Lust und Leid
Nach Jonathan Littells Riesenepos "Die Wohlgesinnten" erscheinen nun - wie in Frankreich nicht in seinem Hauptverlag - mit "Ein Sonntag im Sommer" die Vorübungen: vier Erzählungen über das Nebeneinander von Lust und Leid, über den Wahn, der von einem Besitz ergreift, und über die Unentschlossenheit.
Das neue Buch eines Autors wie Jonathan Littell einigermaßen objektiv zu beurteilen, ist nicht gerade einfach, vielleicht unmöglich, dafür war der Lärm - und man möchte hinzufügen: der berechtigte Lärm - um sein Opus magnum "Die Wohlgesinnten" einfach zu groß.
Es war kein Lärm um nichts. Daran konnten auch die Verrisse nichts ändern. Das Buch ist zu gut recherchiert, zu detailliert, zu stimmenreich, zu schockierend, zu mutig. "Groß und kalt" hat man es genannt.
Der deutsche Titel von Littells neuem Buch klingt weder groß noch kalt, eher wie der eines hübschen französischen Liebesfilms: "Ein Sonntag im Sommer". Nichts Mythologisches wie die Wohlgesinnten - das deutsche Wort für die Eumeniden, wie die griechischen Rachegöttinnen später euphemistisch genannt wurden. Im Original heißt das neue Buch ebenso schlicht wie blasiert "Etudes", also Übungsstücke oder Studien. Dahinter verbergen sich vier Geschichten, die zwischen 1995 und 2002 entstanden sind, drei raffiniert gelungene, eine anmaßend missglückte.
Sie spielen in Kriegsgebieten, im Kosovo oder in Tschetschenien, man weiß es nicht. Orts- und Personennamen sind abgekürzt. Aber der Krieg läuft wie nebenher, wie eine Hintergrundmusik aus dem Rundfunkempfänger, zur Unterhaltung. In der Titelgeschichte befindet sich der Erzähler in einer Stadt, er blickt von seinem Balkon auf Reihen weißer Gräber, ab und zu schlagen Granaten ein, von denen er sich dann "lachend" die heißen Splitter als Andenken sichert.
Auf einer Party "heulen die Raketen über sie hinweg", während sie im Garten ihren Cocktail trinken:
"Wir haben herzlich gelacht."
Mit seiner Freundin B. besucht er ein Restaurant, neben dem täglichen Sterben geht das Vergnügen weiter. Der Text ist tatsächlich ein Übungsstück: Das antimoralische Neben- und Miteinander von Lust und Leid sollte dann auch in den "Wohlgesinnten" ein großes Thema sein.
Das zweite große Thema ist die Liebe, von der allein die homosexuelle Version auch körperlich werden kann (oder darf?). Die Liebe zu den Frauen in diesen Geschichten wird nie vollzogen. Entweder sind sie fern, und ihr Körper ist unerreichbar. Oder sie sind nah, aber trotzdem "unnahbar".
Aber die Liebe ist so etwas wie ein Rahmen. Die eigentliche Studie, "Etüde", beschäftigt sich mit dem Wahn, der allmählich die Herrschaft über einen gewinnt - in der Erzählung "Warten" - beziehungsweise mit den chaotischen Folgen der Unentschlossenheit, in: "Zwischen zwei Flügen".
Die Franzosen haben, mit dem ihnen eigenen Pathos, das in diesem Fall gleichzeitig paradox ist, den einzigartigen Littell mit Blanchot, Beckett, Kafka und Claude Simon verglichen. Ganz so weit wollen wir nicht gehen. Jonathan Littells Etüden sind Fingerübungen, aber kluge, raffinierte und packende. – Sie sind mit Zeichnungen seines jüngeren Bruders Jesse versehen, ebenfalls Etüden.
Rezensiert von Peter Urban-Halle
Jonathan Littell: Ein Sonntag im Sommer
Erzählungen. Aus dem Französischen von Hainer Kober
Matthes & Seitz, Berlin 2009
80 Seiten, 14,80 Euro
Es war kein Lärm um nichts. Daran konnten auch die Verrisse nichts ändern. Das Buch ist zu gut recherchiert, zu detailliert, zu stimmenreich, zu schockierend, zu mutig. "Groß und kalt" hat man es genannt.
Der deutsche Titel von Littells neuem Buch klingt weder groß noch kalt, eher wie der eines hübschen französischen Liebesfilms: "Ein Sonntag im Sommer". Nichts Mythologisches wie die Wohlgesinnten - das deutsche Wort für die Eumeniden, wie die griechischen Rachegöttinnen später euphemistisch genannt wurden. Im Original heißt das neue Buch ebenso schlicht wie blasiert "Etudes", also Übungsstücke oder Studien. Dahinter verbergen sich vier Geschichten, die zwischen 1995 und 2002 entstanden sind, drei raffiniert gelungene, eine anmaßend missglückte.
Sie spielen in Kriegsgebieten, im Kosovo oder in Tschetschenien, man weiß es nicht. Orts- und Personennamen sind abgekürzt. Aber der Krieg läuft wie nebenher, wie eine Hintergrundmusik aus dem Rundfunkempfänger, zur Unterhaltung. In der Titelgeschichte befindet sich der Erzähler in einer Stadt, er blickt von seinem Balkon auf Reihen weißer Gräber, ab und zu schlagen Granaten ein, von denen er sich dann "lachend" die heißen Splitter als Andenken sichert.
Auf einer Party "heulen die Raketen über sie hinweg", während sie im Garten ihren Cocktail trinken:
"Wir haben herzlich gelacht."
Mit seiner Freundin B. besucht er ein Restaurant, neben dem täglichen Sterben geht das Vergnügen weiter. Der Text ist tatsächlich ein Übungsstück: Das antimoralische Neben- und Miteinander von Lust und Leid sollte dann auch in den "Wohlgesinnten" ein großes Thema sein.
Das zweite große Thema ist die Liebe, von der allein die homosexuelle Version auch körperlich werden kann (oder darf?). Die Liebe zu den Frauen in diesen Geschichten wird nie vollzogen. Entweder sind sie fern, und ihr Körper ist unerreichbar. Oder sie sind nah, aber trotzdem "unnahbar".
Aber die Liebe ist so etwas wie ein Rahmen. Die eigentliche Studie, "Etüde", beschäftigt sich mit dem Wahn, der allmählich die Herrschaft über einen gewinnt - in der Erzählung "Warten" - beziehungsweise mit den chaotischen Folgen der Unentschlossenheit, in: "Zwischen zwei Flügen".
Die Franzosen haben, mit dem ihnen eigenen Pathos, das in diesem Fall gleichzeitig paradox ist, den einzigartigen Littell mit Blanchot, Beckett, Kafka und Claude Simon verglichen. Ganz so weit wollen wir nicht gehen. Jonathan Littells Etüden sind Fingerübungen, aber kluge, raffinierte und packende. – Sie sind mit Zeichnungen seines jüngeren Bruders Jesse versehen, ebenfalls Etüden.
Rezensiert von Peter Urban-Halle
Jonathan Littell: Ein Sonntag im Sommer
Erzählungen. Aus dem Französischen von Hainer Kober
Matthes & Seitz, Berlin 2009
80 Seiten, 14,80 Euro