Lyriktreffen in der Eifel

Wie sich Sprache zum Klingen bringen lässt

Blick auf das Kloster Steinfeld in der Eifel von einer nahe gelegenen Wiese aus
Blick auf das Kloster Steinfeld in der Eifel © picture alliance / dpa / Hans-Joachim Rech
Von Holger Heimann · 23.07.2017
15 Dichterinnen und Dichter aus Köln, Aachen, Berlin und Dresden: Sie lasen sich im Kloster Steinfeld in der Eifel drei Tage lang gegenseitig noch unveröffentlichte Werke vor - und diskutierten über Versbau, Rhythmik, Pathos und Ironie.
Wenn die Glocke der prächtigen Basilika im Kloster Steinfeld in der Eifel zehn Uhr schlug, stiegen 15 Dichter und Dichterinnen die alten, steinernen Treppen hinauf zum Seminarraum 1. Die Brüder und Schwestern des Salvatorianerordens hatten da ihre Morgenandacht längst hinter sich gebracht. Drei Tage lasen sich die Poeten aus Köln, Aachen, Berlin und Dresden gegenseitig noch unveröffentlichte Gedichte vor und diskutierten auf Einladung des Literarischen Colloquiums Berlin und der Kunststiftung Nordrhein-Westfalen über Versbau und Rhythmik, innere und äußere Bilder, über Pathos und Ironie, Satzzeichen und versiegelte Botschaften von Stefan George.
Vielleicht war es der sakrale Ort selbst, der zu einem überraschenden Befund führte: In der deutschen Gegenwartslyrik fehle das Komische. Aber stimmt das überhaupt? So konnte man sich fragen, als Ulf Stolterfoht seine Verse vortrug.
"schön. schön ist das nicht, wenn einer einen berg aus zwer- / gen baut. volle pulle schnulli. latte, die ich meine. dann seh / ich deine schweinebeine. volle kanne panne. einer lief bis sa- / vanne. den bruder hatte man adoptiert, darüber aber reinen / mund gehalten. er richtet sich selbst mit ellenlanger schnalle.
schnafte. einer greift nach dem krümmer und macht alles noch / schlimmer. keine platzt ziemlich sanft. was kam, waren majo- / ransamen. wunderschöne majoransamen. bridge. gebäude sind / stöckig oder du kannst sie vergessen. viele wissen das nicht. aber / lesen sie dieses gedicht? man erreicht ja immer nur die weichen."

Cool oder peinlich?

Viele fanden das cool, Stolterfoht selbst hingegen eher peinlich. Was aber für ihn gar nicht gegen die Verse spricht. Der Berliner Dichter, der auch "heißenbüttels späte hoden-obsessionen" in seinem herrlich anarchischen Gedichtmix untergebracht hat, will den Peinlichkeitsfaktor vielmehr gern noch weiter steigern und Heißenbüttel durchaus nacheifern.
"Ich schäme mich ein bisschen, wenn ich es lese. Aber gleichzeitig bin ich begeistert. Und ja, finde es großartig, wie man sich so frei machen kann von allen bürgerlichen Zwängen und so offen über Sachen spricht, über die man eigentlich nicht spricht, vor allem nicht in Gedichten."
Ausgerechnet im Kloster Hodenobsessionen ins Spiel zu bringen mag ein zusätzlicher Reiz gewesen sein. Andererseits räumte Ulf Stolterfoht ein:
"Wenn jetzt hier eine Lesung wäre und die Schwestern säßen im Publikum, da würde ich mir vielleicht doch überlegen, was lese ich besser nicht."
Der Schriftsteller Norbert Hummelt.
Mit dabei: der Dichter, Übersetzer und Kulturjournalist Norbert Hummelt© imago/gezett
Es saßen aber nur die Schwestern und Brüder Dichter im Publikum. Die Vertrautheit miteinander verführte zu einer Offenheit, die alle als Gewinn verbuchten. Einige, wie der Berliner Norbert Hummelt, lasen Gedichte, an denen vor allem ihre Perfektion zu bestaunen war. Andere, wie die junge Marie T. Martin, Jahrgang 1982, hingegen hatten Texte dabei, die das noch Unfertige gar nicht verbergen wollten.
"Als die Kinder groß waren, ist später jemand gestorben. Ich habe einen / Papperlapapp verschluckt, denn sowohl Eltern sterben als auch Kinder."
Manch einer erkannte darin bloß Kindersprache ohne poetischen Mehrwert. Für die wunderbare Elke Erb, selbst in der Eifel geboren und als Kind mit der Familie in die DDR ausgewandert, war es hingegen ein vollkommener Vers, den sie gern allen Blumenläden schenken wollte. Die mit 80 Jahren Älteste in der Dichterrunde schien Texte oft förmlich körperlich wahrzunehmen: "Das leichte Fließen tut mir an den Schultern gut", war nur einer ihrer hinreißenden Einwürfe. Dass im Gedicht auch Worte Platz haben, die der Duden nicht kennt, ist für sie selbstverständlich.

"Ich bin ein lebendes Fragezeichen"

"Worte muss man kommen lassen, die hat man nicht selber geschaffen. Die hat der Gott geschaffen, nicht ich. Und eigentlich bin ich ja kurz davor, Gott mit geben zu übersetzen."
Hier hätten vielleicht sogar die Ordensbrüder und Ordensschwestern aus dem Kloster zugestimmt. Während Elke Erb "epigonal flusternden Kitsch" zur Seite räumte, ließ es Julia Trompeter mit dem Neologismus "drohnt" zugleich thronen und dröhnen:
"langgezogen zogen drohnt die stimme noch. /
seit ewig zeiten nichts gehört dabei. gar schon verlassen / lassen drohnt. son echo echo alter nächte an mein ohr. / in mir denkt etwas nach & etwas will hinaus. jedoch / schwebt schlau ein schatten schatten. kriegerisch davor."
Auch für die 37-jährige Dichterin aus Köln mit einem Doktortitel in antiker Philosophie gehören Wortneuschöpfungen zur lustvoll kreativen Versproduktion.
"Ich finde Neologismen wichtig in der Lyrik. Ich arbeite sehr gern damit, weil sie für mich zeigen, dass Sprache nichts Feststehendes oder Fixes ist, dass Sprache etwas ist, mit dem man arbeiten kann, etwa Lebendiges, was sich bearbeiten und verändern lässt."
Wie sich Sprache zum Klingen bringen lässt – das ergründeten die angereisten Poeten in der Eifel – im Seminarraum 1 und noch spätabends im nahen Wirtshaus "Zur Alten Abtei". Nicht alle poetologischen Probleme wurden gelöst in Steinfeld. Ob zwei Auslassungspunkte wirklich mehr Zartheit und Feingefühl signalisieren als die gewöhnlichen drei, gilt es noch weiter zu erkunden. Wie sagte doch eine Nonne beim Eingang zum Kloster mit breitem Lächeln: "Ich bin ein lebendes Fragezeichen." Könnte so nicht auch ein Gedicht anfangen?
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