind auch Unternehmensinteressen, was ist auch eine soziale Verantwortung, und wie muss ich mit Menschen umgehen, damit ich auch mit denen gut zusammenarbeiten kann. Macht ist ja immer darauf angewiesen, dass es auch Zuarbeit, dass es Zusammenarbeit gibt. Und wenn man sich das in Unternehmen anschaut, dann wird man eben feststellen, viele sind nur bereit zuzuarbeiten, wenn sie auch Interessen von sich verfolgen können. Also da haben wir ein Spannungsverhältnis: Macht und Gegenmacht. Und je wichtiger Mitarbeiter sind, aufgrund von ihrer fachlichen Kompetenz, aufgrund von ihren Fähigkeiten, Prozesse voranzubringen, umso sehr müssen Vorgesetzte das auch respektieren und anerkennen, und mit einer klaren sozialen Kompetenz auch sehen, dass sie persönliche Interessen nicht einfach rücksichtslos durchsetzen können, um langfristig auch für sich persönlich Erfolg zu haben.

Scholl: Kommen wir noch mal zurück auf die Politiker, Herr Schmitz. Wir haben derzeit in Berlin ja das deutschlandweit diskutierte Debakel des neuen Großflughafens und einen so selbst- wie machtbewussten Regierenden Bürgermeisters, der jetzt aber alles Renommee zu verspielen scheint und das gleichzeitig aber gar nicht zu bemerken scheint. Hat hier ein Politiker so seine Macht überschätzt, weil er doch einen Tunnelblick bekommen hat?

Schmitz: Der Tunnelblick ergibt sich immer dann, wenn man mit einer bestimmten Masche lange erfolgreich gewesen ist. Und Klaus Wowereit hat Politik ja gerne inszeniert als Spaßveranstaltung, und damit ist er lange durchgekommen, das hatte auch für manche Medien durchaus etwas Charmantes. Jetzt aber ist Schluss mit lustig, denn der Schaden ist zu groß, die Kompetenz, um die Probleme, die da sind, zu lösen, ist offenbar zu klein. Und bei Wowereit sieht man ein doch allgemeineres Dilemma. Politiker haben, wenn sie zum Beispiel in den Aufsichtsräten sitzen, ja oft gar nicht die fachliche Kompetenz, um die Aufsichtstätigkeit wirklich ernsthaft auszuüben. Außerdem haben sie als Politiker einen Job, der sie fast rund um die Uhr beschäftigt - sie haben nicht die Zeit, sie nehmen sich nicht die Zeit, sich in komplizierte Dinge einzuarbeiten, sondern sie sehen ein solches Mandat eher als Trophäe, als Zuwachs ihrer Macht, als Repräsentationsmöglichkeit. Auch das ist ein Teil, der mit Arroganz der Macht zu tun hat, und dann geht es eben schief.

Scholl: Sie sind Jahrgang 1954, Michael Schmitz, und Sie erinnern sich noch bestimmt gut an den Sponti-Spruch der 70er-Jahre: Keine Macht für Niemand. Darin steckt der utopische Gedanke ja nach Herbert Marcuse von der herrschaftsfreien Gesellschaft. War das eigentlich so völlig falsch, davon zu träumen, sollte man jungen Leuten gar nicht mehr davon erzählen, mit solchen Flausen?

Schmitz: Man kann sicherlich jungen Leuten erklären, in welchem historischen Kontext diese Zielvorstellung entstanden ist, nämlich in einer Zeit, in der es darauf ankam, sich gegen eine politische Macht, eine gesellschaftliche Macht zur Wehr zu setzen, die die Entwicklung von Individualität blockiert. Und das Motiv, sich persönlich entwickeln zu wollen, eigene Potenziale entwickeln zu wollen, freier zu sein, sich auszuprobieren, das, denke ich, das ist durchaus etwas Lohnenswertes. Natürlich müssen wir heute mit einem gewissen Abstand, mit mehr Gelassenheit und auch mit mehr Erkenntnis sagen, dass die Schlussfolgerung, so etwas ohne Macht tun zu können, nicht möglich ist. Und jede Gesellschaft braucht, um ihre Ziele durchzusetzen und auch, um sich zu schützen, Macht, und deswegen noch mal: Macht an sich ist nichts Negatives, ist nichts Böses. Wir haben in der Demokratie glücklicherweise die Möglichkeit, sehr um Machtpositionen zu ringen ohne Gewalt, und auch Machtpositionen so zu verschieben, dass sich Individualität anders entfalten kann.

Scholl: "Psychologie der Macht - kriegen, was wir wollen", so heißt das Buch von Michael Schmitz. Es ist im Wiener Verlag Kremayr & Scheriau erschienen, hat 301 Seiten, kostet 22,90 Euro, auch als eBook ist es erhältlich. Michael Schmitz, besten Dank für Ihren Besuch und das Gespräch!

Schmitz: Herzlichen Dank!

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