Lyriksommer

Woher die Worte kommen, kann niemand sagen

Der österreichische Schriftsteller Robert Schindel
Wortkünstler aus Österreich: Robert Schindel © dpa / picture alliance / Marc Tirl
Robert Schindel im Gespräch mit Nana Brink · 20.08.2015
Wie schreibt man ein Gedicht? Der österreichische Wortspielakrobat Robert Schindel weiß es auch nicht und zitiert Goethe: "Die Form ist ein Geheimnis den meisten." Immerhin: Schindel kann einige wertvolle Hinweise geben.
Der österreichische Schriftsteller Robert Schindel schreibt Romane als auch jede Menge Gedichte, für seine Wortspielkunst ist er mit jeder Menge Preisen bedacht worden. Woher die Worte kommen, kann er aber nicht sagen. Es gebe keine Gesetzmäßigkeit für Einfälle, sagte er im Deutschlandradio Kultur. Die "ständige und zum Teil auch vorbewusste und unbewusste Beschäftigung mit Sprache" bringe es mit sich, dass er irgendwann wisse: "Jetzt ist es so weit, und jetzt muss es aufgeschrieben und das Material auf Papier gebracht werden." Zu seinem eigenen Stil sagte er, wenn man auf dem "Boden einer gewissen Handwerklichkeit" der eigenen Begabung nachgehe, geselle sich "der eigene Ton wie von selbst bei". Den könne man nicht künstlich dazugeben: "Der gehört dann zu einem wie die Haarfarbe."

Das Gespräch im Wortlaut:
Nana Brink: Es hat ein wenig gebraucht, bis Robert Schindels literarische Karriere in Fahrt kam, aber sein erster Roman schlug ein und machte den Österreicher über Nacht bekannt. "Gebürtig" heißt das Werk, mit weit verzweigten Erzählsträngen und ist eine hinreißende Parabel auf die österreichisch-deutsche Gesellschaft. Die Shoah ist dann auch für ihn, der als Kind jüdischer Eltern den Holocaust überlebt hat, sein Lebensthema.
Und das zweite, kann man wohl sagen, ist die Stadt, in der er lebt, Wien, die "Vergessenshauptstadt", wie er sie schön grantelnd nennt. Und granteln kann er gut, auch in seinen Gedichten. Ein herrlich disharmonischer Dreiklang, wie es einmal eine Zeitung geschrieben hat, aus Wiener Melange, jüdischer Litanei und deutscher Wortspielakrobatik. Jetzt auch wieder zu finden ganz neu im gerade erschienenen Lyrikband "Scharlachnatter". Robert Schindel, ich grüße Sie!
Robert Schindel: Ich grüße Sie, hallo!
Brink: Wie finden Sie den Schindel-Sound, den wir gerade so schön beschrieben gehört haben? Ist der schon immer da gewesen?
Schindel: Na ja, ich glaube, man bekommt den Sound oder die eigene Sprache bis zu einem gewissen Grade mit. Das heißt, wenn man auf dem Boden einer gewissen Handwerklichkeit seinen vermeintlichen oder wirklichen Begabungen nachgeht, dann gesellt sich der eigene Ton wie von selbst bei. Den kann man nicht künstlich dazugeben, sondern der gehört dann zu einem wie die Haarfarbe, die Augenfarbe und so weiter.
Brink: Ich habe eine Stelle gefunden in Ihrem neuen Gedichtband, ein Gedicht, das heißt "Schreiben". Darüber sprechen wir ja auch. Ich nehme ein Stück daraus, wenn Sie mir das nachsehen: "Hier aber sitze ich im Quadrat, durchquere das Innennicken, höre nicht auf den äußeren Rat, lass mich mit Fadwörtern bestücken." Und mir, die ich eine österreichische Großmutter habe, ist natürlich sofort das Wort fad aufgefallen. Aber das muss man, glaube ich, anderen erklären, nicht?
In der Lyrik entwickeln sich Aura und Geist aus den Wörtern heraus
Schindel: Ach, kennt man in Deutschland das Wort fad nicht, Fadheit, Langeweile? Ja, also ... Es ist eben der Versuch, in der Lyrik im Unterschied vielleicht zum Essay oder zu anderen literarischen Formen arbeitet sich der Sachverhalt aus der Sprache selbst heraus, aus den Wörtern, aus den Wortkonstellationen entwickelt sich ein gewisser Geist oder eine gewisse Aura, die auch das Gedicht weitertreibt. Und so könnte man diese Zeilen auch irgendwie hören.
Brink: Sie haben ja viele eigene Wortschöpfungen in diesem Gedichtband. War das Absicht?
Schindel: Na ja, Absicht und nicht Absicht. Absicht in dem Sinne, dass ich natürlich nicht bewusst losgeschrieben, aber nicht Absicht im Sinne, dass ich sozusagen gewollt oder manieriert mir irgendwelche Wörter ausgedacht habe. Sondern in der Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt kommen dann diese Wort- oder Wortschöpfungen oder Neologismen, fallen einem ein, so wie jemandem etwas einfällt und man dann auch nicht weiß, wieso einem das jetzt gerade eingefallen ist. Und dann kommt es allerdings darauf an, das zu bändigen und nicht jeden Einfall losspielen zu lassen, sondern es muss dann halt in die Dramaturgie des Gedichtes auch hineinpassen.
Brink: Jetzt bin ich neugierig, wo fallen Ihnen die denn ein?
Schindel: Ja, sie fallen mir immer irgendwann, bei irgendwelchen Gelegenheiten ein, da gibt es ... Es gibt keine Gesetzmäßigkeit. Also weder nach dem Aufwachen noch nach dem fünften Glas Wein – abgesehen davon, dass ich gar keinen Alkohol trinke. Sondern ich glaube, die ständige, zum Teil auch vorbewusste und unbewusste Beschäftigung mit Sprache und mit Sprachmaterial bringt es mit sich, dass ... So wie bei einem Maler, irgendwann einmal weiß er, wie die Hintergrundfarbe des Bildes sein muss. Irgendwann weiß ich, jetzt ist es so weit und jetzt muss es aufgeschrieben und das Material auf Papier gebracht werden und dann entsprechend formiert werden. Also, wie heißt es bei Goethe: "Die Form, ein Geheimnis den meisten." Und ich habe es auch nicht entschlüsselt, das Geheimnis, warum man das dann gerade so macht und nicht so!
Brink: Aber wir sind ja immer so neugierig und würden am liebsten Dichtern immer beim Dichten zusehen, zumindest geht es mir immer so. Es gibt am Ende – das fand ich sehr interessant – Ihres Bandes ein Glossar. Das wird schon ein bisschen – um noch mal auf das Österreichische zu sprechen zu kommen – das erklärt für die Deutschen. Und manchmal habe ich ja so den Eindruck, das österreichische Deutsch ist origineller, es ist irgendwie verschrobener, es ist aber auch irgendwie liebevoller gegenüber alten Begriffen.
Das Wiener Deutsch eignet sich sehr für Literatur und das Gedichtschreiben
Schindel: Ja, Sie können das als Deutsche natürlich sagen. Wenn ich das sage, dann würde das als nationalistisch womöglich gelten. Aber ich glaube schon, dass nicht das Hannover-Deutsch, sondern das Wiener Deutsch sich sehr zur Literatur und vor allem zur Lyrik eignet.
Brink: Aber es sind doch viele alte Begriffe. Also, die finde ich, die man so pflegt und hegt, auch wenn man heute noch nach Wien fährt?
Schindel: Ja, ich glaube, das liegt daran, dass Wien und die Wiener immer in der zweiten Reihe im großen Welttheater gesessen sind als Zuschauer. Sie haben ein schlechtes Gedächtnis, was die Gegenwart anlangt, aber ein sehr gutes Gedächtnis, was die Vergangenheit betrifft, und zwar die große Vergangenheit, nicht die unmittelbare, da hat man auch nicht so ein besonderes Gedächtnis, sondern die Monarchie, also das Gedenken an das 19. und 18. Jahrhundert ist in der Wiener Mentalität ein Konservierungsstoff enthalten, der diese ganzen Sachen aufbewahrt. Also, das brauchte ich ja dann nur aufpflücken.
Brink: Also, rührt daher Ihr ja zwiespältiges Verhältnis nicht nur zu Wien, sondern eben auch zu Österreich, also zur Mentalität der Österreicher, wie Sie sie gerade geschildert haben?
Schindel: Na sicherlich. Weil, es ist ja einiges passiert. Mit Hilfe sozusagen dieser lebensgefährlichen Gemütlichkeit, die in Wien zu Hause ist und die auch in aller Gemütlichkeit, wie man im Dritten Reich gesehen hat, zu allem möglichen fähig war.
Brink: Ist die immer noch da?
Ein "ordentlicher" Rassismus braucht bestimmte politische Rahmenbedingungen
Schindel: Na, das würde ich jetzt so nicht sagen, es müssen schon die Rahmenbedingungen, die politischen, geschaffen werden, damit ein ordentlicher Rassismus oder Antisemitismus auch Platz greifen kann. Wenn diese Rahmenbedingungen nicht da sind, dann sind die Wiener wie alle anderen auch.
Brink: Der Schriftsteller und Lyriker Robert Schindel. Vielen Dank und Servus nach Wien!
Schindel: Wiedersehen, danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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