Lyrik und Werbung

Das Entscheidende ist der Rhythmus

Werbung aus den 50ern in Bielefeld.
Lyrik und Werbung reimen sich heute nur noch selten - ganz anders als noch auf dieser Werbung aus den 1950er Jahren © Franziska Schiller und Thomas Doktor
Mirko Derpmann im Gespräch mit Nana Brink |
Schon der Dichter Frank Wedekind stand als Werbetexter in den Diensten der Firma Maggi und warb für die Brühwürfel. Der Werber Mirko Derpmann sieht Lyrik und Werbung auch heute in enger Verbindung.
"Werbung ist darauf angewiesen, dass man sehr, sehr schnell und sehr gut auf den Punkt kommt und ein bestimmtes Gefühl an die Menschen vermittelt", sagt Mirko Derpmann, Krativdirektor der Werbeagentur Scholz &Friends im Deutschlandradio Kultur. "Das ist bei Lyrik genauso – so eine Zeile ist nicht lang und die muss einen Rhythmus haben und der muss sitzen." Das sollten Werbetexter und Lyriker gleichermaßen können. Die Grenze der Lyrik verschiebe sich immer weiter, ebenso wie in der Werbung, sagt Derpmann. "Heutzutage ist Lyrik ja nur noch in den seltensten Fällen noch gereimt." Sie habe sich eher auf den Rhythmus zurückgezogen.

"Lustig samma, Puntigamer"

Als bestes Beispiel nennt Derpmann das Werbegedicht: "Lustig samma, Puntigamer", mit dem eine österreichische Brauerei Werbung betreibt. Der Kriminalschriftsteller Wolf Haas hatte die Doppelbödigkeit des Puntigamer-Slogans in seinen Krimi mit dem Detektiv Brenner einfließen lassen, der teilweise im Stadtbezirk Puntigam in Graz spielt.

Das Interview im Wortlaut:

Nana Brink: So, und wir rühren jetzt mal die Werbetrommel!
Sprecher: Alles Wohl beruht auf Paarung. Wie dem Leben Poesie fehle Maggis Suppennahrung Maggis Speisewürze nie!
Brink: Kein Geringerer als der Dichter Frank Wedekind hat hier beziehungsweise damals noch zur Feder gegriffen und für die Werbebranche gearbeitet. Auch für den schnöden Maggi-Würfel. Aber wie hat er so schön gesagt: Es liegt in der Natur des Menschen, dass er Dinge, die ihm am unentbehrlichsten sind, am meisten verachtet. Aber wie so viele Dichter – Kurt Tucholsky war ein Meister darin, aber auch Bertolt Brecht – fanden sie in der Werbung auch einen Brotjob. Auch weil ja das Gefühl für Sprache und seine Wirkung Grundvoraussetzung für jeden guten Werbetexter sind. Was also haben Lyrik und Werbung gemeinsam? Mirko Derpmann ist Kreativdirektor und Mitglied der Geschäftsleitung der bekannten Berliner Werbeagentur Scholz and Friends, ich grüße Sie, schönen guten Morgen!
Mirko Derpmann: Guten Morgen!
Brink: Wo liegt denn Ihrer Meinung nach die Schnittstelle zwischen Werbung und Lyrik?
Derpmann: Das eine haben Sie gerade schon gesagt, Werbung ist ja darauf angewiesen, dass man sehr, sehr schnell und sehr gut auf den Punkt kommt und ein bestimmtes Gefühl an die Menschen vermittelt. Und das ist ja bei Lyrik genauso, so eine Zeile ist nicht lang und die muss einen Rhythmus haben und der muss sitzen. Und das sollte ein Werbetexter können und das muss ein Lyriker natürlich auch können. Sonst ist es beides … funktioniert es einfach nicht.
Brink: Nun ist ja gereimte Werbung nicht unbedingt Poesie. Also, ich denke mal so: "Haribo macht Kinder froh und Erwachsene ebenso", das würde ich jetzt nicht als Lyrik bezeichnen.
Derpmann: Ja, das ist ein bisschen … Die Grenze der Lyrik verschiebt sich ja immer weiter und auf der anderen Seite verschiebt sich gelegentlich auch die Werbegrenze immer ein bisschen weiter. Also, heutzutage ist ja Lyrik nur in den seltensten Fällen noch gereimt und es hat sich eigentlich so ein bisschen zurückgezogen auf den Rhythmus und auf eine bestimmte sozusagen …
Es hat seine formalen Grenzen etwas verlassen, deswegen kann man vielleicht schon gar nicht mehr so genau sagen, was Lyrik ist. Auf der anderen Seite ist eben tatsächlich der reine Reim sicherlich konstituierend. Und gereimte Werbung ist – finde ich – in den seltensten Fällen Lyrik, ich finde das dann oft eher bei den ungereimten Werbungen, die so einen bestimmten Rhythmus haben, dass sie einem so entgegentreten, dass es dann eher was Lyrisches kriegt.

"Gott schuf den Farmer"

Brink: Haben Sie ein paar Beispiele?
Derpmann: Also, das beste Beispiel fand ich jetzt persönlich immer für ein Werbegedicht: "Lustig samma – Puntigamer!" Aber das ist natürlich tatsächlich gereimt und kommt aus einem Buch von Wolf Haas, glaube ich, aber ich nehme an, den Werbespruch gibt's auch in Wirklichkeit. Und dann gibt es ein Beispiel von Ram, das ist eine amerikanische Truckmarke und die haben eine Rede aus den … ich glaube, aus den 60er-Jahren mal verwendet: "God made a farmer" – also "Gott erschuf einen Farmer", wo dann eben sozusagen die Schöpfungsgeschichte so im Rhythmus weitererzählt wird, und das halt auch im Vortragsstil, so was … Das ist wirklich dann eher Lyrik als dass es Werbung ist.
Brink: Würden Sie sagen, dass das so ein Trend ist? Sie haben ja ganz interessanterweise gesagt, also, Lyrik ist nicht mehr unbedingt gereimt, die hat sich irgendwie verändert. Und Werbung geht dann mehr irgendwie in Richtung Lyrik, das ist ein Trend. Würden Sie das so sagen?
Derpmann: Also, ich würde sagen, die beiden Dinge waren schon immer sehr miteinander verwandt. Es gibt ja auch schlecht gereimte Gedichte, die irgendwie eher unter Lyrik fallen. Die Dinge haben schon immer eine enge Verwandtschaft gehabt, aber dadurch, dass Lyrik immer offener wird als Form, so wie ja auch andere Formen den bildenden Kunst immer offener werden, also nicht gegenständliche Malerei oder solche Dinge … Dadurch, dass auch die Lyrik immer offener wird, wird es einfach immer schwieriger, irgendwo eine Grenze zu ziehen.
Das ist ja jetzt längst nicht mehr irgendwas, was ein Hofdichter im vollen Ornat zu bestimmten hohen Anlässen von sich gibt, so etwas wie Lyrik. Und eben auf der anderen Seite hat die Werbung sehr, sehr viele Spielarten entwickelt, die über dieses reine "Lustig samma – Puntigamer!" oder die Overstolz-Kampagne der 50er-Jahre hinausgeht, wo der Reim dann eben nicht mehr so rattert, so traurig-müde vor sich hinrattert und eigentlich den Zuhörer einlullen soll, sondern wo die Werbung eben speziell auf Emotionen setzt, also zum Beispiel die Hochsprache nutzt oder einen bestimmten Rhythmus nutzt, um eine Irritation zu erzeugen.
Also, man ist bei der Werbung immer unwerblicher geworden und das ist ein Prozess, den man auch gerade durchs Internet befeuert und … Die Nichtwerbung ist eine Form des Marketings inzwischen geworden fast und die Lyrik öffnet sich für alle möglichen angrenzenden Felder und hat so ein bisschen ihre Form verloren. Und dadurch sind die Dinge gelegentlich ununterscheidbar.

Das Gefühl ist wichtig

Brink: Trügt mich denn mein Eindruck, dass es manchmal auch gar nicht so sehr um das Produkt geht, sondern dass man bei der Werbung immer mehr auch dahingeht, ein bestimmtes … Sie haben es am Anfang schon mal gesagt, ein bestimmtes Gefühl zu erzeugen?
Derpmann: Ja, das ist … Wir leben ja in einen hochgradig arbeitsteiligen Zeitalter, nicht alle Produkte sind immer zweifelsfrei voneinander zu trennen, sodass man sagen kann, das ist jetzt besser als das andere, deswegen hätte ich das gerne. Und je ähnlicher sich die Produkte werden, umso stärker wirkt natürlich für die Kaufentscheidung, für die Sympathieentscheidung das Gefühl, das wir mit einer Marke oder mit einem jeweiligen Produkt verbinden. Und Sie haben jetzt am Anfang schon gesagt oder ein Zitat gehabt aus einem Maggi-Werbegedicht …
Brink: Von Frank Wedekind, ja, ja!
Derpmann: Von Frank Wedekind, das ist vielleicht auch kein Zufall, dass diese Dinge mit industrialisierter Nahrung beginnen, wo man eben möglicherweise den Unterschied von einem Brühwürfel zum nächsten gar nicht so richtig ausmachen kann, sondern wo es eben dann darauf ankommt, dass man ein bestimmtes Qualitätsgefühl mit genau diesem Produkt verbindet.
Brink: Vielen Dank, Mirko Derpmann, Kreativdirektor der Berliner Werbeagentur Scholz and Friends. Und wir sprachen über die Gratwanderung zwischen Lyrik und Werbung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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