Lustige Zeiten
"Im ganzen Lande wütet die Seuche! Es ist nicht der Typhus. Es ist der Humor." Erich Kästner, den man hier zu Lande gerne einen "Humoristen" nennt, sprach so über den Karneval. Sein Urteil gilt bis heute. Übermorgen wird’s ganz schrecklich. Wenn eigentlich alles zu Ende ist, erreicht der öffentliche Krampf noch einmal einen traurigen Höhepunkt. Oder muss man Tiefpunkt sagen? Von wegen "Am Aschermittwoch ist alles vorbei".
Wenn der gläubige Christ nach durchtobtem Karneval mit dem Aschenkreuz auf der Stirn in sich geht, Kehraus und Einkehr in einem hält, dann haut der Politiker beim politischen Aschermittwoch noch mal so richtig auf die Pferde. Buchstäblich. Am Anfang dieser allgemeinen Volksbelästigung stand nämlich der Rossmarkt in Vilshofen, der mit einem Bauernfrühschoppen abgeschmeckt wurde. Daraus wurde später ein CSU-Saufgelage in der Nibelungenhalle in Passau, wo traditionell die Stammtischfähigkeit der eigenen Parolen getestet wird.
Das war früher auch noch ganz nett, als Franz-Josef Strauß selig die Massen zur Wallung brachte. Zuerst hat er immer eine Stunde lang ein volkswirtschaftliches Kolleg heruntergebrabbelt, bei dem sich der Bajuware als solcher vor Verzweiflung in den Bierkrug stürzte. Und als alle völlig blau waren, hat er unter großem Gejohle vom Leder gezogen und alle beschimpft, die ihm in den Sinn kamen. Das ungemeine Medieninteresse an dieser Art bajuwarischer Folklore hat dazu geführt, dass nun alle Parteien den Aschermittwoch zelebrieren. Und alles ist nur noch stinklangweilig.
Weil ein jeder zitierfähig komisch sein will. Also werden Büttenreden gehalten wie im Karneval. Wo so genannte Humoristen auftreten, die Sachen loslassen wie diese: "Ich hab nichts gegen Beamte. Die tun doch nichts." Tosender Beifall, schallendes Gelächter, Jubel, Trubel, Heiserkeit. Auch so genannte politische Witze sind sehr beliebt. Eine Zeitlang reichte es, wenn ein Büttenredner "Angela Merkel" sagte. Mördergag. Schenkelbrecher. Die Leute winden sich vor Lachen am Boden, hauen auf den Tisch, zerdeppern Gläser und Flaschen – obwohl man dazu keinen Witze-Erzähler braucht. Das gehört auch so zum karnevalistischen Frohsinn.
Der enge Zusammenhang zwischen dieser Art von Pseudo-Humor und Politik zeigt sich am allerschönsten bei der Verleihung des "Ordens wider den tierischen Ernst" in Aachen. Selbst wer glaubt, dass Karneval irgendwas mit Frohsinn, gar mit Humor zu tun haben könnte, fällt schon beim Gedanken an diese absolut spaßfreie, stumpf-dumpf-gockelsteife Veranstaltung jählings in Tiefschlaf. Aber Politiker zeigen sich dort gern. Das dumme Getue wird im Fernsehen übertragen, schon allein deshalb nehmen andere Medien Notiz davon, und überhaupt sind Politiker gerne mal davon überzeugt, dass hier Volkes Stimme spricht oder Volkes Geschmack getroffen wird. Dabei treffen sich hier nur die Geschmäcker von Funktionären: Frohsinns-Funktionäre auf der einen, Politik-Funktionäre auf der anderen Seite.
Da findet man es eben witzig, wenn jugendliche Arbeitslose mit einer "blond card" nach Indien ausgelagert werden sollen. Brüllendes Gelächter bei dieser "Kinder-statt-Inder" Nummer, und dass Merz diese Peinlichkeiten aus dem Internet abgekupfert hat, stört den organisierten Frohsinn keineswegs. "Das macht die Rede nicht schlechter", war die offizielle Reaktion des Aachener Karnevalsvereins. Und man wird dem Herrn Merz auch keinen Vorwurf daraus machen können, dass diese Rede seit langem in der rechten Szene kursiert. Er fand es halt lustig und hat weiter nicht drüber nachgedacht.
Liegt es an Deutschland? Humoristen, so befand Erich Kästner, sind hierzulande allenfalls "Klamottenfritzen, die, in Amüsierlokalen und in zu knappen Jacketts, unappetitliche Witze von sich geben". Ähnlich Karl Kraus, der deutschem Humor die "Atmosphäre der Unappetitlichkeit" zuschreibt, mit nichts beschäftigt als mit Fressen und Saufen. Das trifft aber selbst für den so gerühmten englischen Humor zu. Man besuche zum Beispiel eine Music-Hall in Blackpool am späten Samstagnachmittag. Die Nationalität macht nicht den Humor. Auch nicht die Gesellschaftsschicht. Den Spießer gibt es überall.
Humor heißt Leichtigkeit und Gelassenheit im Umgang mit der Mitwelt, heißt vitale Freude am Reichtum des Lebens bis hin zum Spaß am puren Blödsinn. Nicht zu vergessen die kritische, ja anarchische Ader des Humors, der alle Wichtigtuerei, alles Großspurige, Großkotzige, Aufgeblasene lächerlich macht. Der Spießerhumor dagegen macht sich über Ausländer, Asylanten, Juden oder andere Minderheiten lustig, das ist im doppelten Sinne "billiger", und findet gerne alles in Ordnung, was Recht und Ordnung vorschreiben. Von dieser Art ist in aller Regel der Karnevals-Humor, und er findet zumindest in einer bestimmten Kategorie von Politikern seine natürlichen Verbündeten.
Theodor W. Adorno erzählt die Geschichte von der Gattin eines Eisenbahnpräsidenten, die bei einem gesellschaftlichen Großereignis im knallroten Sommerkleid von einer Wildsau auf den Rücken genommen und davongetragen wird. "Hätte ich ein Leitbild, dann wäre es jenes Tier", resümiert Adorno. Diese Art von gelassener Überheblichkeit, die eine ordensbehängte Brust lächerlich, Honoratioren im Cut albern und Honoratioren-Gattinnen zum Schreien findet, sollte das Zentrum jeder Leitkultur-Debatte sein. Dann hätten wir die Debatte schnell hinter uns.
Dr. Peter Zudeick, langjähriger Korrespondent in Bonn und jetzt in Berlin, Buchveröffentlichungen unter anderem "Der Hintern des Teufels. Ernst Bloch - Leben und Werk", "Alternative Schulen" und "Saba - Bilanz einer Aufgabe".
Das war früher auch noch ganz nett, als Franz-Josef Strauß selig die Massen zur Wallung brachte. Zuerst hat er immer eine Stunde lang ein volkswirtschaftliches Kolleg heruntergebrabbelt, bei dem sich der Bajuware als solcher vor Verzweiflung in den Bierkrug stürzte. Und als alle völlig blau waren, hat er unter großem Gejohle vom Leder gezogen und alle beschimpft, die ihm in den Sinn kamen. Das ungemeine Medieninteresse an dieser Art bajuwarischer Folklore hat dazu geführt, dass nun alle Parteien den Aschermittwoch zelebrieren. Und alles ist nur noch stinklangweilig.
Weil ein jeder zitierfähig komisch sein will. Also werden Büttenreden gehalten wie im Karneval. Wo so genannte Humoristen auftreten, die Sachen loslassen wie diese: "Ich hab nichts gegen Beamte. Die tun doch nichts." Tosender Beifall, schallendes Gelächter, Jubel, Trubel, Heiserkeit. Auch so genannte politische Witze sind sehr beliebt. Eine Zeitlang reichte es, wenn ein Büttenredner "Angela Merkel" sagte. Mördergag. Schenkelbrecher. Die Leute winden sich vor Lachen am Boden, hauen auf den Tisch, zerdeppern Gläser und Flaschen – obwohl man dazu keinen Witze-Erzähler braucht. Das gehört auch so zum karnevalistischen Frohsinn.
Der enge Zusammenhang zwischen dieser Art von Pseudo-Humor und Politik zeigt sich am allerschönsten bei der Verleihung des "Ordens wider den tierischen Ernst" in Aachen. Selbst wer glaubt, dass Karneval irgendwas mit Frohsinn, gar mit Humor zu tun haben könnte, fällt schon beim Gedanken an diese absolut spaßfreie, stumpf-dumpf-gockelsteife Veranstaltung jählings in Tiefschlaf. Aber Politiker zeigen sich dort gern. Das dumme Getue wird im Fernsehen übertragen, schon allein deshalb nehmen andere Medien Notiz davon, und überhaupt sind Politiker gerne mal davon überzeugt, dass hier Volkes Stimme spricht oder Volkes Geschmack getroffen wird. Dabei treffen sich hier nur die Geschmäcker von Funktionären: Frohsinns-Funktionäre auf der einen, Politik-Funktionäre auf der anderen Seite.
Da findet man es eben witzig, wenn jugendliche Arbeitslose mit einer "blond card" nach Indien ausgelagert werden sollen. Brüllendes Gelächter bei dieser "Kinder-statt-Inder" Nummer, und dass Merz diese Peinlichkeiten aus dem Internet abgekupfert hat, stört den organisierten Frohsinn keineswegs. "Das macht die Rede nicht schlechter", war die offizielle Reaktion des Aachener Karnevalsvereins. Und man wird dem Herrn Merz auch keinen Vorwurf daraus machen können, dass diese Rede seit langem in der rechten Szene kursiert. Er fand es halt lustig und hat weiter nicht drüber nachgedacht.
Liegt es an Deutschland? Humoristen, so befand Erich Kästner, sind hierzulande allenfalls "Klamottenfritzen, die, in Amüsierlokalen und in zu knappen Jacketts, unappetitliche Witze von sich geben". Ähnlich Karl Kraus, der deutschem Humor die "Atmosphäre der Unappetitlichkeit" zuschreibt, mit nichts beschäftigt als mit Fressen und Saufen. Das trifft aber selbst für den so gerühmten englischen Humor zu. Man besuche zum Beispiel eine Music-Hall in Blackpool am späten Samstagnachmittag. Die Nationalität macht nicht den Humor. Auch nicht die Gesellschaftsschicht. Den Spießer gibt es überall.
Humor heißt Leichtigkeit und Gelassenheit im Umgang mit der Mitwelt, heißt vitale Freude am Reichtum des Lebens bis hin zum Spaß am puren Blödsinn. Nicht zu vergessen die kritische, ja anarchische Ader des Humors, der alle Wichtigtuerei, alles Großspurige, Großkotzige, Aufgeblasene lächerlich macht. Der Spießerhumor dagegen macht sich über Ausländer, Asylanten, Juden oder andere Minderheiten lustig, das ist im doppelten Sinne "billiger", und findet gerne alles in Ordnung, was Recht und Ordnung vorschreiben. Von dieser Art ist in aller Regel der Karnevals-Humor, und er findet zumindest in einer bestimmten Kategorie von Politikern seine natürlichen Verbündeten.
Theodor W. Adorno erzählt die Geschichte von der Gattin eines Eisenbahnpräsidenten, die bei einem gesellschaftlichen Großereignis im knallroten Sommerkleid von einer Wildsau auf den Rücken genommen und davongetragen wird. "Hätte ich ein Leitbild, dann wäre es jenes Tier", resümiert Adorno. Diese Art von gelassener Überheblichkeit, die eine ordensbehängte Brust lächerlich, Honoratioren im Cut albern und Honoratioren-Gattinnen zum Schreien findet, sollte das Zentrum jeder Leitkultur-Debatte sein. Dann hätten wir die Debatte schnell hinter uns.
Dr. Peter Zudeick, langjähriger Korrespondent in Bonn und jetzt in Berlin, Buchveröffentlichungen unter anderem "Der Hintern des Teufels. Ernst Bloch - Leben und Werk", "Alternative Schulen" und "Saba - Bilanz einer Aufgabe".