"Lugau City Lights" - Revisiting DDR-Popgeschichte

"Es gab den Willen zum Wahnsinn"

10:15 Minuten
Alexander Kühne, Flake Lorenz und Paul Landers sitzen gemeinsa am Tisch im Landei Lugau.
Über die alten Zeiten reden: Alexander Kühne, Flake Lorenz und Paul Landers im Landei Lugau. Filmszene © Sabine Panossian
Alexander Kühne im Gespräch mit Max Oppel · 09.08.2019
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Die lokalen Punker namens Kotzübel traten hier genau so auf wie Fettes Brot oder Rammstein: In der DDR war der Club "Extrem" Zufluchtsort und Vision eines anderen Lebens. Ein Film erzählt von dem legendären Club und seinem Betreiber Alexander Kühne.
Lugau ist ein kleines Dorf in der Niederlausitz, das erstmal nach toter Hose aussieht – aber einen enormen Schatz an Erinnerungen birgt. Denn hier traf sich die Underground-Musikszene der DDR. Der Lugauer Alexander Kühne gründete mit anderen in den 80er-Jahren den Club "Extrem". Dieser illegale Club wird zum Treffpunkt einer Szene, die in diesem Land sonst keinen Ort hat. Zu Hunderten kamen Musikfans aus dem ganzen Land. Im Film "Lugau City Lights" kehren Alexander Kühne und seine Mitstreiter an den Ort des Geschehens zurück. Am Sonntag zeigt Arte die Dokumentation, die im Jahr 2017 gedreht wurde.
"Die wenigen Momente, wo man das Gefühl hatte, man ist zu Recht auf dieser Welt – das waren die, in denen man nach Lugau gefahren ist", sagt ein Besucher von damals im Film, der sich an die Abende im "Extrem" erinnert.

Ein freier Raum

Alexander Kühne weiß noch gut, welches Gefühl von dem Club ausging: "Es war ein sehr freier Raum. Es gab keinen dogmatischen Einlass, es war mehr so ein Treffpunkt als ein durchorganisiertes Event." Die Fans von Punk und New Wave hätten in der DDR überhaupt keine Treffpunkte gehabt, denn rein musikalisch gesehen sei die Kultur sehr "hippieesk" gewesen.
Nächtliche Projektion zweier geschminkter Gesichter an einer Hauswand in Lugau.
Projektion an einer Hauswand in Lugau© Sabine Panossian
Kühne jedoch war wie seine Freunde auf New Wave und Punk abonniert: "Ich war begeistert von den Punkbands, von The Clash und so weiter. Ich habe gedacht: Ich will das, was in der großen weiten Welt los ist – ich hab mal einen Artikel über den Blitz Club in London gelesen, im rüber geschmuggelten ‚Stern‘, da war ich total fasziniert. Und ich dachte: Das müssen wir auch machen."

"Wusste gar nicht, dass man das anmelden muss"

Er habe dann einfach illegal angefangen, Konzerte und Partys zu organisieren: "Ich wusste gar nicht, dass man sowas anmelden muss. Wir haben einfach losgelegt mit Motto-Partys. Wir hatten eine lokale Punkband, die hießen Kotzübel, die haben dort gespielt. Und dann wurde das irgendwann immer größer. Es gab eine große Community an jungen Leuten, die nicht wussten, wohin."
Alexander Kühne und seine Freunde schafften es damals, richtige Stars nach Lugau zu holen: Fettes Brot aus Westdeutschland spielten mehr oder minder inkognito einen Auftritt, zwei Musiker von Rammstein gehörten zum Bekannten- und Freundeskreis. Nun, 30 Jahre später, treffen Kühne und die heute weltberühmten Musiker wieder aufeinander.

Mama hat Stullen geschmiert

"Wir haben diese Zeit zusammen erlebt", erklärt Kühne die noch immer enge Verbindung. "Man ist gleich aufgewachsen. Gerade die beiden Jungs von Rammstein waren am schnellsten mit dabei."
Die meisten Künstler erinnerten sich positiv an ihre Auftritte in Lugau: "Bei uns haben sich immer alle Künstler wohlgefühlt. Obwohl nichts da war. Aber wir haben versucht, sie gut zu versorgen. Wenn es Schwierigkeiten gab, hat meine Mama die Stullen geschmiert."
Nach der Wende sei das Feeling ein anderes gewesen, erzählt Kühne. "Dann kamen die Rider von den Bands, was sie alles haben wollten. Es gab eine extrem krasse Türpolitik, weil die so viel Geld haben wollten, dass wir kaum noch was verdienen konnten. Das war dann nicht mehr so spaßig, sondern professionell organisierter Konzertbetrieb. In den 80ern dagegen war es eine Vision von einem anderen Leben."

Lugau City Lights - Ein DDR-Dorf schreibt Popgeschichte
Montag 13. August, 00:00 Uhr, Arte

(aba)
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