Lyrik

Der Sprachspieler

Von Carsten Hueck · 02.12.2013
Der Künstler und Dichter Schuldt beschäftigt sich in seinen Texten mit Inhalt und Form von Sprache, aber auch mit deren Poesie und Magie. Der neu erschienene Band bietet eine wunderbare Gelegenheit, einen originellen Autor kennenzulernen.
Anfang der 1970er-Jahre räkelte sich der 1941 in Hamburg geborene Reedersohn Herbert Schuldt in seinem Sessel. Ihm gegenüber saß eine Bekannte. Sie durfte miterleben, wie "der letzte Dadaist" (so Hanns Zischler über Schuldt), wohlige Unsinnslaute von sich gab, während er ihr eine Geschichte erzählte.
Schuldt, der als bildender Künstler, experimenteller Dichter und Übersetzer auf seinen bürgerlichen Vornamen verzichtet, berichtete von dem rhetorischen Element einer afrikanischen Sprache, dessen Herkunft der Wissenschaft völlig rätselhaft sei.
Zehn Jahre später wurde Schuldt aufgefordert, beim jährlichen Bielefelder Colloquium für Neue Poesie einen deutschen Text vorzutragen. Er lebte damals seit Jahren in New York und schrieb auf Englisch. Aus "schierer Verzweiflung" rettete ihn seine Erinnerung an die einst improvisierte Geschichte der verborgenen Wurzel jenes afrikanischen Ausdrucks. Er schrieb sie nieder, fand sie jedoch unmöglich. Schrieb sie erneut, diesmal auf Englisch und übersetzte sie dann ins Deutsche: "In Togo, dunkel" wurde sofort nach der Lesung mit zwei weiteren Geschichten in einer Literaturzeitschrift gedruckt. Die Auflage von 500 Exemplaren war schnell vergriffen.
Nun, mehr als 30 Jahre später, erscheinen diese drei Geschichten, diesmal in einer aufwendig gestalteten Buchausgabe erneut - mit Fotos des Künstlers Lothar Baumgarten, Zeichnungen der Yanomani, der größten indigenen Volksgruppe im Amazonasgebiet, und einem ausführlichen Anhang.
Unerklärliche Laute aus Togo
Die Titelgeschichte erzählt vom Stamm der N'gko Utari in Togo. Deren Sprache wird eingehend im 19. Jahrhundert von deutschen Missionaren, im 20. von Hamburger Linguisten untersucht. Eine sprachliche Eigentümlichkeit allerdings bleibt unerklärlich. Schuldt erklärt sie schließlich nach Recherchen in Handelsarchiven der Ostindischen Kompanie. Dort wird von der Rettung zweier französischer Schiffbrüchiger berichtet. Sie hatten knapp 50 Jahre bei den N'gko Utari verbracht und die Angewohnheit, ihre Seufzer mit einem "Ich hab' die Schnauze voll" zu beenden.
In der zweiten Geschichte "Idole aus Piratenhand" beschreibt der Autor die Faszination der Japaner für Teddybären. Im 18. Jahrhundert gelangten sie, erste Boten westlicher Kultur, aus Händen malaiischer Piraten in die der damals vom Rest der Welt abgeschlossen lebenden Inselbewohner.
"Die Totem-Esser", dritte und längste Geschichte des Bandes, beschreibt das Zusammentreffen von Amazonasindianern und einem Leipziger Anthropologen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Körper der Indianer waren über und über mit Fäden bedeckt, an denen kleine Dinge befestigt waren: einem Kleid aus Gegenständen und Essbarem. Die Kommunikation untereinander fand statt über das Berühren und Verspeisen der Dinge.
Reflexionen über den materiellen Gehalt von Sprache
In all diesen Geschichten geht es um Sprache. Um Inhalt und Form von Sprache, um ihren materiellen Gehalt, um Zeichen und kulturell bedingte Missverständnisse, um die Bedeutung des Empfängers beim Sprechakt. Auch um Poesie und Magie, um Verführung durch Literatur: Schuldt schreibt hier fast wie ein Anthropologe – und ist doch ein Akrobat.
Die Wiederveröffentlichung dieses schmalen Bändchens ist eine wunderbare Gelegenheit, einen originellen Sprachspieler kennenzulernen, dessen Arbeiten nur wenig von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen werden.
Schuldt: In Togo, dunkel
Rowohlt Verlag, Reinbek 2013
135 Seiten, 24,95 Euro