Lyriksommer - Dichter empfehlen Gedichte (11)

    Jazra Khaleed: Wörter

    Ein Miniatur-Wörterbuch "Deutsch - Englisch" steht auf den aufgeschlagenen Seiten seines großen "Bruders"
    "Sitz der Macht ist die Sprache" © picture alliance / dpa / Peter Kneffel
    Kai Pohl empfiehlt Jazra Khaleed, weil seine Lyrik durch starke, direkte Worte fasziniert, Worte, die nichts verrätseln".
    Heimatlos
    Wohne ich in den Wörtern
    Den Trauer tragenden
    Den gefangenen
    Mustapha Khayati, hörst du mich?
    Sitz der Macht ist die Sprache
    Dort marschieren die Polizeipatrouillen.
    Wir brauchen keine Poetenzirkel mehr
    Wir brauchen keine Nobelpreisträger mehr
    Bei mir im Viertel opfert man unschuldige Dichter
    Rapper mit weiten Hosen und Schnee in den Augen
    Werfen Wörter schnüffelnden Kids Reime zu
    Hinfallen und Aufstehen: die Kunst des Dichters
    Jean Genet, hörst du mich?
    Obdachlos sind meine Wörter
    Dösen auf den Bänken am Klafthmonos-Platz
    Unter Ikea-Kartons
    Meine Wörter kommen in den Nachrichten nicht vor
    Gehen jeden Abend auf den Strich
    Meine Wörter sind Proletarierinnen, Sklavinnen wie ich
    Stehen am Fließband Tag und Nacht
    Will keine Totenklagen mehr hören
    Will keine Zivilistenverben mehr
    Brauche eine neue Sprache, keine Zuhälterei
    Warte auf eine Revolution, die mich neu erfindet
    Begehre die Sprache des Klassenkampfs
    Eine Sprache, die nach Aufruhr schmeckt
    Die will ich formen!
    Ach, welch Hochmut
    Ist gut, ich gehe
    Doch schau, auf meinem Gesicht liegt der Widerschein einer
    neuen Poesie
    Kein Wort soll in Gefangenschaft bleiben
    Ich suche ein Schlupfloch
    (Übersetzung Michaela Prinzinger)
    (Verlag Versensporn Hefte für lyrische Reize 21, Jena 2015)