"Luzifer ist eine tragische Figur"

Peter Eötvös im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 22.02.2010
Der ungarische Komponist Peter Eötvös hat sich zusammen mit dem deutschen Dramatiker Albert Ostermaier an die Neubearbeitung des ungarischen Nationalepos' "Die Tragödie des Menschen" gewagt. Bei ihm wird es zu einer "Tragödie des Teufels", denn "er steht in ständigem philosophischen Kampf Gott gegenüber". Sein Niedergang des Leibhaftigen wird heute abend an der Bayerischen Staatsoper München uraufgeführt.
Sigrid Brinkmann: Peter Eötvös hat 13 Jahre lang das von Pierre Boulez begründete Ensemble Intercontemporain geleitet. Als Gastdirigent tritt er in großen Konzerthäusern auf, und seine eigenen Opernkompositionen, darunter "Angels in America", "Love and other demons" und "Die drei Schwestern" gehören zu den meistgespielten Stücken des zeitgenössischen Musiktheaters.

Heute Abend um 20 Uhr beginnt im Bayerischen Nationaltheater die Uraufführung von Peter Eötvös jüngstem Werk "Die Tragödie des Teufels". Das Libretto hat der Dramatiker und Lyriker Albert Ostermaier geschrieben. Peter Eötvös selbst dirigiert ein kleines Orchester im Graben, während Christopher Ward das Hauptorchester leitet.

Ich konnte am späten Vormittag mit ihm sprechen und habe ihn gefragt, ob der Teufel als der große Versucher des Menschen eher eine lächerliche und impotente Figur ist, denn die Oper wird ja als komisch-utopisches Werk angekündigt.

Peter Eötvös: Also impotent kann er nicht sein, weil laut Apokryphs mythischer Beschreibungen er ist der Vater von Kain zum Beispiel. Das ist aber wahr, dass Luzifer ist für die Liebe nicht fähig. Er kann nicht lieben, und das ist sein großes Problem, in unserer Geschichte auch, weil die erste Frau von Adam, Lilith, kommt zurück Adam wiederzuhaben auf der Basis der Liebe. Und das ist ein Punkt in unserer Oper, wo Luzifer das Spiel verliert. Lilith wird Adam wiedergewinnen und die Macht von Luzifer zu Adam wird sozusagen gestorben, Luzifer ist überflüssig in dieser Geschichte.

Ob das lächerlich ist, würde ich nicht sagen. Also Luzifer ist eine eher tragische Figur, tragische Figur in dem Moment, wo er von Gott aus dem Himmel rausgeschmissen wird. Er steht in ständigem Kampf, in ständiger philosophischer Kampf Gott gegenüber, und das hört man in unserer Oper auch ganze Zeit. Und er braucht den Menschen als Partner sozusagen in diesem Kampf gegen Gott.

In unserer Geschichte, es geht um die Macht. Ursprünglich war die Macht im Himmel nicht aufgeteilt, beziehungsweise wie Luzifer das selbst sagt: Wir waren alle Gott, bis du Gott sein wolltest. Das heißt, er sagt Gott, als ob er sich davorgezogen hätte und als Chef gegenüber den anderen Engeln behauptet hätte. Daraufhin wird er natürlich aus dem Himmel rausgeschmissen.

Und da, wo Luzifer dann Adam begegnet, die ganze Zeit versucht er, Adam Situation zu schaffen, indem er für Adam vorschlägt, diese Macht mit Gott zu besprechen, zu fühlen, zu erobern als Pharao und in verschiedenen Positionen, in verschiedenen Epochen in unserer Geschichte, Menschengeschichte, und das gelingt ihm nicht.

Also Gott gewinnt am Schluss, Luzifer verliert gegenüber Gott, und Luzifer verliert das Spiel auch gegenüber Lilith.

Brinkmann: Herr Eötvös, wie eng haben Sie mit Albert Ostermaier zusammengearbeitet, der sehr viel für das Theater geschrieben, aber als Librettist weniger Erfahrung gesammelt hat?

Eötvös: Wir haben von Anfang an zusammengearbeitet. Ich weiß, dass er weniger Libretto-Oper, Libretto geschrieben hat, aber es ist trotzdem nicht seine erste gewesen. Ich kenne seine Bücher, ich kannte seine Bücher, bevor ich ihn Herrn Bachler vorgeschlagen habe. Er hat eine äußerst dichte dichterische Sprache, jedes Wort ist mehrdeutig, führt in mehrere verschiedene Richtungen, und das hat mich gerade interessiert.

Der Originaltext von Madach ist ein Lesedrama sozusagen. Es ist als Text nicht günstig zu bearbeiten, und ich wollte auf jeden Fall auf Deutsch machen, also ich bräuchte einen deutschen Schriftsteller oder Poeten, der das macht. Mit Ostermaier haben wir ungefähr zwei Jahre zusammengearbeitet. Er hat die zwei ersten Szenen komponiert, hat mich in Salzburg besucht vor zwei Jahren, und damals haben wir die ersten Beispiele gesehen, wie die Oper weitergehen kann.

Er hat mir zwei Typen, Texttypen vorgestellt – eine war dialogartig und die andere war eher poetische Dichtung. In der Dichtung, in der poetischen Form, gibt es bei ihm kein Komma, kein Punkt, keine Fragezeichen, es fließt alles ineinander über und jedes Wort kann eine Verbindung zu dem vorigen oder zum nächsten oder noch ein paar Zeilen tiefer haben. Gerade das ist musikalisch interessant. Also mit Dichtungen komme ich in der Musik viel schneller voran als mit Dialogen. Die Dialoge sind nötig, die Geschichte verfolgen zu können, aber die richtige Musik sind in diesen Dichtungen drin.

Brinkmann: Eine utopische Oper, die spielt in einer zukünftigen Welt, sie reißt den Himmel auf und ebenso Abgründe. Sie nutzt sicherlich auch virtuelle Räume. Wie, Herr Eötvös, haben Sie musikalisch Brüche gesetzt?

Eötvös: Ich hab die musikalische Sprache dieser Oper wieder neu formuliert gegenüber meine früheren Opern. Ich glaube, in jeder Oper bis jetzt, das ist meine siebte jetzt, habe ich geschaffen, eine zu dem Thema oder zu dem Text adäquaten musikalischen Stil zu finden. Die haben gerade dadurch eine gemeinsame Eötvös-Stil, dass sie in vielen Elementen unterschiedlich sind.

Ich glaube, dieser Aspekt ist sehr wichtig zu nennen, weil jede Geschichte braucht eine andere Art von Erzählung. Die spielen in verschiedenen Epochen ab, die Charaktere sind unterschiedlich. Für dieses Stück war nötig, dass ich eine Zeitlosigkeit schaffe, Zeitlosigkeit, weil die Geschichte könnte genauso in der fernen Zukunft gespielt werden als in der fernen Vergangenheit. Das ist gar nicht klar zu entscheiden, ob das jetzt ein Zukunftsbild oder ein Vergangenheitsbild ist, was wir hier beschrieben haben.

Ich meine daher, weil gerade dieses Motiv, Lilith-Motiv, die erste Frau von Adam, dass sie Adam wieder zurückhaben möchte, das könnte auch damals geschehen.

Die Musik, die ich jetzt geschrieben habe, ist eher schattenhaft, würde ich sagen. Schattenhaft in der Behandlung, musikalische Behandlung. Es ist so, als ob sie mit Bleistift also ganz feine Schattierungen, keine starke Linien, also keine konkrete Formen geben, aber die ganze Geschichte in einen mythischen Nebel versetzen, und dadurch sind wir in jeder Situation am richtigen Platz. Ich beleuchte bestimmte Szenen mit der Musik, aber ganze Zeit gebe ich einen durchgehenden Fluss von 100, 105 Minuten.

Brinkmann: Sie haben, Herr Eötvös, die Oper "Love and other demons" geschrieben nach einem Roman von Gabriel Garcia Marquez, Sie haben nach Texten von Tschechow und Tony Kushner gearbeitet, wie wichtig ist denn die Literatur für Sie als Komponist?

Eötvös: Ja, Sie sehen, sehr wichtig. Sehr wichtig, weil meine Oper sind Spieloper. Ich würde sie so nennen, in dem die Geschichte sehr wichtig ist, dass die Zuschauer von erste Sekunde an sich mit der Bühne verbunden fühlen, dass der Text, was sie hören, wertvoll ist, und dass die Situationen, die diese großen Autoren geschrieben haben und ausgedacht haben, ausgeführt, also musikalisch hingeführt werden.

Also mein Ziel, diese Oper zu schreiben und diese Texte dafür zu benutzen, ist gerade das, dass ich die Zuschauer emotionell zu diesen Situationen hinführen möchte. Das ist meine Art, meine Leseart. Weil wenn wir diese Bücher lesen, diese Geschichte lesen, wir haben eine innere Vorstellung, jeder, also jeder Leser. Vielleicht nicht klanglich, aber wir stellen uns die Situation bildlich vor beim Lesen. Ich kann dazu die Zuhörer verhelfen, mit meiner emotionsreichen, musikalischen Sprache auch die Gefühle so zu steuern, dass sie das, was sie sehen, was sie hören, mit dieser Klang umgegeben wird.
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