Lyrik

Über religiöse Befindlichkeiten

Von Katharina Döbler · 25.11.2013
Keine Lobhudelei: Nach seinem Mumbai-Roman "Kein Gott in Sicht" widmet Altaf Tyrewala seiner Heimatstadt ein Gedicht. Es geht um Ungerechtigkeit und religiös begründeten Unruhen.
Nach seinem vielstimmigen Mumbai-Roman „Kein Gott in Sicht“ nun das Mumbai-Gedicht: der 35-jährige Altaf Tyrewala hat der indischen Mégalopole, seiner Heimat, nun ein zweites Buch gewidmet. Der Titel, „Das Ministerium der verletzten Gefühle“ spielt an auf religiös begründete Empfindlichkeiten, die sich immer wieder in blutigen Unruhen entladen.
Nein, Tyrewalas episches Langgedicht ist keine Hymne auf Mumbai, es ist ein Panoptikum des Schreckens, der Ungerechtigkeit, des Schmutzes und der hemmungslosen Geschäftemacherei. Aus wechselnden Perspektiven, die an Splitter eines zerbrochenen Spiegels denken lassen, setzt der Dichter das Bild einer dysfunktionalen Stadt zusammen. Aus der sicheren Existenz in einem der supermodernen Hochhäuser unmittelbar am Meer; aus dem elenden Leben einer Dalit, die in einer Hütte an dessen Fuß haust; aus dem Anblick von Sozialbauten, die nicht viel mehr als Ställe sind; aus der klimatisierten Atmosphäre einer Shopping Mall; aus einer Pissrinne am Straßenrand oder aus den künstlichen Paradiesen im alpenländischen Stil, in denen weiße Frauen bedienen: Tyrewala macht daraus wütende Gesänge von Göttern und von Scheiße, von Liebe und Infrastruktur. Und alles gehört zusammen und heißt Mumbai.
Ästhetik der Empörung
Das Gedicht ist voller Anspielungen: auf Gebräuche, Namen und aktuelle Ereignisse, die in einem angehängten Glossar zum Teil erklärt werden; aber auch auf das offenbar große literarische Vorbild, T.S. Eliots epochales Werk „The Waste Land“ von 1922.
Es ist jedoch kein Kunstwille, der hier am Werk ist, schon gar kein eklektischer, sondern eine ungewohnte Ästhetik der Empörung. Glücklicherweise hat der Verlag die Originalversion mit ihren gelegentlichen indischen Einfärbungen und ihrer rhythmisch kaum ins Deutsche übertragbaren Schroffheit neben die geradlinige Übersetzung von Beatrice Faßbender gestellt, so dass Tyrewalas Anliegen sprachlich nachvollziehbar wird.
Eliot übrigens schloss sein Gedicht mit Worten in Sanskrit.
Tyrewala nimmt darauf Bezug und feuert postkolonial zurück:
„Vergiss Shantih, Eliot, was du willst, ist Geehta/ Nicht die Baghavad, sondern die Nachtschwester aus Kerala“. Auf der Intensivstation arbeitet sie und „kümmert sich um wüste Länder in Rückenlage, gänzlich unpoetisch/ Deren Todesangst sich in stinkenden Bettpfannen sammelt“.
Altaf Tyrewala: Das Ministerium der verletzten Gefühle
Berenberg Verlag, Berlin 2013
100 Seiten, 19,00 Euro
Mehr zum Thema