"Lulu dans ma rue"

Pariser Zeitungskioske vermitteln Nachbarschaftshilfe

Ein Kiosk des Vereins "Lulu dans ma rue" in Paris.
Der Verein "Lulu dans ma rue" vermittelt professionelle Nachbarschaftshilfe in Paris. © Bettina Kaps
Von Bettina Kaps · 19.04.2017
Einsam in der Großstadt und auf der Suche nach Hilfe? In Paris findet Nachbarschaftshilfe - auch - am Kiosk statt. Statt Zeitungen zu verkaufen bietet der Verein "Lulu dans ma rue" dort Menschen Gelegenheit, anderen ihre Unterstützung anzubieten. Und stößt dabei auf viel Interesse.
Es ist eisig kalt in Paris. Trotzdem scharen sich zwei Dutzend Neugierige um die grüne Bude an der Metrostation Villiers. Ein Zeitungskiosk, so scheint es, nur dass es hier gar keine Zeitungen gibt. Stattdessen ist ein Regal zu sehen mit allerhand Nippes, ein paar Büchern und einem Schlüsselbrett - wie in einer Pförtnerloge. Eine junge Frau, die sich als "Concierge" vorstellt, bietet Becher mit Cidre an und Chips. Neben der Bude spielt eine Band auf.
'Lulu dans ma rue' steht oben auf dem Kiosk. Eine Passantin bleibt stehen, guckt überrascht. Die Concierge erklärt ihr, wozu der Kiosk mit dem seltsamen Namen 'Lulu in meiner Straße' dient:
"Wir wollen hier im Viertel die sozialen Bindungen fördern, Menschlichkeit in den Alltag bringen. Außerdem wollen wir auf lokaler Ebene Jobs schaffen. Unsere 'Lulus' haben ganz unterschiedliche Profile, genau wie unsere Kunden."
'Lulu dans ma rue' ist ein gemeinnütziger Verein. Mit dem Kosenamen Lulu bezeichnet er seine Helfer, die alle als selbstständige Kleinunternehmer arbeiten. Vor dem Kiosk hängt eine Liste mit ihren Kompetenzen: Heimwerkerarbeiten, Hilfe bei Behördenkram, Pakete annehmen, Blumen gießen, Babysitten, Computer reparieren etc, etc.. Die Preise pendeln zwischen fünf Euro und 20 Euro pro halbe Stunde, die meisten Rechnungen können die Kunden steuerlich absetzen.
Eine junge Frau mit Pudelmütze und dickem Schal schaut sich neugierig um. Pauline studiert Archäologie und ist knapp bei Kasse. Jetzt hat sie sich als 'Lulu' beworben und ist nach kurzer Prüfung gleich genommen worden. Die Umstehenden könnten also demnächst ihre Auftraggeber sein, hofft Pauline:
"Das Prinzip gefällt mir, ein Stadtviertel zu beleben, die Anwohner kennen zu lernen. Außerdem werde ich versichert und steuerlich gemeldet, das ist sonst nicht üblich bei so kleinen Jobs. Der Status als 'Lulu' garantiert mir eine gewisse Sicherheit."
Die 21-Jährige will putzen, babysitten, Tiere hüten - und neue Dinge lernen: Denn die 'Lulus' bilden sich auch gegenseitig aus, sagt Pauline. Solidarität wird hier groß geschrieben. Sie selbst hat eine Satzung unterzeichnet, in der sie sich verpflichtet, pünktlich, gewissenhaft und hilfsbereit zu sein, und: gute Laune zu verbreiten.

Die 'Lulus' begeistern sich für das soziale Engagement

Ein Ehepaar und die Concierge begrüßen sich wie alte Bekannte. Marie-Pascale und Gerald sind über 80 und wohnen eine Straße weiter. Die weißhaarige Frau hat die Kontaktbörse schon ausprobiert: Ein 'Lulu' hat ihr geholfen, Fotos am Computer zu bearbeiten. Nun soll ihr ein anderer 'Lulu' eine Wand tapezieren:
Ob er denn gut sei, Jason, fragt die Kundin. Jason sei perfekt, wie alle 'Lulus', sagt die Concierge lachend. Marie-Pascale nickt zufrieden:
"Ich mache Werbung für 'Lulu', verteile Flyer unter meinen Freunden, und sage ihnen, ihr werdet begeistert sein. Die erste Reaktion bei alten Leuten ist ja: Wer weiß, wen wir uns da ins Haus holen."
Eine 'Lulu' namens Aurelie händigt der Concierge zwei Schlüssel aus. Aurelie arbeitet schon seit einem Jahr als 'Lulu', sie putzt, bügelt, backt Kuchen für besondere Anlässe. Ihren Job als Verkäuferin hat sie dafür aufgegeben:
"Ich wollte mein eigener Chef sein. Der Verein hat mir geholfen, eine Ein-Personen-Firma zu gründen. Jetzt kann ich mir meine Zeit zwischen Beruf und Familie selbst einteilen. Außerdem sind die Kunden ganz besonders liebenswürdig."

Wenig Lohn, aber Hilfe vom Verein

Aurelie verdient inzwischen rund 1.000 Euro monatlich, Tendenz steigend. 15 Prozent davon gibt sie dem Verein ab. Der sorgt dafür, dass ihr Steuermodell stimmt, hilft ihr, sich beruflich weiter zu entwickeln.
Charles-Edouard Vincent schaut dem Treiben schon eine ganze Weile zufrieden zu. Der 44-jährige Ingenieur mit dem Diplom der Elite-Hochschule Polytechnique hat das Business-Modell für diese originelle Form der Nachbarschaftshilfe entwickelt, außerdem Gelder für den Start aufgetrieben und die Stadt Paris überzeugt, das Experiment zu wagen:
"Es sind zwar nur Mini-Jobs, aber ein bisschen Geld springt schon heraus. Zugleich kümmern sich unsere Leute um ihr Stadtviertel und um ihre Nachbarn. Sie verrichten sinnvolle Arbeit, das schätzen die 'Lulus' sehr."
'Lulu dans ma rue' hat inzwischen 115 Helfer und zwei Kioske in Paris. Für fünf weitere hat die Stadt bereits grünes Licht gegeben.
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