Luis Moreno Ocampo: Al-Bashir wird sich "Gerechtigkeit nicht entziehen können"

Luis Moreno Ocampo im Gespräch mit Joachim Scholl |
Mit dem sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir verfolgt der Internationale Gerichtshof erstmals einen amtierenden Staatschef. Chefankläger Luis Moreno Ocampo verwies auf die Ergebnisse der Ermittlungen über die Verbrechen an der Zivilbevölkerung in Darfur, die genug Beweise für einen Haftbefehl gegen Al-Bashir erbracht hätten.
Joachim Scholl: Seit sechs Jahren ist der Argentinier Luis Moreno Ocampo Chefankläger am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (ICC). Zuständig ist das Gericht für drei Delikte: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Angeklagt können nur Individuen werden, Personen aus den Ländern, die das Statut für den Gerichtshof unterschrieben haben. Robert Mugabe etwa, den viele gern mal vor Gericht sehen würden, kann nicht angeklagt werden, weil Simbabwe nicht zu den 108 Unterzeichner-Ländern gehört. Eine Ausnahme ist der Sudan. Hier wurde der UN-Sicherheitsrat aktiv, um gegen die Verbrechen in Darfur vorzugehen, und so konnte Luis Moreno Ocampo im letzten Sommer Haftbefehl gegen den amtierenden Staatspräsidenten beantragen. Jetzt im März wurde dem Antrag stattgegeben. Wir haben Luis Moreno Ocampo getroffen und ihn als Erstes gefragt, wann denn die Welt Herrn Al-Bashir vor Gericht sehen wird?

Luis Moreno Ocampo: Omar al-Bashir hat schwere Verbrechen gegen die Bevölkerung in Darfur begangen. Wir verlangen jetzt nicht eine plötzliche Intervention, wir verlangen nicht, dass gebombt wird. Wir verlangen angesichts dieser fortwährenden Verbrechen nur, dass die sudanesische Regierung Al-Bashir verhaftet und an den Strafgerichtshof überstellt. Und solange das nicht geschieht, werden wir uns stets an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wenden und werden weiterhin die Verhaftung und Überstellung Al-Bashirs betreiben. Es gibt zwei ganz wichtige Präzedenzfälle – Slobodan Milosevic und Charles Taylor. Beide sind vor diesen Strafgerichtshof gestellt worden. Das belegt, dass langfristig diese Verbrecher angeklagt werden. Sie werden sich der internationalen Strafgerichtsbarkeit nicht entziehen können. Die Frage ist nur, wie lange dauert es, wie lange können diese Menschen ihre Verbrechen noch weiter begehen. Omar al-Bashir muss vor den Strafgerichtshof gestellt werden. Er wird sich der Gerechtigkeit nicht entziehen können.

Scholl: Voraussetzung dafür, dass al-Bashir je vor Gericht erscheint, ist seine Verhaftung. Sie haben jetzt schon ein wenig erklärt, wer ihn verhaften soll. Aber nochmals die Frage: Wer soll ihn eigentlich nach Den Haag bringen? Gibt es eine realistische Hoffnung dafür, dass das je passiert?

Moreno Ocampo: Nun, dies ist ein Prozess, der seine Zeit braucht. Üblicherweise versuchen Strafgerichte ja, Menschen, die auf der Flucht sind, festzusetzen. Hier ist der Präsident in seinem eigenen Land sozusagen eingebunkert, er wird von seinen eigenen Leuten beschützt. Und hier ist es unsere Aufgabe, jetzt diesen Verfolgungsdruck zu erhöhen. Er wird in seinem eigenen Lande zu einer Randfigur gemacht. Er kann nicht einfach an die französische Riviera fahren, um Urlaub zu machen, er kann nicht in Frankfurt shoppen gehen. Er ist in seinem eigenen Land praktisch schon ein Gefangener. Und das ist auch unsere Strategie: Wir müssen den Druck erhöhen, bis er schließlich an uns überstellt wird.

Scholl: Die Reaktionen auf diesen Haftbefehl waren eher verhalten, wenn nicht offen kritisch. Man hatte nicht das Gefühl, dass die internationale Gemeinschaft, die ja schließlich den Strafgerichtshof damit beauftragt hat, plötzlich, da die Sache ernst wird, mitspielen will. Sind Sie nicht enttäuscht von dieser Reaktion?

Moreno Ocampo: Nun, ich bin Strafverfolger. Meine Aufgabe ist es, das Recht zur Geltung zu bringen. Frau Merkel hat das ja auch sehr schön gesagt, sie sagte: Wir haben diesen Strafgerichtshof eingerichtet, jetzt muss das Gericht seine Arbeit tun. Und das ist es genau, was mir vorgesetzt ist. Der Fall Al-Bashir ist für uns eine Art Prüfstein: Bringt die Menschheit die Kraft auf, zu verhindern, dass derartige Verbrechen wieder geschehen. Darum geht es.

Scholl: Von wem würden Sie denn konkrete Unterstützung erwarten? Welches Land wäre denn das wichtigste, von dem Sie sich diese Unterstützung erhoffen?

Moreno Ocampo: Alle Länder sind aufgefordert, hier mitzuwirken. Sie dürfen Al-Bashir kein Visum gewähren, sie müssen ihn sozusagen an der Grenze abweisen oder wenn er bei ihnen ist, müssen sie verlangen, dass die Entscheidung des Strafgerichtshofes anerkannt und eingehalten wird. Und diese Forderung gilt es immer wieder zu erheben bei bilateralen Gesprächen, bei multilateralen Begegnungen. Auch die Afrikanische Union spielt hier eine ganz entscheidende Rolle. Diese regionalen Organisationen, die müssen mitspielen, damit diese Strategie aufgeht. Vor allem aber liegt es bei den ganz normalen Bürgerinnen und Bürgern, hier den Druck auf ihre eigenen Regierungen aufzubauen. Wir brauchen keinen Krieg, wir brauchen keine Armeen, wir brauchen kein Geld. Es ist sehr billig, diesen politischen Druck aufzubauen, und zugleich ist es auch höchst wirksam.

Scholl: Im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur ist Luis Moreno Ocampo, der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag. Erklären Sie uns doch einmal, Herr Moreno Ocampo, wie eine solche Anklage wie jetzt im Fall Al-Bashir zustande kommt. Sagen Sie, der oder der hat einen Prozess verdient, oder kommt die Politik auf Sie zu? Wer initiiert eigentlich ein solches Verfahren?

Moreno Ocampo: Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist auf mich zugetreten und hat gesagt, in Darfur im Sudan werden schwerste Verbrechen begangen. Ich habe deshalb im Juni 2005 meine Ermittlungen begonnen, und ich habe mich dabei auf die Hauptverantwortlichen konzentriert. Das Ergebnis meiner Erkundungen war, dass im Jahr 2003 bis 2004 systematisch die Dörfer umzingelt worden sind mithilfe der Janjaweed-Milizen, die Dorfbevölkerung vertrieben, geplündert und in die Wüste getrieben wurde, wo sie dann dem Hungertod überlassen worden sind. Es gab insbesondere einen Anführer dieser Milizen, Ali Kuschaib. Ich fand heraus, dass er einer Reihe von Komitees, von Ausschüssen unterstand, die wiederum direkt unterstellt waren dem Innenminister Ahmed Haroun. Und ich habe deshalb an die Regierung in Khartum geschrieben, dass wir Haroun zur Auslieferung fordern und ebenso auch Ali Kuschaib. Letztlich hat sich dann Präsident Al-Bashir so geäußert, dass er diese Männer nicht ausliefern würde und dass vor allem Haroun keine Schuld treffe, da er ja seine, also Al-Bashirs, Anweisungen befolge. Dann habe ich gesagt: Gut, wenn das Ihre Anweisungen sind, dann werden wir eben gegen Sie ermitteln. Ich habe darüber hinaus 30 Zeugen befragt, und ich hatte damit also genug Beweise zusammengetragen, um den Haftbefehl gegen Al-Bashir zu beantragen.

Scholl: Das Statut für den Internationalen Strafgerichtshof ist im Sommer 2002 in Kraft getreten, knapp ein Jahr später wurden die ersten 18 Richter vereidigt. Mittlerweile haben 108 Staaten dieses Statut ratifiziert, aber wichtige Staaten fehlen, darunter die mächtigsten Nationen – China, Russland, die USA. Welche Grenzen werden dem Internationalen Strafgerichtshof dadurch gesetzt?

Moreno Ocampo: Der Grundgedanke des Strafgerichtshofes ist etwas Neues, nämlich die Kraft des Rechts gegen Gewalt einzusetzen. Europa, Afrika, Südamerika, das sind die Hauptantriebsgegenden hinter diesem Strafgerichtshof, also jene Gegenden, die am meisten an der Gewalt gelitten haben. Dennoch, in diesen sechs Jahren, seit es uns gibt, hat sich doch schon einiges geändert. Zur Lage in Darfur stehe ich ja in ständigem Benehmen mit dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. China hat sich selbst, obwohl formell noch kein Unterzeichnerstaat, doch bereit erklärt, mit uns ständig im Austausch zu sein. Interessant ist es auch zu sehen, dass Russland von Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen in Georgien uns Kriegsverbrechen, die die Georgier begangen haben sollen, berichtet hat. Das heißt, diese Länder kommen auf uns zu. Die USA, die am Anfang eine sehr ablehnende Haltung gegenüber dem Strafgerichtshof einnahmen, stellten fest, dass der Sicherheitsrat ständig zu uns in Kontakt trat, wenn es um Darfur ging. Dadurch wird also die Kraft dieser Idee bewiesen, mehr und mehr Länder schließen sich uns an. Und ich möchte sagen, in 20 Jahren werden die meisten Länder der Erde diesen Vertrag von Rom unterzeichnet haben. Wenn das nicht geschieht, wird die Welt ein Problem haben. Wenn das nicht geschieht, dann besteht die Gefahr, dass die Welt so aussieht, wie Darfur heute aussieht.

Scholl: Die USA gehen soweit, dass sie gesetzlich festgelegt haben, im Ernstfall angeklagte US-Bürger sogar militärisch aus Den Haag befreien zu können. Das heißt, die Opposition hier ist gegenüber dem Statut immens. Jetzt haben wir einen neuen Präsidenten mit Obama, er fährt einen dezidiert anderen Kurs als seine Vorgänger, was internationale Politik betrifft. Welche Hoffnung setzen Sie in ihn? Wird er diese Politik gegenüber dem ICC ändern?

Moreno Ocampo: Na ja, die Sache ist doch ein bisschen anders. Schauen Sie, als ich diese Berufung zum Chefankläger bekam, da unterrichtete ich in Harvard, und da kam ein Kollege auf mich zu und sagte: Luis, du musst dieses Amt ablehnen! Und ich fragte: Warum? Er sagte: Ohne unsere, ohne die amerikanische Unterstützung bist du doch machtlos, du kannst nichts ohne uns machen. Nun, die Dinge haben sich anderweitig entwickelt. Ich meine, der Strafgerichtshof ist eine hochleistungsfähige multilaterale Organisation ohne die Vereinigten Staaten, und Darfur ist dafür ein Lehrbuchbeispiel. Wir haben unter Beweis gestellt in den Fällen Kongo, in Uganda, dass wir effizient arbeiten können. Wir haben im Moment drei Prozesse anhängig, wir haben vier Gefangene. Das beweist, dieser Gerichtshof ist arbeitsfähig, auch ohne die USA. Natürlich wäre es besser, wenn die USA mit an Bord wären, aber das ändert sich ja auch im Laufe der Zeit. Am letzten Tag der alten Regierung in den USA kam auch John Bellinger, der Verantwortliche im Justizministerium, in mein Büro und hat damit belegt, wie sehr sich auch in den USA ein Sinneswandel anbahnt. Ich meine also, langfristig werden auch Länder wie China, Russland oder die USA sich uns anschließen, denn keines dieser Länder kann ja den Völkermord unterstützen.

Scholl: Seit nunmehr fast sechs Jahren ist der Internationale Strafgerichtshof aktiv. Worin, würden Sie sagen, besteht sein Erfolg, außer dass er endlich existiert?

Moreno Ocampo: Damals sagte mein Freund zu mir: In neun Jahren wirst du überhaupt nichts bewerkstelligen können, das wird alles im Sande verlaufen. Und doch, schauen Sie sich an, was jetzt schon gelungen ist. Wir haben Verfahren eingeleitet. Ich gehe vor gegen massivste Verbrechen, die weltweit begangen werden. Die Durchschnittsdauer unserer Verfahren liegt etwa bei 18 Monaten. Schauen Sie, wie schnell wir sind. Wir konzentrieren uns auf die Hauptverantwortlichen, diejenigen, die hinter all diesen Verbrechen stehen. Und das ist doch wesentlich anspruchsvoller, als zum Beispiel irgendeinen Personenschützer zu belangen. Wir haben mittlerweile vier der Hauptverantwortlichen dieser Milizen als Gefangene in unserer Obhut. Der erste Prozess begann in diesem Januar, der zweite wird wohl im Herbst dieses Jahres eingeleitet werden, und der dritte wahrscheinlich Beginn nächsten Jahres. In diesen sechs Jahren haben wir also schon sehr viel erreicht, insbesondere auch für die Vorbeugung, für die Abschreckung. Sogar die Menschen aus Sri Lanka, einem Land, das kein Unterzeichnerstaat ist, die kommen zu uns und wenden sich an uns. Das heißt, wir üben eine Art Vorbeugungseffekt aus, weil die Machthaber eben Angst haben, dass sie von uns belangt werden könnten.

Scholl: Es mag vielleicht ein wenig absurd klingen, die Frage, Mr. Moreno Ocampo, aber dennoch, obwohl Sie sich den ganzen Tag mit furchtbaren Verbrechen beschäftigen: Macht Ihnen diese Arbeit Freude?

Moreno Ocampo: Wissen Sie, ich liebe diese Arbeit. Es ist für mich eine Ehre, es ist ein Vorzug, an dieser Stelle arbeiten zu dürfen. Ich habe alles dafür aufgegeben, ich habe meine Rechtsanwaltskanzlei verkauft, um diese Chance zu ergreifen, eine Institution für die nächsten Jahrhunderte aufzubauen. Es ist für mich eine große Ehre und eine Freude und ich mache es sehr, sehr gerne.

Scholl: Luis Moreno Ocampo, der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Moreno Ocampo: Thank you very much for this!

Übersetzung: Johannes Hampel