Lustgewinn und Endzeitsehnsucht
Die Menschen, und vor allem die sensiblen und ängstlichen unter ihnen, lassen sich gern von Weltuntergangsszenarien und Endzeithysterien verführen, sagt der Buchautor Hugo Stamm. Aus dem Gefühl, die Apokalypse überlebt zu haben, würden sie Befriedigung ziehen. Ihre Sehnsucht nach Erlösung habe sich dann gleichsam bestätigt.
Kirsten Westhuis: Immer, immer wieder geht die Sonne auf – das sang Udo Jürgens schon vor 45 Jahren und selbst an den dunkelsten Wintertagen des Jahres, und selbst am Tag eins nach dem Ablauf des Maya-Kalenders hat er mal wieder Recht. Ein neuer Tag. Kein Weltuntergang. Aus für die Verschwörungstheorien.
Doch die nächsten Endzeitbeschwörer werden nicht lange auf sich warten lassen, vermutet der Journalist und Autor Hugo Stamm. Wie unter Zwang suchen viele Menschen endzeitträchtige Ereignisse, erläutert er in seinem Buch "Im Bann des Maya-Kalenders – Endzeithysterie in Sekten und Esoterik".
Mein Kollege Philipp Gessler hat vor der Sendung mit Hugo Stamm über die Faszination der Endzeitszenarien gesprochen. Und als erstes hat er ihn gefragt, ob er denn den 21.12. gut überstanden hat:
Hugo Stamm: Ja, selbstverständlich, es ist ein Tag wie jeder andere, ein Arbeitstag gewesen, und die Erwartung, dass da irgendwas Großes passieren würde, die war ohnehin nicht da. Also, insofern, abends ohnehin einen guten Schluck Wein, der gehört dazu, ob nun die Welt untergeht oder nicht.
Philipp Gessler: In Ihrem Buch zeigen Sie, dass fast alle Menschen fast aller Kulturen und Zeiten immer wieder von der Angst befallen waren, die Welt könnte untergehen. Woher kommt denn eigentlich diese Neigung?
Stamm: Ja nun – eigentlich war ja gestern sehr wohl der Weltuntergang. Der Weltuntergang, der findet täglich statt, überall dort, wo Katastrophen vorhanden sind, wo Menschen tödlich erkrankt sind. Werfen Sie einen Blick ins Internet, Zeitungen, Fernsehen, Radio – überall sind Sie umzingelt von Endzeitideen. Also das ist ein archetypisches Bild, das sich tief ins Bewusstsein verankert hat und natürlich auch durch die religiösen, apokalyptischen Vorstellungen geprägt ist.
Gessler: Können Sie denn in diesen Fantasien auch eine Art Angstlust erkennen?
Stamm: Es ist ja so, dass wir immer wieder Endzeitassoziationen haben und dann erfahren, wir haben es überlebt. Und nach einem schweren Unfall, nach einer Genesung, da geht das Leben wieder weiter. Und dann hat die Erinnerung nur etwas Schauriges an sich, aber auch etwas Gruseliges und natürlich auch etwas Lustfreundliches, weil wir das ja überstanden haben. Also insofern berühren sich hier Ängste, aber auch eine voyeuristische Faszination sehr eng, und das Überleben einer apokalyptischen individuellen Szene führt natürlich auch zu einem Lustgewinn. Und von daher berühren sich eben zwei sehr extreme Emotionen und das fördert auch die Faszination.
Gessler: Aber warum ist denn dann gerade der Maya-Kalender für so viele Menschen so faszinierend, auch wenn alle ernsthaften Forscher, wie wir ja gerade in den letzten Tagen gelernt haben, gar nicht glauben, dass die Mayas glaubten, die Welt könnte am 21.12.2012 untergehen?
Stamm: Die Maya, die sind ein indigenes Volk, und wir haben nur noch relativ wenige Zeugen, weil die Konquistadores, also die spanischen Eroberer und später die christlichen Missionare fast alle Zeugnisse zerstört haben. Und das lässt natürlich viel Raum für Spekulationen und Verschwörungstheoretiker und Apokalyptiker. Die projizieren nun all ihre Sehnsüchte und Ängste in dieses angeblich so hochspirituelle indigene Volk.
Und das erlaubt natürlich, die eigenen Sehnsüchte hinein zu projizieren. Und das führt zu unglaublichen Spekulationen. Und all das führt natürlich dazu, dass man diese unterschwelligen Endzeitvorstellungen, diese Lust nach der Apokalypse am Beispiel der Maya so wunderschön kultivieren kann. Und es zeigt die Geschichte: So alle Jahrzehnte braucht die Welt wieder irgendeinen Mythos vom Weltuntergang, und nachdem das die Jahrtausendwende nicht war, ist nun das Auslaufen des Maya-Kalenders ein perfektes Datum und Ereignis, um diese Endzeitsehnsucht wieder hochkochen zu lassen.
Gessler: Es ist ja interessant, dass auch am Anfang des christlichen Abendlandes die Erwartung stand, dass die Welt zu Ende geht. Einige Stellen im Neuen Testament deuten darauf hin, dass viele der ersten Christen genau dieses Ende erwartet haben. Wann und warum hat sich das Christentum denn von diesem Glauben gelöst?
Stamm: Ja, eigentlich waren die Urchristen überzeugt, dass mit der Geburt von Jesus und seinem Predigen die Endzeit anbricht. Und alles spricht dafür, dass Jesus selbst geglaubt hat, dass mit seiner Geburt, mit seinem Wirken auf der Erde, er die Endzeit begründet. Und deshalb sind auch die Urchristen nicht auf die Idee gekommen, etwas aufzuschreiben über das Leben von Jesus. Die Evangelien wurden ja dann erst später, 20, 30, 40 Jahre nach dem Tod von Jesus aufgeschrieben, als die Urchristen realisiert haben, ja, das mit der Endzeit im Zusammenhang mit Jesus, das kann ja dann wohl nicht stimmen. Aber diese Sehnsucht ist tief vorhanden und die Hoffnung, zu den Erlösten zu gehören, zu erleben, dass Jesus wiederkommt und dann definitiv das Ende der Zeit einläutet, diese Sehnsucht liegt tief im Bewusstsein der Menschen verankert.
Gessler: Verankert ist das ja auch durch die Offenbarung des Johannes. Das ist ja für unseren Kulturkreis so etwas wie die Urmutter aller Endzeitfantasien. Warum fasziniert uns dieses fast 2000 Jahre alte Buch immer noch so?
Stamm: Das sind archetypische Bilder, also die Engel, die die Feuerschalen ausleeren und ein Drittel der Erde verbrennt. Also all diese Horrorkatastrophen, diese Naturkatastrophen, das sind die Urbilder, die wir mit der Apokalypse verbinden, und eben auch hier das Zusammenprallen von Bösem und von der Hoffnung, von der Sehnsucht nach Erlösung kumuliert sich hier natürlich in extremen Bildern, die einerseits Grauen auslösen, andererseits Hoffnung auf Erlösung, auf das Eingehen ins Paradies. Das sind so starke, gewaltige Bilder, die die Menschen umtreiben. Und natürlich, irgendwo verankern sich diese Endzeitbilder tief in unserem Bewusstsein und prägen teilweise unser Denken und auch unser Fühlen in Bezug auf das Ende des Lebens, sei das individuell oder eben für die ganze Menschheit.
Gessler: Interessant ist ja, dass – Sie beschreiben das in Ihrem Buch – die Kirche immer wieder, etwa um das Jahr 1000 auch, Endzeithysterien bekämpft hat. Warum denn eigentlich? Weil der Klerus klüger war als der Rest der Bevölkerung?
Stamm: Ganz so genau wissen wir das nicht, aber ich habe eine andere Vermutung. Früher war das Leben natürlich um einiges schwieriger, und vor allem auch für den Klerus. Die Akzeptanz war nicht so groß, aber damals hatten sie dann doch – wenn man denkt an die Klöster, an die Ländereien – sie lebten im Wohlstand. Also der Klerus, der hat sich verbündet mit den politischen Instanzen, und das hat sie natürlich ans Leben gebunden. Und ich denke, daher waren sie gar nicht interessiert, diese Endzeitideen weiter zu kultivieren. Sie wollten leben, sie wollten das Leben genießen. Es war endlich ein bisschen angenehmer als das ihrer Vorfahren, und ich denke, das sind psychologisch ganz handfeste eigene Interessen, die sie dazu geführt haben, diese Endzeithysterie zu dämpfen.
Gessler: Gerade für Sekten scheinen ja Endzeitfantasien attraktiv zu sein. Woran liegt das denn eigentlich?
Stamm: Sie glauben, die einzig wahre Heilslehre zu vertreten, der einzig wahre Guru oder Prophet oder Gesandte Gottes zu sein und dadurch legitimiert auch, das Heil der Menschheit, die Zukunft festlegen zu können. Von daher sind eigentlich fast alle Sekten mit einem starken apokalyptischen Impetus behaftet, weil das ihnen eben Macht gibt, weil das ihnen Gewicht gibt, weil es in der Geschichte der Menschheit eine starke Position gibt, vermeintlich. Es ist Aberglaube, aber sie können dadurch natürlich ihre Anhänger in den Bann ziehen und sie natürlich mit den Ängsten aber auch an sich binden, so im Sinne von "Bei uns erlebst du das Heil, bei uns hast du die Chance, die Apokalypse zu überleben."
Gessler: Interessant an der Apokalypse ist ja immer, an dieser Endzeit, dass es gepaart ist mit Hoffnung. Die Bösen werden gerichtet und die Reinen werden gerettet, wobei man sich selber immer zu den Reinen zählt.
Stamm: Das ist das Urprinzip des menschlichen Lebens an sich. Also die Angst ist der ständige Begleiter. Wir brauchen auch die Angst, um überleben zu können, um gewappnet zu sein vor Gefahren, sie rechtzeitig zu erkennen. Aber die Angst ist natürlich auch ein zerstörerisches Element, weil es nimmt uns die Lebenskraft, die Perspektive.
Und von daher ist die Hoffnung als Gegenpol entscheidend. Und das kultivieren natürlich auch die Religionen, die Glaubensgemeinschaften, indem sie sagen, bei uns überwiegt die Hoffnung, bei uns hast du reelle Chancen, wenn du dich gottesfürchtig und sektengetreu verhältst. Dass du dann eben zu den Auserwählten, zur Elite gehörst, die gerettet wird. Und diese Hoffnung ist quasi der Lebensmotor vieler Sektenanhänger, die ja in der Regel sehr sensibel sind, oft psychisch auffällig, besonders stark von Ängsten verfolgt. Deshalb lehnen sie sich eben an solche autoritären Strukturen an. Und von daher spielt eben die Endzeit bei den meisten sektenhaften Gruppen eine wichtige Rolle.
Gessler: Ist der Glaube an eine Apokalypse nicht vergleichbar mit dieser Fantasie von vor allem Kindern und Jugendlichen, dass man an der eigenen Beerdigung dabei sein könnte, um die schönen Wort über einen zu hören?
Stamm: Jeder Mensch hofft natürlich, eine Ausnahme zu sein, ein besonderes Wesen zu sein, zu den Auserwählten zu gehören. Und da kommen natürlich oft kindliche Fantasien, die diese Ängste eindämmen sollen. Deshalb kann man wohl nur mit einer nüchternen Analyse die Zusammenhänge erkennen und sich dann von solchem Aberglauben lösen. Aber das braucht sehr viel Kraft und das braucht sehr viel Energie. Und es zerstört wahrscheinlich auch einige Illusionen.
Gessler: Wenn man sich, wie Sie, über Jahre mit Endzeitfantasien befasst, ist man dann besonders lebensfroh, weil man merkt, die Unheilverkünder liegen immer falsch?
Stamm: Nein, eigentlich zermürbt es eher. Wenn man erkennt, was für falsche Mythen da gezüchtet werden und wie sie leicht Opfer finden und wie es viele verunsicherte Menschen gibt, die solchen Halt, solche Krücken brauchen, obwohl wir eigentlich von der geistigen Entwicklung her - von der wissenschaftlichen, technischen - meinen müsste, wir könnten das überwinden, so sind doch die triebhaften Aspekte noch sehr präsent bei uns.
Und das ist eigentlich bedauerlich, dass noch sehr viele in dieser Abhängigkeit stecken und von solchen irrationalen Ängsten verfolgt werden und sich nicht befreien können. Also ich wünsche eigentlich den Menschen, dass die Leichtigkeit des Seins finden, indem sie solche Ängste abschütteln, weil es ja irrationale Ängste sind. Und dass sie solche verführerischen Ideen hinterschauen und sich eben nicht davon beeinflussen lassen.
Kirsten Westhuis: Schluss mit irrationaler Angst – das war der Schweizer Journalist und Autor Hugo Stamm. Sein Buch "Im Bann des Maya-Kalenders" ist beim Gütersloher Verlagshaus erschienen, hat 270 Seiten und kostet 19,99 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Doch die nächsten Endzeitbeschwörer werden nicht lange auf sich warten lassen, vermutet der Journalist und Autor Hugo Stamm. Wie unter Zwang suchen viele Menschen endzeitträchtige Ereignisse, erläutert er in seinem Buch "Im Bann des Maya-Kalenders – Endzeithysterie in Sekten und Esoterik".
Mein Kollege Philipp Gessler hat vor der Sendung mit Hugo Stamm über die Faszination der Endzeitszenarien gesprochen. Und als erstes hat er ihn gefragt, ob er denn den 21.12. gut überstanden hat:
Hugo Stamm: Ja, selbstverständlich, es ist ein Tag wie jeder andere, ein Arbeitstag gewesen, und die Erwartung, dass da irgendwas Großes passieren würde, die war ohnehin nicht da. Also, insofern, abends ohnehin einen guten Schluck Wein, der gehört dazu, ob nun die Welt untergeht oder nicht.
Philipp Gessler: In Ihrem Buch zeigen Sie, dass fast alle Menschen fast aller Kulturen und Zeiten immer wieder von der Angst befallen waren, die Welt könnte untergehen. Woher kommt denn eigentlich diese Neigung?
Stamm: Ja nun – eigentlich war ja gestern sehr wohl der Weltuntergang. Der Weltuntergang, der findet täglich statt, überall dort, wo Katastrophen vorhanden sind, wo Menschen tödlich erkrankt sind. Werfen Sie einen Blick ins Internet, Zeitungen, Fernsehen, Radio – überall sind Sie umzingelt von Endzeitideen. Also das ist ein archetypisches Bild, das sich tief ins Bewusstsein verankert hat und natürlich auch durch die religiösen, apokalyptischen Vorstellungen geprägt ist.
Gessler: Können Sie denn in diesen Fantasien auch eine Art Angstlust erkennen?
Stamm: Es ist ja so, dass wir immer wieder Endzeitassoziationen haben und dann erfahren, wir haben es überlebt. Und nach einem schweren Unfall, nach einer Genesung, da geht das Leben wieder weiter. Und dann hat die Erinnerung nur etwas Schauriges an sich, aber auch etwas Gruseliges und natürlich auch etwas Lustfreundliches, weil wir das ja überstanden haben. Also insofern berühren sich hier Ängste, aber auch eine voyeuristische Faszination sehr eng, und das Überleben einer apokalyptischen individuellen Szene führt natürlich auch zu einem Lustgewinn. Und von daher berühren sich eben zwei sehr extreme Emotionen und das fördert auch die Faszination.
Gessler: Aber warum ist denn dann gerade der Maya-Kalender für so viele Menschen so faszinierend, auch wenn alle ernsthaften Forscher, wie wir ja gerade in den letzten Tagen gelernt haben, gar nicht glauben, dass die Mayas glaubten, die Welt könnte am 21.12.2012 untergehen?
Stamm: Die Maya, die sind ein indigenes Volk, und wir haben nur noch relativ wenige Zeugen, weil die Konquistadores, also die spanischen Eroberer und später die christlichen Missionare fast alle Zeugnisse zerstört haben. Und das lässt natürlich viel Raum für Spekulationen und Verschwörungstheoretiker und Apokalyptiker. Die projizieren nun all ihre Sehnsüchte und Ängste in dieses angeblich so hochspirituelle indigene Volk.
Und das erlaubt natürlich, die eigenen Sehnsüchte hinein zu projizieren. Und das führt zu unglaublichen Spekulationen. Und all das führt natürlich dazu, dass man diese unterschwelligen Endzeitvorstellungen, diese Lust nach der Apokalypse am Beispiel der Maya so wunderschön kultivieren kann. Und es zeigt die Geschichte: So alle Jahrzehnte braucht die Welt wieder irgendeinen Mythos vom Weltuntergang, und nachdem das die Jahrtausendwende nicht war, ist nun das Auslaufen des Maya-Kalenders ein perfektes Datum und Ereignis, um diese Endzeitsehnsucht wieder hochkochen zu lassen.
Gessler: Es ist ja interessant, dass auch am Anfang des christlichen Abendlandes die Erwartung stand, dass die Welt zu Ende geht. Einige Stellen im Neuen Testament deuten darauf hin, dass viele der ersten Christen genau dieses Ende erwartet haben. Wann und warum hat sich das Christentum denn von diesem Glauben gelöst?
Stamm: Ja, eigentlich waren die Urchristen überzeugt, dass mit der Geburt von Jesus und seinem Predigen die Endzeit anbricht. Und alles spricht dafür, dass Jesus selbst geglaubt hat, dass mit seiner Geburt, mit seinem Wirken auf der Erde, er die Endzeit begründet. Und deshalb sind auch die Urchristen nicht auf die Idee gekommen, etwas aufzuschreiben über das Leben von Jesus. Die Evangelien wurden ja dann erst später, 20, 30, 40 Jahre nach dem Tod von Jesus aufgeschrieben, als die Urchristen realisiert haben, ja, das mit der Endzeit im Zusammenhang mit Jesus, das kann ja dann wohl nicht stimmen. Aber diese Sehnsucht ist tief vorhanden und die Hoffnung, zu den Erlösten zu gehören, zu erleben, dass Jesus wiederkommt und dann definitiv das Ende der Zeit einläutet, diese Sehnsucht liegt tief im Bewusstsein der Menschen verankert.
Gessler: Verankert ist das ja auch durch die Offenbarung des Johannes. Das ist ja für unseren Kulturkreis so etwas wie die Urmutter aller Endzeitfantasien. Warum fasziniert uns dieses fast 2000 Jahre alte Buch immer noch so?
Stamm: Das sind archetypische Bilder, also die Engel, die die Feuerschalen ausleeren und ein Drittel der Erde verbrennt. Also all diese Horrorkatastrophen, diese Naturkatastrophen, das sind die Urbilder, die wir mit der Apokalypse verbinden, und eben auch hier das Zusammenprallen von Bösem und von der Hoffnung, von der Sehnsucht nach Erlösung kumuliert sich hier natürlich in extremen Bildern, die einerseits Grauen auslösen, andererseits Hoffnung auf Erlösung, auf das Eingehen ins Paradies. Das sind so starke, gewaltige Bilder, die die Menschen umtreiben. Und natürlich, irgendwo verankern sich diese Endzeitbilder tief in unserem Bewusstsein und prägen teilweise unser Denken und auch unser Fühlen in Bezug auf das Ende des Lebens, sei das individuell oder eben für die ganze Menschheit.
Gessler: Interessant ist ja, dass – Sie beschreiben das in Ihrem Buch – die Kirche immer wieder, etwa um das Jahr 1000 auch, Endzeithysterien bekämpft hat. Warum denn eigentlich? Weil der Klerus klüger war als der Rest der Bevölkerung?
Stamm: Ganz so genau wissen wir das nicht, aber ich habe eine andere Vermutung. Früher war das Leben natürlich um einiges schwieriger, und vor allem auch für den Klerus. Die Akzeptanz war nicht so groß, aber damals hatten sie dann doch – wenn man denkt an die Klöster, an die Ländereien – sie lebten im Wohlstand. Also der Klerus, der hat sich verbündet mit den politischen Instanzen, und das hat sie natürlich ans Leben gebunden. Und ich denke, daher waren sie gar nicht interessiert, diese Endzeitideen weiter zu kultivieren. Sie wollten leben, sie wollten das Leben genießen. Es war endlich ein bisschen angenehmer als das ihrer Vorfahren, und ich denke, das sind psychologisch ganz handfeste eigene Interessen, die sie dazu geführt haben, diese Endzeithysterie zu dämpfen.
Gessler: Gerade für Sekten scheinen ja Endzeitfantasien attraktiv zu sein. Woran liegt das denn eigentlich?
Stamm: Sie glauben, die einzig wahre Heilslehre zu vertreten, der einzig wahre Guru oder Prophet oder Gesandte Gottes zu sein und dadurch legitimiert auch, das Heil der Menschheit, die Zukunft festlegen zu können. Von daher sind eigentlich fast alle Sekten mit einem starken apokalyptischen Impetus behaftet, weil das ihnen eben Macht gibt, weil das ihnen Gewicht gibt, weil es in der Geschichte der Menschheit eine starke Position gibt, vermeintlich. Es ist Aberglaube, aber sie können dadurch natürlich ihre Anhänger in den Bann ziehen und sie natürlich mit den Ängsten aber auch an sich binden, so im Sinne von "Bei uns erlebst du das Heil, bei uns hast du die Chance, die Apokalypse zu überleben."
Gessler: Interessant an der Apokalypse ist ja immer, an dieser Endzeit, dass es gepaart ist mit Hoffnung. Die Bösen werden gerichtet und die Reinen werden gerettet, wobei man sich selber immer zu den Reinen zählt.
Stamm: Das ist das Urprinzip des menschlichen Lebens an sich. Also die Angst ist der ständige Begleiter. Wir brauchen auch die Angst, um überleben zu können, um gewappnet zu sein vor Gefahren, sie rechtzeitig zu erkennen. Aber die Angst ist natürlich auch ein zerstörerisches Element, weil es nimmt uns die Lebenskraft, die Perspektive.
Und von daher ist die Hoffnung als Gegenpol entscheidend. Und das kultivieren natürlich auch die Religionen, die Glaubensgemeinschaften, indem sie sagen, bei uns überwiegt die Hoffnung, bei uns hast du reelle Chancen, wenn du dich gottesfürchtig und sektengetreu verhältst. Dass du dann eben zu den Auserwählten, zur Elite gehörst, die gerettet wird. Und diese Hoffnung ist quasi der Lebensmotor vieler Sektenanhänger, die ja in der Regel sehr sensibel sind, oft psychisch auffällig, besonders stark von Ängsten verfolgt. Deshalb lehnen sie sich eben an solche autoritären Strukturen an. Und von daher spielt eben die Endzeit bei den meisten sektenhaften Gruppen eine wichtige Rolle.
Gessler: Ist der Glaube an eine Apokalypse nicht vergleichbar mit dieser Fantasie von vor allem Kindern und Jugendlichen, dass man an der eigenen Beerdigung dabei sein könnte, um die schönen Wort über einen zu hören?
Stamm: Jeder Mensch hofft natürlich, eine Ausnahme zu sein, ein besonderes Wesen zu sein, zu den Auserwählten zu gehören. Und da kommen natürlich oft kindliche Fantasien, die diese Ängste eindämmen sollen. Deshalb kann man wohl nur mit einer nüchternen Analyse die Zusammenhänge erkennen und sich dann von solchem Aberglauben lösen. Aber das braucht sehr viel Kraft und das braucht sehr viel Energie. Und es zerstört wahrscheinlich auch einige Illusionen.
Gessler: Wenn man sich, wie Sie, über Jahre mit Endzeitfantasien befasst, ist man dann besonders lebensfroh, weil man merkt, die Unheilverkünder liegen immer falsch?
Stamm: Nein, eigentlich zermürbt es eher. Wenn man erkennt, was für falsche Mythen da gezüchtet werden und wie sie leicht Opfer finden und wie es viele verunsicherte Menschen gibt, die solchen Halt, solche Krücken brauchen, obwohl wir eigentlich von der geistigen Entwicklung her - von der wissenschaftlichen, technischen - meinen müsste, wir könnten das überwinden, so sind doch die triebhaften Aspekte noch sehr präsent bei uns.
Und das ist eigentlich bedauerlich, dass noch sehr viele in dieser Abhängigkeit stecken und von solchen irrationalen Ängsten verfolgt werden und sich nicht befreien können. Also ich wünsche eigentlich den Menschen, dass die Leichtigkeit des Seins finden, indem sie solche Ängste abschütteln, weil es ja irrationale Ängste sind. Und dass sie solche verführerischen Ideen hinterschauen und sich eben nicht davon beeinflussen lassen.
Kirsten Westhuis: Schluss mit irrationaler Angst – das war der Schweizer Journalist und Autor Hugo Stamm. Sein Buch "Im Bann des Maya-Kalenders" ist beim Gütersloher Verlagshaus erschienen, hat 270 Seiten und kostet 19,99 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.