Luftige Liebespaare und schwebende Leiterwagen
Der Titel der Ausstellung im Museum Frieder Burda in Baden-Baden bezieht sich auf das Ambiente. Schöner inszeniert hat man Marc Chagalls Werk wohl noch nie gesehen: Locker gehängt, mit Durchblicken ins Grün des Kurparks. Chagalls Liebespaare, Geiger, Gaukler und geflügelten Pendeluhren kann man in der lichten Museumsarchitektur des Amerikaners Richard Meier bewundern.
Natürlich muss man sie nicht noch einmal von vorn erzählen, die ganze Geschichte vom Sohn eines jüdischen Fischhändlers aus dem weißrussischen Witebsk, der seine Heimat verließ, um in Berlin und Paris seine Freiheit zu suchen und dann 1941 doch mit einer halben Tonne Zeichnungen und Bildern nach Amerika emigrieren musste, bis er sich nach dem Krieg in Südfrankreich niederließ, wo er sich endgültig in die Herzen seiner Bewunderer malte.
Und natürlich sind sie auch in Baden-Baden alle da, die luftigen Liebespaare und schwebenden Leiterwagen, die Geiger auf den Dächern, die honiggelben Monde am tintenblauen Nachthimmel über windschief verschachtelten Bauernkaten, die stürzenden Engel und fliegenden Tiere, Gaukler, Clowns und Zirkusakrobaten, die bärtigen Rabbiner und geflügelten Pendeluhren, die locker duftigen Blütenregen und Bouquets und immer wieder die holde Gestalt seiner innig geliebten Frau Bella, die er früh verlor.
Chagall "in neuem Licht" verspricht uns die Schau, doch das bezieht sich auf das Ambiente, nicht das Werk, sagt Hausherr Frieder Burda:
"Nicht, dass Chagall neu gezeigt wird. Chagall ist bekannt, und es gibt viele Museen, die haben schon viele große Ausstellungen gemacht. Aber ich möchte Chagall in dem Licht zeigen, in dem hell durchfluteten, hellen Museum von Richard Meier. Und ich glaube, dass wir Chagall ganz anders zeigen."
Ein anderer Chagall kommt dabei nicht heraus, aber schöner inszeniert hat man sein Werk wohl noch nie gesehen: Locker gehängt, mit lichten Durchblicken ins Grün des Kurparks, in einer kompakten und klug abgestimmten Auswahl mit Schwerpunkt auf dem Frühwerk, das uns zu der Frage führt, ob denn in den russisch-jüdisch-bäuerlichen Wurzeln dieser Bilder der Schlüssel zu Chagalls Schaffen liegt. Kurator Jean-Louis Prat:
"Ich würde das nicht sagen. Chagalls Hauptwerke entstanden in den zwanziger Jahren, aber was danach kommt, zeigt noch einmal etwas ganz Neues. Immer wieder diese Hoffnungsbotschaft, die er durch seine Themen und Farben verbreitet. Er ist einer der seltenen Künstler, der diese Hoffnung im 20. Jahrhundert übermittelt und auch in den fünfziger Jahren den Dialog aufrechterhält mit seinen großen Bildern."
Chagalls tröstliche Botschaft vermittelt sich vor allem durch die Kraft seiner Farben, deren glühende Kontraste stets zu einer gefälligen Harmonie verschmelzen. Und auch selten Gesehenes gibt es zu entdecken. Etwa seine Wanddekorationen für das Jüdische Theater in Moskau von 1920, darunter ein turbulentes, fast acht Meter langes Panorama mit torkelnden Tänzern, Tieren und Musikanten.
Breiten Raum nehmen auch Chagalls Illustrationszyklen ein, etwa zu den Fabeln von La Fontaine, zu Daphnis und Cloe oder zu Boccaccions "Dekameron".
"Chagall war selbst Dichter, er hat auch selbst geschrieben und viel gelesen. Kein Zufall, dass er mit vielen Dichtern befreundet war wie Blaise Cendrar, Guillaume Apollinaire, Louis Aragon oder André Malraux. Die mochten die Geschichten, die er erzählte. Er war ja ein geborener Erzähler von Geschichten, die nicht der Realität entsprechen, aber daran kleben. Und aus diesem Grund gibt es wahrscheinlich auch eine so enge Verbindung mit dem Publikum."
In der Tat: Nicht nur, dass Chagall den bodenständigen Geschichten ein luftiges Leben einhaucht, er überfordert den Betrachter nie. Er tut, was die Avantgarden verbieten: Er erzählt, schwelgt in folkloristischen Erinnerungen und Gefühlen und entwickelt seine fabulöse Ikonographie in einer zauberhaften Welt der Wunder. Er setzt die Schwerkraft außer Betrieb, lässt Menschen vor Euphorie den Kopf verlieren oder in einem Anflug trauriger Ergebenheit in Baumkronen landen. Wo es dem Kubismus an Sinnlichkeit und dem Expressionismus an Zartheit fehlt, wo der Fauvismus zu wild und der Surrealismus zu kopflastig ist, da weiß Chagall auszugleichen.
Auch seine Bilder zur Bibel: Man muss nicht fromm sein, um das zu mögen. Als der "größte religiöse Maler unserer Zeit" wurde Chagall bezeichnet, doch sein Verhältnis zur Religion war eher ein pragmatisches, meint Jean-Louis Prat:
"Chagall wuchs in einer religiösen Familie auf, in der sehr strengen chassidischen Kultur in Witebsk. Chagall hat das als essentielle Grundlage benutzt, aber die Religion als solche hat ihn nicht besonders angezogen. Die Bibel war eine wichtige Inspirationsquelle und ein Fundus von Geschichten. Aber er bezog seine Inspirationen aus allen Religionen, egal ob jüdisch oder katholisch. Als er beerdigt wurde, da standen ein Pastor, ein Pfarrer und ein Rabbiner an seinem Grab. Es gab da überhaupt keinen Eindruck, dass er zu irgendeinem Clan gehörte – und das macht eben seine Freiheit und Persönlichkeit aus."
Die Baden-Badener Ausstellung atmet diese Freiheit. Mal abgesehen von einer merkwürdigen Schwächephase in den dreißiger Jahren während seines Aufenthalts in Palästina: Chagall hat berückend schöne Bilder gemalt. Das ist keine Sünde. Und er hatte riesigen Erfolg, auch und vor allem in der Routine und den süßlichen Reprisen des Spätwerks. Das ist kein Grund, ihn zu schmähen. Eher darf man sich darüber wundern, dass die quälende Heimatlosigkeit, in die politische und ästhetische Restriktionen den Künstler jahrzehntelang zu zwingen suchten, so schöne Spuren hinterlassen hat.
Service:
Die Ausstellung "Chagall – In neuem Licht" ist im Museum Frieder Burda Baden-Baden bis zum 29. Oktober 2006 zu sehen.
Und natürlich sind sie auch in Baden-Baden alle da, die luftigen Liebespaare und schwebenden Leiterwagen, die Geiger auf den Dächern, die honiggelben Monde am tintenblauen Nachthimmel über windschief verschachtelten Bauernkaten, die stürzenden Engel und fliegenden Tiere, Gaukler, Clowns und Zirkusakrobaten, die bärtigen Rabbiner und geflügelten Pendeluhren, die locker duftigen Blütenregen und Bouquets und immer wieder die holde Gestalt seiner innig geliebten Frau Bella, die er früh verlor.
Chagall "in neuem Licht" verspricht uns die Schau, doch das bezieht sich auf das Ambiente, nicht das Werk, sagt Hausherr Frieder Burda:
"Nicht, dass Chagall neu gezeigt wird. Chagall ist bekannt, und es gibt viele Museen, die haben schon viele große Ausstellungen gemacht. Aber ich möchte Chagall in dem Licht zeigen, in dem hell durchfluteten, hellen Museum von Richard Meier. Und ich glaube, dass wir Chagall ganz anders zeigen."
Ein anderer Chagall kommt dabei nicht heraus, aber schöner inszeniert hat man sein Werk wohl noch nie gesehen: Locker gehängt, mit lichten Durchblicken ins Grün des Kurparks, in einer kompakten und klug abgestimmten Auswahl mit Schwerpunkt auf dem Frühwerk, das uns zu der Frage führt, ob denn in den russisch-jüdisch-bäuerlichen Wurzeln dieser Bilder der Schlüssel zu Chagalls Schaffen liegt. Kurator Jean-Louis Prat:
"Ich würde das nicht sagen. Chagalls Hauptwerke entstanden in den zwanziger Jahren, aber was danach kommt, zeigt noch einmal etwas ganz Neues. Immer wieder diese Hoffnungsbotschaft, die er durch seine Themen und Farben verbreitet. Er ist einer der seltenen Künstler, der diese Hoffnung im 20. Jahrhundert übermittelt und auch in den fünfziger Jahren den Dialog aufrechterhält mit seinen großen Bildern."
Chagalls tröstliche Botschaft vermittelt sich vor allem durch die Kraft seiner Farben, deren glühende Kontraste stets zu einer gefälligen Harmonie verschmelzen. Und auch selten Gesehenes gibt es zu entdecken. Etwa seine Wanddekorationen für das Jüdische Theater in Moskau von 1920, darunter ein turbulentes, fast acht Meter langes Panorama mit torkelnden Tänzern, Tieren und Musikanten.
Breiten Raum nehmen auch Chagalls Illustrationszyklen ein, etwa zu den Fabeln von La Fontaine, zu Daphnis und Cloe oder zu Boccaccions "Dekameron".
"Chagall war selbst Dichter, er hat auch selbst geschrieben und viel gelesen. Kein Zufall, dass er mit vielen Dichtern befreundet war wie Blaise Cendrar, Guillaume Apollinaire, Louis Aragon oder André Malraux. Die mochten die Geschichten, die er erzählte. Er war ja ein geborener Erzähler von Geschichten, die nicht der Realität entsprechen, aber daran kleben. Und aus diesem Grund gibt es wahrscheinlich auch eine so enge Verbindung mit dem Publikum."
In der Tat: Nicht nur, dass Chagall den bodenständigen Geschichten ein luftiges Leben einhaucht, er überfordert den Betrachter nie. Er tut, was die Avantgarden verbieten: Er erzählt, schwelgt in folkloristischen Erinnerungen und Gefühlen und entwickelt seine fabulöse Ikonographie in einer zauberhaften Welt der Wunder. Er setzt die Schwerkraft außer Betrieb, lässt Menschen vor Euphorie den Kopf verlieren oder in einem Anflug trauriger Ergebenheit in Baumkronen landen. Wo es dem Kubismus an Sinnlichkeit und dem Expressionismus an Zartheit fehlt, wo der Fauvismus zu wild und der Surrealismus zu kopflastig ist, da weiß Chagall auszugleichen.
Auch seine Bilder zur Bibel: Man muss nicht fromm sein, um das zu mögen. Als der "größte religiöse Maler unserer Zeit" wurde Chagall bezeichnet, doch sein Verhältnis zur Religion war eher ein pragmatisches, meint Jean-Louis Prat:
"Chagall wuchs in einer religiösen Familie auf, in der sehr strengen chassidischen Kultur in Witebsk. Chagall hat das als essentielle Grundlage benutzt, aber die Religion als solche hat ihn nicht besonders angezogen. Die Bibel war eine wichtige Inspirationsquelle und ein Fundus von Geschichten. Aber er bezog seine Inspirationen aus allen Religionen, egal ob jüdisch oder katholisch. Als er beerdigt wurde, da standen ein Pastor, ein Pfarrer und ein Rabbiner an seinem Grab. Es gab da überhaupt keinen Eindruck, dass er zu irgendeinem Clan gehörte – und das macht eben seine Freiheit und Persönlichkeit aus."
Die Baden-Badener Ausstellung atmet diese Freiheit. Mal abgesehen von einer merkwürdigen Schwächephase in den dreißiger Jahren während seines Aufenthalts in Palästina: Chagall hat berückend schöne Bilder gemalt. Das ist keine Sünde. Und er hatte riesigen Erfolg, auch und vor allem in der Routine und den süßlichen Reprisen des Spätwerks. Das ist kein Grund, ihn zu schmähen. Eher darf man sich darüber wundern, dass die quälende Heimatlosigkeit, in die politische und ästhetische Restriktionen den Künstler jahrzehntelang zu zwingen suchten, so schöne Spuren hinterlassen hat.
Service:
Die Ausstellung "Chagall – In neuem Licht" ist im Museum Frieder Burda Baden-Baden bis zum 29. Oktober 2006 zu sehen.